Mit OH WOMAN® habt ihr ein Gesellschaftsspiel entwickelt, das die Aufklärung und vor allem auch die Enttabuisierung des Themas weibliche Sexualität fördern soll. Wie ist diese Idee entstanden?
Stephanie Renz und Tania Hernández: Bei einem gemeinsamen Spieleabend während des ersten Lockdowns: Wir haben Kalaha, ein Holz-Strategiespiel, gespielt und dabei kam uns die Idee: Diese Mulden könnten doch jetzt auch Vaginen und Binden darstellen und die Spielsteine Blutstropfen!
Dieser Geistesblitz ;) gepaart mit unseren laufenden Diskussionen über mangelndes Wissen über den eigenen Körper als erwachsene Frau hat uns den Antrieb gegeben, aus einer Idee Wirklichkeit werden zu lassen.
Wie ist das Spiel aufgebaut und wie funktioniert das grundlegende Spielkonzept? Mögt ihr uns ein paar Beispielfragen aus dem Spiel nennen?
Steffi und Tania: Das Spiel ist für zwei Spieler*innen und basiert auf dem eben genannten Strategiespiel Kalaha, das mit dem Design von Vaginen, Binden und Blutstropfen aufgepeppt wurde. Zusätzlich haben wir das Spiel um 40 Fragen und Antworten rund um Periode, Zyklus und den Körper erweitert.
Bevor man*frau an das Spielbrett darf, stellt der*die Gegenspieler*in eine Frage. Erst wenn diese korrekt beantwortet wurde, dürfen die Blutstropfen (Spielsteine) gegen den Uhrzeigersinn gelegt werden.
Du suchst nach einem Job mit Sinn?
Du suchst nach einem Job mit Sinn?
Fragen sind zum Beispiel:
- Während der Periode soll man nicht schwimmen gehen. Richtig oder falsch?
- Periodenblut besteht nur aus Blut. Richtig oder falsch?
- Intimbehaarung ist unhygienisch. Richtig oder falsch?
Warum ist insbesondere das Thema Menstruation auch in der heutigen Zeit noch weitgehend ein Tabuthema, das im Alltag oft schambehaftet ist? Welche Folgen hat das für viele Mädchen, Frauen und Menstruierende?
Steffi und Tania: Schwierig, das kurz und knapp an einem Punkt festzumachen. Da kommt vieles zusammen: Klar ist, dass die Wurzeln in der menschlichen Geschichte liegen. Periode war immer etwas Schmutziges, etwas Unreines, ein Thema, das man im besten Fall verheimlicht. Gepaart mit weiblicher Sexualität, die gefühlt eh nicht stattgefunden hat. Wenn man sich überlegt, dass erst Ende der 90er herauskam, dass die Klitoris nicht nur eine kleine Perle ist, sondern ein 10 cm großer Schwellkörper… und jetzt sind wir im Jahr 2021. Schon krass.
Selbst heute zeigt uns noch die Werbung Frauen, die über Blumenwiesen hüpfen und – wenn überhaupt – nur weiße bis bläuliche Flüssigkeit von sich geben. Von Blut keine Spur… und davon, dass es vielen während ihrer Periode gar nicht nach Hüpfen zu Mute ist, ganz zu schweigen.
Und Schweigen führt zu einer Tabuisierung – und eben auch zu Unwissenheit. Und Unwissenheit steigert definitiv nicht das Selbstbewusstsein.
Deshalb ist es wichtig, die Enttabuisierung von Periode und weiblicher Sexualität voranzutreiben und dass wir Frauen und Menstruierende wissen, was in unserem Körper passiert. Zeigen, dass es vollkommen natürlich ist und den Menstruierenden dort draußen ihr Selbstbewusstsein geben. Denn Scham ist hier wirklich Fehl am Platz.
Inwieweit kann ein spielerischer Umgang dabei helfen, einen offeneren Zugang zu vermeintlich »peinlichen« oder gar tabuisierten Themen zu finden bzw. Frauen und Menstruierende zu empowern?
Steffi und Tania: Ein Spiel hat den Zweck, dass wir gemeinsam mit unseren Mitmenschen, seien es Freund*innen, Familie oder Kolleg*innen, Spaß haben, uns entspannen können. Ein Spiel sorgt für eine leichte und lockere Atmosphäre – und genau dieses Umfeld ist wichtig, wenn es darum geht, ein intimes und für viele noch unangenehmes Thema zu besprechen. Es schafft einen Safe Space und regt zum gemeinsamen Dialog über den eigenen Körper an. Und vor allem: Jede Altersgruppe spielt gerne :)
Richtet sich das Spiel ausschließlich an Jugendliche oder können auch Erwachsene noch etwas lernen? Und wo kommt euer Spiel bereits zum Einsatz?
Steffi und Tania: Das Spiel OH WOMAN® ist definitiv ein Spiel für alle Menschen. Denn wir sind davon überzeugt, dass eine gemeinsame Wissensbasis zu einem Austausch auf Augenhöhe beiträgt.
Das Spiel kommt nicht nur zu Hause, sondern auch bereits in zahlreichen Bildungseinrichtungen zum Einsatz, wie z. B. in Schulen, Bibliotheken und Jugendhäusern.
Auch sind wir stolz, dass uns das Institut für Sexualpädagogik in ihre Materialbörse aufgenommen hat.
Welche Rolle spielen eurer Meinung nach die Bildungseinrichtungen beim Thema sexuelle Aufklärung? An welchen Stellen besteht diesbzgl. eurer Meinung nach an den Schulen in Deutschland Verbesserungsbedarf?
Steffi und Tania: Frühzeitige Aufklärung und somit der Unterricht für Sexualkunde ist essentiell und ein absolutes Muss im Lehrplan. Körper und Sexualität verändern sich so stark im Alter von ca. 10 bis 17 Jahren, dass die Kids aufgeklärt werden müssen – und dass dies Zuhause passiert, kann oft nicht garantiert werden.
Leider ist der Unterricht oft sehr rational und starr gestaltet: Anatomie und die sehr biologische Beschreibung des Zeugungsaktes eines Kindes sind wichtig. Jedoch gibt es sehr viel mehr Themen, die nicht nur biologischer Natur sind, die einen zu dieser Zeit beschäftigen. Es gilt vor allem den Raum zu schaffen für Fragen, ohne ein Schamgefühl zu erzeugen! Stichwort: Dialog!
Es gibt mittlerweile Unternehmen, die Menstruierenden für die Zeit ihrer Periode bezahlten Sonderurlaub gewähren (»Menstruationsurlaub«; engl. menstrual leave). Während die Befürwortenden darin ein wichtiges Signal für die Entstigmatisierung der Menstruation sehen, kritisieren andere, dass die Menstruation dadurch noch stärker als »Krankheit« und Menstruierende als weniger leistungsfähig gebrandmarkt werden. Was ist eure Meinung zu derartigen Regelungen?
Steffi und Tania: Die Periode ist für den Körper ein wahrer Kraftakt und darf nicht unterschätzt werden. Jeder menstruierende Mensch leidet unterschiedlich stark unter der Periode. Wir finden, dass für Menstruationsbeschwerden seitens der Arbeitgeber Verständnis entgegengebracht werden muss. Das ist nichts, was belächelt oder unter den Tisch gekehrt gehört. Auch hier gelten die Stichworte: Dialog und Offenheit.
Was war beim Aufbau eures Business die bislang größte Herausforderung? Und was euer größter Erfolg, auf den ihr besonders stolz seid?
Steffi und Tania: Beginnen wir chronologisch: Unser größter Erfolg war bisher unsere Crowdfunding-Kampagne im letzten Herbst, mit der wir knapp über 20.000 € einsammeln konnten. Das war der Startschuss unserer unternehmerischen Reise.
Die größte Herausforderung? Schwierig, eine zu benennen, denn als Unternehmer*in steht man*frau jeden Tag vor Herausforderungen. Aktuell gilt es die Produktion zu optimieren und uns hier eine gute Infrastruktur aufzubauen. Das ist für uns absolutes Neuland, da wir aus der Designbranche kommen und dort ist als Arbeitsmittel einzig und allein dann der Laptop (und der Kopf) relevant.
Über Steffi & Tania
Bei diesem Gründerinnen-Duo treffen spanisches Temperament auf bayrische Coolness – bzw. vice versa: Tania, gebürtige Spanierin, und Steffi, gebürtige Münchnerin, haben 2019 das Branding & Designstudio what the fish® gegründet. Dort entwickeln Tania & Steffi Marken(-persönlichkeiten) für Startups und Unternehmen. Dabei war es beiden immer ein Anliegen, eigene Projekte anzustoßen – inspiriert von Kunst, Kultur und der feministischen Bewegung. So ist auch ihr zweites Unternehmen OH WOMAN® entstanden. Dort setzen sie sich für eine frühzeitige Aufklärung rund um das Thema Sexualität mittels Spiel & Spaß ein, um zum Dialog über den eigenen Körper anzuregen und Tabus zu brechen.
Neugierig geworden? Hier geht es lang zur Webseite von OH WOMAN.
Dieser Artikel ist Teil unserer Interviewreihe »Female Empowerment«. Lass dir die anderen spannenden Interviews nicht entgehen: