Mit eurem Hof Lebensberg habt ihr einen jungen landwirtschaftlichen Betrieb gegründet, der ein Modellversuch sein soll für eine regenerative Landwirtschaft. Was konkret macht ihr anders als viele andere, konventionell arbeitende Landwirtschaftsbetriebe?
Janine Raabe: Wir kombinieren verschiedene Methoden der regenerativen Landwirtschaft. Beispielsweise arbeiten wir mit dem pfluglosen Ackerbau mit diversen Gründüngungen, Fermenten, vielfältigen Fruchtfolgen, Mulch- und Direktsaaten. Weiterhin arbeiten wir mit mehrlagigen Agroforstsystemen, holistischer Weidetierhaltung, Gemüsebau im Marktgarten, mit dem Keyline-Design und weiteren Techniken. Wenn man sich die regenerative landwirtschaftliche Szene weltweit ansieht, dann ist es erstaunlich, dass sich viele dieser Techniken in Kombination immer wieder als Best Practice-Methoden bewährt haben – in verschiedenen Klimazonen und auf unterschiedlichen Böden.
Man könnte ja meinen, dass es in unseren Breitengraden keine großen Probleme mit der Bodenfruchtbarkeit gibt – schließlich fällt bei uns ja genug Regen (auch wenn die vergangenen Sommer uns klar machen sollten, dass sich dies im Zuge des Klimawandels bereits drastisch ändert). Durch welche weiteren Einflüsse findet auch in Europa eine massive Zerstörung gesunder, fruchtbarer Böden statt?
Janine: Es gibt einige Gründe für den Rückgang der Bodenfruchtbarkeit, einige davon wären: Bodenverdichtung, beispielsweise durch den Gebrauch von schweren Maschinen, vor allem auf zu feuchten Böden. Der Anbau von Monokulturen führt zu einer einseitigen Ernährung des Bodenlebens, welches die Grundlage eines fruchtbaren Bodens ist. Stetiges Pflügen des Bodens durchmischt die verschiedenen Bodenschichten, wodurch der Aufbau gesunder Bodenhorizonte verhindert wird. Der Einsatz von Chemikalien führt zum Absterben vieler sensibler Arten des Bodenlebens, die wiederum die Grundlage der Bodenfruchtbarkeit sind. Exzessive Düngung führt zu einem oxidativen Bodenmilieu, welches den noch vorhandenen Rest-Humus verbraucht, so dass der Düngebedarf stetig zunimmt. Unbedeckter und unbewachsener Boden, zum Teil über Monate hinweg, hat zur Folge, dass das Bodenleben, welches auf die Photosynthese und den Schutz vor Sonneneinstrahlung von Pflanzen angewiesen ist, stirbt.
Man sieht: Viele gängige Praktiken der heutigen Landwirtschaft sorgen für weniger Leben im Boden. Allerdings ist genau dieses Leben die Grundlage für die Bodengesundheit bzw. Bodenfruchtbarkeit. Und diese ist wiederum die Grundlage für gesunde Pflanzen und in Folge dessen gesunde Lebensmittel.
In den letzten Jahren gab es sehr viele neue wissenschaftliche Erkenntnisse, welche genau diese Zusammenhänge belegen und das unglaubliche Netzwerk der abermilliarden Lebewesen im Boden als zentralen Aspekt herausstellen. Gleichzeitig zeigt uns auch die Natur als Vorbild, ganz ohne Wissenschaft, worauf es ankommt:
Die meisten Pflanzen, die unseren Kulturpflanzen ähneln, wachsen am besten in einem humosen, lockeren Boden, in einer vielfältigen Pflanzengesellschaft. Unbedeckten bzw. unbewachsenen Boden gibt es in der Natur nur auf Extremstandorten, z.B. nach Erdrutschen, Überflutungen oder dergleichen. Unsere einjährige Landwirtschaft simuliert also jedes Jahr diese »Extremstandorte« auf den Feldern.
Ein kritisches Argument, welches man im Zusammenhang mit einer ökologisch orientierten Landwirtschaft oft hört, ist deren geringere Flächeneffizienz – für die gleiche Menge Ertrag benötigt man also mehr Fläche als ein konventioneller Betrieb, der synthetische Dünge- und Pflanzenschutzmittel einsetzt. Welche Erfahrungen habt ihr in dieser Hinsicht gemacht? Fallen mit ökologischen Methoden die Erträge pro Fläche wirklich zwingend kleiner aus?
Janine: Nein. Das ist nicht immer der Fall. Es gibt Beispiele von ökologisch wirtschaftenden Betrieben, die (mindestens) einen genauso hohen Ertrag erzielen. Die Beobachtung zeigt allerdings, dass es stets ein paar Jahre Umstellungszeit braucht und natürlich gute landwirtschaftliche Methoden, um die natürliche Bodengesundheit aufzubauen und die Böden in ihre natürliche Ertragsfähigkeit zurückzuführen. »Einfach« nur die synthetischen Mittelchen wegzulassen, führt natürlich zu einer Ertragsminderung.
Gerade im Hinblick auf die Flächeneffizienz gibt es noch hinzuzufügen, dass diese sich auch erhöht, wenn der Betrieb sich nicht nur auf einen Sektor beschränkt, sondern verschiedene Betriebszweige miteinander kombiniert. Beispielsweise regenerativer Ackerbau und holistische Weidetierhaltung lassen sich gut miteinander verzahnen: Einerseits hat diese Kombination ein großes Potential für die Bodenfruchtbarkeit, zusätzlich finden hierdurch Mehrfachnutzungen des Ackers statt, und am Ende des Tages gibt es z.B. Feldfrüchte und Tierprodukte – von derselben Fläche.
Weiterhin nicht außer Acht lassen beim Thema Flächeneffizienz sollte man externalisierte Kosten und Umweltschäden. Im System der konventionellen Landwirtschaft sind diese leider immens, wohingegen das Ziel einer ökosystembasierten Landwirtschaft ist, funktionierende Ökosysteme zu schaffen, CO2 einzuspeichern, Artenvielfalt zu steigern und einen möglichst positiven Einfluss zu hinterlassen.
Welche Menschen stecken hinter dem Projekt? Wie ist die Idee zur Gründung des Hofs entstanden?
Janine: Zu Beginn waren mein Partner Paul Müller und ich auf der Suche nach einem Hof, auf welchem wir unsere Pläne für einen regenerativen landwirtschaftlichen Betrieb, getragen von einer starken Hofgemeinschaft, umsetzen könnten. Wir hatten zuvor in Holland bereits auf einem Hof gelebt. Dort hatten wir über 1,5 Jahre hinweg einen Betriebsplan entwickelt. Allerdings wäre es nicht möglich gewesen, den Hof in Gemeinschaft zu bewirtschaften und zudem wäre der langfristige Besitz in der Hand einer (großen) Familie geblieben, so dass uns die Zukunft der Agroforstsysteme zu ungewiss erschien. Daher haben wir uns wieder auf den Weg gemacht und durch glückliche Fügung Michael König in der Nordpfalz getroffen. Michael war auf der Suche nach Bewirtschafter*innen für den Kahlforster Hof, um diesen regenerativ zu bewirtschaften.
Seine und unsere Vision, eine zukunftsfähige Landwirtschaft zu fördern, hat uns dazu bewegt, gemeinsam die gemeinnützige Stiftung Zukunftsland zu gründen. Diese soll als Flächeneigentümerin langfristig die Flächen vor Privatinteressen schützen und dafür sorgen, dass die Flächen auch über Generationen hinweg regenerativ bewirtschaftet werden. Gleichzeitig ist das Ziel der Stiftung, durch Wissensvermittlung und gezielte Aktionen die Verbreitung der regenerativen Landwirtschaft zu fördern. Seit wir den Hof gefunden haben, haben wir uns weiter in die konkrete Planung vertieft und dann im Frühjahr 2020 nach weiteren Mitgründer*innen gesucht, die mit uns den Hof aufbauen würden. Nach zwei Visionstreffen hatte sich eine sehr liebenswerte Gruppe Menschen geformt, welche dem Hof einen Namen gaben: Hof Lebensberg.
Eines war klar: Die 30 Jahre unbewohnte Hofstelle wiederzubeleben und zu einem inspirierenden Modell- und Praxisbetrieb umzuwandeln, ist ein Lebenswerk. Die Kerngruppe aus der Gründungsphase hat im ersten halben Jahr bereits Großes geleistet. Die Infrastruktur auf dem Hof wurde aufgebaut, die Gemeinschaft hat sich soziokratisch strukturiert, eine große Crowdfunding-Kampagne wurde gestemmt und 30.000 Bäume und Sträucher wurden gepflanzt.
Momentan besteht die Hofgemeinschaft aus einem Kern von etwa 6 Menschen und einigen Praktikant*innen und Helfer*innen. Die Vielseitigkeit der Betriebszweige strebt allerdings Richtung 15 Menschen im Kernteam, weshalb wir nun auch auf der Suche nach weiteren Mitlandwirt*innen sind.
Wie lebt ihr auf dem Hof Lebensberg Gemeinschaft? Haben alle Mitarbeitenden auch ihren Lebensmittelpunkt auf dem Hof?
Janine: Wir leben gemeinsam auf dem Hof insofern, als dass wir die Mahlzeiten miteinander hier oben einnehmen, hier arbeiten und teilweise auch unsere Freizeit miteinander verbringen. Allerdings gibt es noch nicht genug Wohnraum für alle, um hier auch zu schlafen. Deshalb haben wir in den umliegenden Dörfern noch Wohnungen gemietet.
Wie finanziert ihr dieses kostenintensive Projekt?
Janine: Um nicht von einer einzelnen Bank abhängig zu sein, nutzen wir verschiedene Finanzierungswege. Einerseits arbeiten wir mit Darlehensgebern, wie etwa Ecosia oder der GLS-Bank, darüber hinaus arbeiten wir auch viel mit privaten Nachrangdarlehen. Aktuell suchen wir noch weitere Finanz- und Darlehensgeber.
Die Flächen und die Hofstelle selbst gehören der gemeinnützigen Stiftung Zukunftsland. Diese legt die Agroforstsysteme an und bewirtschaftet diese. Zur Finanzierung der Agroforstsysteme hat sie im letzten Herbst die Crowdfunding-Kampagne »Gemeinsam Zukunft pflanzen« durchgeführt, welche die Hofgemeinschaft Hof Lebensberg ehrenamtlich unterstützt hat. Sie ist nun bereits in der Planung einer weiteren großen Crowdfunding-Kampagne, welche nicht nur für die stiftungseigenen Flächen, sondern zur Förderung von Agroforstsystemen generell dienen soll.
Was war bislang eure größte Herausforderung bei der Gründung eures Betriebs? Und was war euer größter Erfolg, auf den ihr besonders stolz seid?
Janine: Die größte Herausforderung bisher ist die 40 Jahre lang nicht bewirtschaftete Hofstelle, welche immer wieder Überraschungen für uns bereithält. Wir haben die vergangenen Monate viele Stunden und Euros in das Herstellen einer Grundinfrastruktur gesteckt, Räume erschlossen, Scheunentore gesichert, meterweise Stromleitungen verlegt, Glasfaser organisiert und auch die Wasserversorgung wieder herstellen müssen. Aktuell können wir schon gut arbeiten. aber das Thema ist noch nicht durch. Des Weiteren stehen viele Regenrinnen, Wege, Scheunentore und Fundamentarbeiten an, um den Hof fit für die nächsten 40 Jahre zu machen!
Der größte Erfolg war die Crowdfunding-Kampagne, welche wir für die Stiftung Zukunftsland durchgeführt haben und mit der wir über 200.000 € von mehr als 1.000 Unterstützer*innen gesammelt haben. Und natürlich, dass wir daraufhin diesen Winter 30.000 Bäume und Sträucher gepflanzt haben!
Den Traum, eine Gemeinschaft zu gründen, die naturnah lebt und sich zum Teil mit Nahrung selbst versorgen kann, teilen sehr viele nachhaltigkeitsbewusste Menschen. Inwieweit ist deiner Meinung nach ein Lebensmodell, wie ihr es euch aufgebaut habt, auf eine große Zahl an Menschen übertragbar?
Janine: Der Hof Lebensberg soll ja nicht primär ein Selbstversorgerhof sein, sondern Lebensmittel produzieren, zum Teil weiterverarbeiten und verkaufen. Dementsprechend ist dieses Lebensmodell für Menschen übertragbar, die in die Landwirtschaft gehen wollen, jedoch regenerativ und im Einklang mit der Natur wirtschaften wollen. Man muss dies ja nicht in Gemeinschaft tun, das ist unsere persönliche Entscheidung und das mag für manche Menschen eher abschreckend sein, da hiermit stets auch Gruppenprozesse verbunden sind. Für andere Menschen mag es genau das richtige Lebensmodell sein, sich sozial stets weiterzuentwickeln, in Gemeinschaft zu wirtschaften und zu leben.
Unsere landwirtschaftlichen Ziele sind sehr ambitioniert und es erfordert einiges an Motivation, Tatendrang und Liebe für die Sache, diese auch umzusetzen. Aufgrund der noch starken Diskrepanz zwischen der anvisierten Vision und der momentanen Realität ist es ist sicherlich kein Projekt für Jederfrau*Jedermann, denn es braucht Pioniergeist und einen langen Atem. Gleichzeitig freuen wir uns auch schon auf die Zeiten, wo der erste Kraftakt geschafft ist und wir in etwas ruhigere Gewässer kommen. In der ersten Saison ist jedenfalls alles neu und auch sehr fordernd. Glücklicherweise haben wir ein starkes Team, das sich der Herausforderung stellt.
Welche Ratschläge könnt ihr Menschen mit auf den Weg geben, die ein ähnliches Projekt starten möchten? Wie finde ich z.B. ein geeignetes Grundstück?
Janine: Da gibt es natürlich sehr viele verschiedene Wege. Man könnte nach Höfen schauen, welche eine*n Nachfolger*in suchen. Es ist sicherlich hilfreich, einen guten Betriebsplan aufzubauen, um Finanzmittel zu akquirieren und sich auch des Umfangs des Projektes bewusst zu werden. Es macht auf jeden Fall Sinn, genug Zeit für Planung zu haben.
Wir haben den Hof schon seit mehr als 3 Jahren geplant und er entwickelt sich stetig weiter. Eine gute Portion Glück kam bei uns auf jeden Fall mit dazu – das wünsche ich allen, die sich auf die Suche machen! Unseren Traum fest im Blick zu haben und dann die richtigen Schritte einzuleiten, hat uns persönlich auch hierher gebracht.
Was sind eure nächsten Schritte und in welche Richtung möchtet ihr euren Betrieb langfristig weiterentwickeln?
Janine: Jetzt gerade ist es zentral, dass wir die erste Saison mit allen Strapazen gut überstehen. Marktgarten aufbauen, Gewächshausbau, Bewässerung verlegen, Zaunbau, Ackerbau, Geflügelhaltung, usw. Dann ist es natürlich sehr wichtig, dass wir unsere Vermarktung gut aufbauen. Hier sind wir bereits dabei, verschiedene Vermarktungskanäle zu entwickeln. Beispielsweise vermarkten wir unsere Produkte nach Frankfurt, Mainz und Wiesbaden über Hofly. Zudem planen wir verschiedene Marktstände in der Region wie z.B. Mainz. Wir planen auch den Aufbau von verschiedenen drop-off Punkten, wo wir unsere Abokisten hinbringen können. Mehr Infos dazu findet ihr auf unserer Homepage.
Zu unserem Projekt gehört noch die Baumschule »ackerbaum«. Auch hier haben wir aktuell viel zu tun und suchen noch Baumschulgärtner*innen. Die Baumschule bietet ein einzigartiges Sortiment essbarer Pflanzen für die Agroforstwirtschaft und die regenerative Landwirtschaft.
Übergeordnet spielen wir gerade mit dem Gedanken einer landwirtschaftlichen Genossenschaft für den langfristigen Zusammenschluss aller Hauptverantwortlichen hier am Hof. Die Genossenschaft scheint uns ein geeignetes Mittel, um gemeinsames Wirtschaften bei geteilter Verantwortung und geteiltem Erfolg durch eine Hofgemeinschaft zu realisieren.
Langfristig wollen wir hier einen lebendigen und inspirierenden Ort schaffen. Wir wünschen uns, dass der Hof in eine gute Wirtschaftlichkeit kommt, dass der Boden stetig fruchtbarer wird, die Artenvielfalt zunimmt und wir ein auch sozial und kulturell reiches Leben führen, für Kinder und Erwachsene.
Über Janine Raabe
Janine Raabe ist Mit-Initiatorin des Projektes und derzeit Geschäftsführerin der Hof Lebensberg GmbH. Seit drei Jahren ist sie zusammen mit Paul Müller in der Firma »Forest Farmers« in der Beratung für regenerative Landwirtschaft tätig. Zudem ist sie Mitgründerin der Baumschule »ackerbaum«, welche auf essbare Pflanzen spezialisiert ist.
Während ihres Studiums »International Forest Ecosystem Management« an der HNE Eberswalde hat sie sich bereits mit der Verbindung von Prozessen innerhalb von natürlichen Waldökosystemen und der Landwirtschaft beschäftigt. Während der letzten Jahre hat sie einige Weiterbildungen und Kurse zu Themengebieten wie beispielsweise dem Obstgehölzschnitt, der Permakultur, dem holistischen Weidemanagement, der syntropischen Landwirtschaft und der Agroforstwirtschaft besucht und vertieft. Praktische Erfahrungen in der Agroforstwirtschaft hat sie u.a. bei dem Schweizer Pionier der regenerativen Landwirtschaft Ernst Götsch in Brasilien gesammelt. Ernst Götsch hat durch seine hochproduktive Form der regenerativen Landwirtschaft bereits weltweite Beachtung erfahren.
Inspiriert davon, dass der Mensch Ökosysteme wieder regenerieren und dabei sogar gesunde Lebensmittel erzeugen kann, hat sie gemeinsam mit ihrem Partner Paul Müller angefangen, die Vision des Hofs zu entwickeln. Ein immer wiederkehrender Aspekt in ihrem Leben ist auch die Gründung einer nachhaltigen Lebenskultur in Gemeinschaft.
Du möchtest mehr erfahren? Dann geht es hier lang zur Homepage vom Hof Lebensberg.
Diese Artikel könnten dich ebenfalls interessieren:
Raus an die frische Luft! - Jobs, bei denen du draußen in der Natur arbeiten kannst