Mit eurem Startup VYLD stellt ihr nachhaltige Periodenprodukte aus einem erst einmal sehr ungewöhnlichen Material her – nämlich Meeresalgen. Wie in aller Welt seid ihr auf diese geniale Idee gekommen?
Ines Schiller: Danke erstmal, es freut uns sehr, dass ihr die Idee auch so spannend findet wie wir :) Die Idee kam tatsächlich, weil darin zwei Themen, die uns unglaublich am Herzen liegen, zusammen kommen: Geschlechtergerechtigkeit und die Ozeane. In meiner Ausbildung zum Marine Guide, eine Art »Meeres-Ranger«, habe ich das erste Mal gelernt, wie unglaublich vielseitig und nachhaltig Algen sind und in wie vielen Produkten sie heute schon enthalten sind, ohne, dass man das so richtig auf dem Zettel hat. In über 70% der verarbeiteten Lebensmittel, aber auch in Zahnpasta, Cremes und als Bioplastik in Verpackungen sind sie zu finden. Traditionellerweise werden Algen aufgrund ihrer natürlichen Saugfähigkeit und positiven Eigenschaften, wie z. B. entzündungshemmend zu sein, auch als Wundauflagen eingesetzt.
Seitdem hat mich der Gedanke nicht mehr losgelassen, dass man doch noch viel mehr aus ihnen machen könnte, um dadurch ein Bewusstsein in der Öffentlichkeit zu schaffen. Als ich mich mal wieder darüber geärgert habe, dass die vermeintlich nachhaltigen Periodenprodukte, die bisher auf dem Markt sind, entweder auch Plastik enthalten oder schlicht nicht gut funktionieren, war es eigentlich klar, da müssen wir ran, der »Tangpon« muss her!
Absorbieren die Tampons aus Meeresalgen genauso gut wie die klassischen aus Baumwolle? Welche gesundheitlichen Vorzüge haben die VYLD-Tampons?
Ines: Tatsächlich absorbieren sie sogar wesentlich besser als Baumwolle – durch ihre Lebensweise im Meer sind Algen von Natur aus saugfähig. Was aber aus unserer Sicht noch wichtiger ist – unsere Tampons können nicht nur Flüssigkeit absorbieren, sondern auch die Zellen. Denn wenn wir uns mal anschauen, was Menstruationsfluid eigentlich ist, dann besteht dieses nur zu ca. 30 % aus Blut, der Rest ist die abgestoßene Gebärmutterschleimhaut. Die gängigen Fasern sind zwar dafür optimiert, Flüssigkeit auszusaugen – so wird übrigens auch die Saugstärke getestet, mit einer gefärbten Salzlösung – aber die festen Bestandteile bleiben meist einfach außen »kleben«. Wir finden es wichtig, das Produkt Tampon wirklich aus der Anwendung heraus zu denken, dazu gehört eben auch, sich anzuschauen, was eigentlich aufgesaugt werden muss. Ein weiterer Vorteil unserer Algenfasern ist, dass sie das sehr unangenehme Trockenheitsgefühl von Baumwolle, das viele Menstruierende bemängeln, nicht mitbringen.
Auch die Periodengesundheit ist ein wichtiger Faktor bei der Entwicklung unseres »Tangpons«. Was genau das Toxische Schocksyndrom auslöst, das im Zusammenhang mit Tampons auftreten kann, haben bisherige Untersuchungen noch nicht zu 100 % herausgefunden. Studien weisen jedoch darauf hin, dass das Risiko bei Tampons aus Viskose und Plastik deutlich erhöht ist – und 90% der Tampons auf dem Markt bestehen daraus. Wir glauben, dass wir in der Entwicklung dieses Risiko reduzieren können und unsere Algenfasern einen entscheidenden Teil zur Sicherheit von Tampons beitragen können.
Was macht Meeresalgen zu einem überaus ökologisch nachhaltigen Material? Wo wachsen die Algen, die ihr für eure Produkte verwendet?
Ines: Algen sind ein echtes Wunderwerk, sie gehören zu den ältesten Pflanzen der Erde und wurden Jahrmillionen lang von der Natur »optimiert«. Sie sind ein »zero-input crop«, d.h. im Gegensatz zu landbasierten Pflanzen brauchen sie kein Trinkwasser, keine Pestizide, keinen Dünger und nicht einmal Land. Sie wachsen bis zu 10 mal schneller als Landpflanzen und können dabei große Mengen CO2 und Stickstoff binden. Sind sind die Kinderstube für unzählige Tiere, können zur Meeresentsäuerung beitragen und produzieren den Großteil des Sauerstoffs, den wir zum Atmen brauchen. So tragen sie entscheidend zur Meeresgesundheit bei.
In Europa werden Algen zurzeit vor allem wild geerntet, d.h. es wird einfach das eingesammelt, was sowieso angespült wird. Wir sind Teil einer globalen Bewegung, die sich für den Aufbau einer marinen Permakultur einsetzt, mit dem Ziel, den Algenanbau im großen Maßstab auf gesunde Weise zu etablieren und die Fehler der landbasierten Agrikultur nicht zu wiederholen. Unsere Algen können überall auf der Welt wachsen, sie sind extrem anpassungsfähig. Wir wollen zum Aufbau einer gesunden europäischen Algenwirtschaft beitragen und daher auch mit europäischen Algen arbeiten, die wir für unser »algaeverse« verwenden.
Das Thema Menstruation ist an vielen Stellen noch stark tabuisiert und enorm schambehaftet. Inwieweit möchtet ihr mit VYLD zur Enttabuisierung der Menstruation beitragen und einen offenen gesellschaftlichen Umgang fördern?
Ines: Wichtig ist zunächst einmal, überhaupt über die Bedürfnisse von Menstruierenden zu sprechen. Bereits die Reaktionen auf die Fragen, die wir in unseren Interviews mit Menstruierenden stellen (z.B. »Wie stehst du zu deiner Menstruation?« und »Bist du mit deinem Periodenprodukt zufrieden?«) zeigen, dass sehr wenig über das Thema gesprochen und reflektiert wird – einige der Interviewten sagten, das sei das erste Mal gewesen, dass sie darüber nachgedacht hätten. Die wenigsten Menstruierenden wissen, aus was ihre Periodenprodukte eigentlich bestehen und welche Risiken oder auch Vorteile es gibt.
Die Interviews zeigen uns auch, dass ein großer Bedarf nach wirklich nachhaltigen und gesunden Periodenprodukten, die gut funktionieren, besteht. Viele der Menstruierenden wollen nicht zur Plastikverschmutzung der Meere beitragen und suchen Alternativen (die viele aus verschiedenen Gründen nicht in Menstruationscups oder Periodenunterwäsche finden). Dadurch, dass das Thema Menstruation keinen Platz in der Gesellschaft hat, wird genau dieser Bedarf nicht deutlich. Die Auseinandersetzung damit wird auf jede*n Einzelne*n abgeladen, statt die Thematik in die Öffentlichkeit zu verlagern, damit ein Austausch stattfinden kann.
Auf der anderen Seite sind wir auch keine Fans von glorifizierender »Period Power«. Das aktive, extrem positive Reframing der Periode kann sicherlich kurzfristig empowernd wirken, aber ganz ehrlich, so toll ist es nicht, sich regelmäßig um seine Menstruation kümmern zu müssen. Aber es ist ganz schlicht und ergreifend ein natürlicher Prozess und als genau das sollte die Periode gesehen werden. Dieses (Wieder-)Verbinden mit der Natur ist für uns ein ganz wesentliches Puzzleteil im »großen Bild«. Denn die Unterdrückungsmechanismen, denen Menstruierende ausgesetzt sind, sind die gleichen, die genutzt werden, um die Natur auszubeuten. Ich glaube, die globalen Herausforderungen, vor denen wir stehen – die Zerstörung unserer Lebensgrundlage und die fortschreitende gesellschaftliche Spaltung anhand diverser Linien – sind nur lösbar, indem wir unser Selbstverständnis radikal überdenken und uns nicht mehr als etwas »neben« oder gar »über« der Natur verstehen. Wir sind es schlichtweg nicht, wir sind genauso Natur wie alle anderen Tiere auch.
Meine Arbeit als Nature Guide zeigt mir, wie unglaublich bestärkend es sein kann, wenn Menschen sich auf die Verbindung zur Natur einlassen. Wenn wir es mit den Produkten des täglichen Lebens schaffen können, Menschen nicht noch weiter von ihrer inneren und äußeren Natur zu entfremden, sondern gar beim (Wieder-)Verbinden unterstützen können, halte ich das für einen bemerkenswerten Hebel.
Welche Menschen stecken hinter VYLD und wie habt ihr euch als Gründungsteam zusammengefunden?
Ines: Melanie und ich haben uns im Rahmen eines Filmprojektes vor 10 Jahren an der Filmhochschule kennengelernt und dann schnell festgestellt, dass die Zusammenarbeit unglaublich gut funktioniert. Sowohl inhaltlich als auch menschlich schätzen wir uns und unsere jeweiligen Kompetenzen sehr und haben seitdem in verschiedensten Konstellationen, unter anderem an Kinofilmen und bei Mein Grundeinkommen e.V., zusammengearbeitet.
Für uns ist die Gründung von VYLD die Verbindung zwischen Erwerbsarbeit und gesellschaftlichem Engagement, das wir sowieso verfolgen. Die Bereitschaft, sich Dingen zu widmen, die ausschließlich ein Einkommen absichern, haben wir auch gar nicht mehr. Wir wollen nicht nur über das »Was« nachdenken, sondern auch über das »Wie« und wollen unsere Arbeit genauso nachhaltig und gesund gestalten wie unsere »Tangpons«.
Aktuell suchen wir Verstärkung im Bereich Social Media und R&D: Wenn sich also mutige Content Creator*innen oder geniale Wissenschaftler*innen (Biopolymere, Textilwissenschaft, Meeresbiologie etc.) unter den Leser*innen befinden, meldet Euch gerne bei uns!
In welcher Phase der Produktentwicklung befindet ihr euch gerade? Wo und wann wird es eure Produkte voraussichtlich zu kaufen geben?
Ines: Wir sind super stolz auf unseren Prototyp, der sich schon richtig gut bei den Absorptionstest schlägt. Derzeit entwickeln wir die für unsere »Tangpons« optimale Algen-Faser. Für die Faserverarbeitung und -optimierung arbeiten wir eng mit etablierten Forschungseinrichtungen zusammen. Noch dieses Jahr wollen wir die Faser so weit entwickelt haben, dass sie industriell zum Tampon verarbeitet werden kann. Im nächsten Jahr werden dann alle relevanten Tests durchgeführt, so dass wir anschließend in die erste Produktion gehen können.
Um die Forschung und Entwicklung zu finanzieren, sind wir auf der Suche nach weiteren Partner*innen, die genauso begeistert wie wir von den Chancen des »algaeverse« und der damit verbundenen »Triple Bottom Line« sind und ihr Kapital dafür nutzen wollen, ein regeneratives Unternehmen aufzubauen. Wir freuen uns von Menschen zu hören, die sich in dieser Beschreibung wiederfinden.
Was war in der Gründungsphase bislang eure größte Herausforderung?
Ines: Unser Projekt hat einen sehr hohen Innovationsgrad in einem Bereich, den man wohlwollend als »innovationsarm« bezeichnen kann: Im Grunde wurden Tampons seit ihrer Erfindung nicht wirklich verändert, es wurde eigentlich nur Plastik hinzugefügt. Wir sind bisher das einzige Unternehmen in Europa, das sich überhaupt mit alternativen Materialien auseinandersetzt und auch weltweit gibt es nur eine handvoll Projekte. Die gesamte Tampon-Lieferkette ist seit Jahrzehnten unverändert und extrem auf die gängigen Materialien Viskose und Baumwolle optimiert. Daher muss sich unsere Faser perfekt in die bestehende Infrastruktur einfügen. Dafür braucht es natürlich – für ein solches consumer product ungewöhnlich viel – Forschung und Entwicklung. Und die ist teuer, auch wenn wir sicher sind, dass sich die Investition am Ende auszahlen wird für die Menstruierenden und die Ozeane.
Wo habt ihr als Gründer*innen Unterstützung gefunden? Welchen Rat würdet ihr anderen angehenden Entrepreneur*innen mit auf den Weg geben?
Ines: Einen großen Teil der Unterstützung finden wir in uns selbst. Wir glauben an das unglaubliche Potential der Alge. Unsere Intuition stärken wir durch viel Recherche und zahlreiche Daten. Mittlerweile sind wir gut vernetzt in der Algen- und der Periodenwelt und haben eine große und einzigartige Inhouse-Expertise aufgebaut. Wir ziehen auch viel Inspiration durch den engen Austausch mit anderen Startups. Beispielsweise kollaborieren wir mit Mujo Labs (Berlin), die ein kompostierbares Algen-Plastik entwickeln.
Mit den allgemeinen Tipps ist es so eine Sache. Wir sind eigentlich keine Fans von Verallgemeinerungen, daher würden wir nur gerne mitgeben, dass wir gut damit fahren, aus uns heraus und in Kongruenz mit uns zu handeln, anstatt zu versuchen, es jemandem anderen nachzumachen oder es so zu machen, »wie man es eben macht« – die Zeit für business as usual ist definitiv vorbei und wir brauchen mutige neue Wege, wenn wir eine Zukunft haben wollen.
Über Ines Schiller
Ines Schiller hat schon während des Studiums ihre eigene Filmproduktionsfirma gegründet und mit dem FOGMA Manifest eine Kinobewegung ins Leben gerufen, die sich ganz dem kreativen Flow und der größtmöglichen Freiheit verschrieben hat. Ihre Filme (LOVE STEAKS, TIGER GIRL) waren weltweite Festivalerfolge und im Kino zu sehen. Als studierte Philosophin und Neurowissenschaftlerin liebt sie es, verschiedenste Welten zusammenzubringen und an der Schnittstelle zwischen Wissenschaft, Kunst und Wirtschaft zu arbeiten.
Bei Mein Grundeinkommen, einem Berliner Verein, der bedingungslose Grundeinkommen crowdfunded und verlost, war sie maßgeblich an der Organisationsentwicklung beteiligt und hat die erste 3-jährige wissenschaftliche Pilotstudie zum Grundeinkommen mitdesigned. Zuletzt hat sie beim Biotech Startup Bluu Biosciences das Business Development verantwortet und daran gearbeitet, zellbasiertes Fischfleisch direkt aus Zellen, anstelle von lebendigen Tieren, zu entwickeln.
Ines ist Mitglied der Deutschen Filmakademie, Mitbegründerin von CellAg Deutschland, einer NGO, die die zelluläre Landwirtschaft im deutschsprachigen Raum fördert, und last but not least ausgebildete Wildnispädagogin, Marine Guide und leidenschaftliche Taucherin. Ihre persönliche Mission ist es, zu einer ausbeutungsfreien Welt beizutragen, die alle menschlichen und nicht-menschlichen Tiere, sowie den Planeten gleichermaßen berücksichtigt.
Neugierig geworden? Hier geht es lang zur Webseite und zum Instagram-Account von VYLD.
Dieser Artikel ist Teil unserer Interviewreihe »Female Empowerment«. Lass dir die anderen spannenden Interviews nicht entgehen: