Verfolgt man die etablierten Nachrichten und Medienberichte, könnte man den Eindruck bekommen, die Welt bestünde nur noch aus Katastrophen, Hass und Skandalen. Welche negativen Konsequenzen hat diese oft einseitige Berichterstattung deiner Meinung nach auf uns als Individuen, aber auch auf den gesellschaftlichen Zusammenhalt?
Tom Waurig: Das ist sehr schwer zu beantworten. Es gibt ja nicht »den einen« Journalismus oder »die« Medien – das Angebot an Zeitungen und Magazinen ist riesig. Journalist*innen haben vor allem die Aufgabe, abzubilden, was ist. Und ohne Frage gibt es viele Katastrophen, über die berichtet werden muss. Positive Nachrichten fallen da als erstes hinten runter. Für mich geht es um ein vernünftiges Maß. Gleichzeitig belegen Studien immer wieder, dass Menschen dazu neigen, auf negative Meldungen stärker zu reagieren als auf positive. Und so gut wie alle Redaktionen, Verlage oder Medienhäuser sind darauf angewiesen, ihre Zeitungen auch zu verkaufen. Am besten funktioniert das sicher mit einem groß aufgemachten Skandal oder einer sehr düsteren Geschichte.
Mit dem Veto Magazin haben wir einen anderen Ansatz und wollen mit unserer Art der Berichterstattung Haltung zeigen. Entscheidend sind für uns all jene, die sich in Initiativen zusammenschließen, praktisch helfen und Projekte auf die Beine stellen. Wir wollen ihnen eine Bühne geben, damit sie auch gesehen und gehört werden, ihre Perspektiven im medialen Diskurs wahrgenommen werden. Es wurde in den letzten Jahren leider mehr über diffuse Ängste diskutiert, statt mutige Menschen in den Mittelpunkt zu rücken, die Dinge bewegen – und nicht ständig nur meckern. Wir orientieren uns an der Idee des konstruktiven Journalismus, wollen also vor allem über Lösungen sprechen. Wir haben zudem nicht den Anspruch, Meinungen zu machen, sondern denen zu Aufmerksamkeit zu verhelfen, die etwas zu sagen haben und an spannenden Visionen für unser Zusammenleben arbeiten.
Mit eurem Magazin Veto widmet ihr euch den Kernthemen »Protest und Engagement«. Welche Menschen werden bei Veto portraitiert und welche Mission verfolgt ihr?
Tom: Das ist ganz unterschiedlich! Wir haben all die Menschen im Blick, die progressive Ideen und Visionen für die Zukunft unseres Zusammenlebens haben. Menschen, die haupt- und ehrenamtlich in Initiativen, Vereinen, Verbänden oder Stiftungen arbeiten und dort organisiert sind. Veto dient als Plattform, auf der sie sich wiederfinden, mit ihren Wünschen und Herausforderungen.
Engagement oder Aktivismus finden heute jedoch nicht mehr nur in einem institutionellen Rahmen statt. Es gibt auch viele, die sich privat einsetzen. Denn durch die Aufnahme von Geflüchteten, das Aufkommen der AfD oder Pegida und die daraus folgenden Diskussionen sind Themen wie politische Bildung, Ausgrenzung, Radikalisierung oder Demokratieförderung längst keine mehr, die nur jene bewegen, die selbst betroffen oder in Initiativen organisiert sind. Es geht um Fragen, die eine breite Masse bewegen, weil viele nach Beispielen suchen, die Mut machen, und Ideen liefern, wie sie sich selbst einbringen können.
Welche Rolle haben gesellschaftliches Engagement und Aktivismus bei der Gestaltung von Transformationsprozessen? So manch eine*r könnte ja meinen, die Politik höre sowieso nicht auf den Willen der Zivilgesellschaft - dies wird z.B. in den viel zu laschen Klimaschutzmaßnahmen immer wieder deutlich.
Tom: Was wir festhalten können, ist Folgendes: Deutschland steckt in einer handfesten Krise. Es gibt immer wieder neue Themen, die die Gesellschaft spalten: Zuerst ging es um die Aufnahme von Geflüchteten, danach stand die Frage nach mehr Klimagerechtigkeit und nun ist es der Umgang mit der Corona-Pandemie. Das Land ist aufgewühlt und bisher Unsagbares wird auf einmal selbstverständlich ausgesprochen. Der gesellschaftliche Riss reicht weit tiefer, als viele es wahrhaben wollen. Denn bei immer mehr Menschen wächst das Unbehagen und sie suchen Halt, weil sie glauben, die Orientierung zu verlieren.
Und während die Politik nach Antworten sucht, wie sie mit der Wut umgehen soll, haben sich Engagierte längst auf den Weg gemacht, die Welt besser zu machen. Sie helfen also überall dort, wo Menschen in Not geraten, sie greifen ein, wenn andere ausgegrenzt werden und suchen nach Lösungen für gesellschaftliche Herausforderungen. Doch erfolgreiche Strategien und Projekte werden nur sehr selten kommuniziert oder untereinander geteilt. Die Aktiven brauchen daher vor allem eine starke Stimme. Und: Sie brauchen Wertschätzung für ihre Arbeit. Daran liegt aktuell das eigentliche Potential unserer Arbeit.
Eure allererste Ausgabe war dem Thema Klimagerechtigkeit gewidmet und ließ eine Reihe von Aktivist*innen zu Wort kommen, die radikale Maßnahmen zum Klimaschutz fordern - und auch selbst radikale Formen des Protests wählen. Was denkt ihr - sind die drängenden globalen Herausforderungen nur noch mit radikalen Lösungen zu bewältigen oder brauchen wir eher eine andere Diskussionskultur, die mehr auf Konsens abzielt?
Tom: Wir brauchen von allem etwas. Es braucht Menschen, die radikale Formen des Protests wählen, um auf die Dringlichkeit bestimmter Themen aufmerksam zu machen. Aber meistens folgt darauf ein langer Weg. Denn am Ende geht es immer auch darum, wie sich Forderungen in den politischen Prozess einbringen lassen, um in den Parlamenten eine Mehrheit für Veränderungen zu schaffen. Das ist das Wesen einer funktionierenden Demokratie. Und da gehört der Diskurs genauso dazu. Es geht gar nicht unbedingt um Konsens. Wir müssen in einer Gesellschaft darum streiten können, welche Ideen uns am sinnvollsten erscheinen.
Gibt es ein*e Interviewpartner*in oder eine Geschichte in eurem Magazin, die dich persönlich ganz besonders berührt oder beeindruckt hat?
Tom: Das ist eine echt schwierige Frage. Im Grunde aber steht jede Geschichte für sich und ist für sich besonders. Alle Engagierten haben so viel Herzblut für ihre Themen. Das ist immer wieder aufs Neue beeindruckend.
Zwei Geschichten sind mir aber tatsächlich sehr im Gedächtnis geblieben. Das ist zum einen unsere Recherche bei den Engagierten im Hambacher Forst. Wir haben dort eine Aktivistin kennengelernt, die uns über Stunden durch den Wald geführt und alles erklärt hat. Die Möglichkeit, so tief in eine Geschichte eintauchen zu können, war schon besonders. Auch sehr berührt hat mich eine Geschichte in unserer dritten Ausgabe. Ein Redakteur hat in Hannover einen Drogenkonsumraum besucht. Wir wollten zeigen, wie ideologisch die Debatten um solche Räume geführt werden. Dabei bieten sie vor allem eines: Schutz. In dem Text gab es einen Protagonisten, dessen Schicksal so berührend war, dass ich beim Redigieren Tränen in den Augen hatte.
Warum habt ihr euch in diesem immer digitaler werdenden Zeitalter für das analoge, gedruckte Print-Format entschieden?
Tom: Weil wir selbst Fans gedruckter Medien sind und das haptische Gefühl lieben, ein Magazin in die Hand nehmen zu können. Wir glauben nicht an das Ende von Print. Spezielle Themen wird und sollte es immer geben. Und wir finden, dass die Engagierten, über die wir schreiben, auch an den deutschen Kiosken eine mediale Bühne haben sollten.
Was ist die Geschichte zur Gründung von Veto? Welche Menschen stecken hinter dem Projekt?
Tom: Die Idee für das Veto Magazin entstand schon im Spätsommer 2018. Umgetrieben hat uns immer schon ein und dieselbe Frage: Wer ist das eigentlich, diese Zivilgesellschaft? Immer, wenn es irgendwo brennt, soll die es richten – aber wer da eigentlich angesprochen wird, bleibt unklar, geschweige denn, dass es darum geht, was Staat und Gesellschaft für diese ominöse Zivilgesellschaft tun können und sollten. Also haben wir uns umgeschaut und widmen mit Veto den Mutigen und Engagierten ein Magazin, weil sie es verdienen, mit ihren klugen Gedanken und Ideen von einer breiten Öffentlichkeit gesehen zu werden. Und denen, die finden, dass es höchste Zeit ist, sich einzumischen, wollen wir zeigen, wie es gehen kann.
Angefangen haben wir online mit 50 Porträts. Seit April 2020 gibt es uns auch als gedrucktes Magazin. Das war ein langer und steiniger Weg, aber wir sind glücklich, dass es geklappt hat. Susanne Kailitz, meine Kollegin, arbeitet schon seit zwei Jahrzehnten als freie Journalistin und bekam so Einblick in die Redaktionen des Landes. Ich habe zehn Jahre für eine Anti-Rechts-Initiative in Sachsen gearbeitet und unterschiedliche politische Bildungsprojekte umgesetzt. Dabei habe ich immer wieder erlebt, dass zivilgesellschaftliches Engagement in der alltäglichen Berichterstattung zu selten eine präsente Rolle spielt. Wenn doch, meistens dann, wenn irgendwo Neonazi-Übergriffe passieren. Dann sind auch immer die Engagierten gefragt und müssen erklären: wer, wieso, weshalb.
Wir gehen anders vor und wollen sichtbar machen, was die Engagierten im Land täglich leisten. Komplettiert wird die Redaktion von zwei Kreativen: Mandy Münzner (Grafik) und Benjamin Jenak (Fotograf). Im Büro sind wir insgesamt sieben Leute, die zum Beispiel auch politische Bildungsarbeit machen. Das Zusammenspiel und die unterschiedlichen Sichtweise von uns allen machen den besonderen Spirit von Veto aus.
Tom: Im vierten gedruckten Heft dreht sich alles um das Thema Wandel. Wandel ist immer. Die Welt um uns herum verändert sich andauernd, im Grunde täglich. Nichts ist starr oder gesetzt und wir alle können den Wandel mit beeinflussen. Geändert hat sich vieles in den letzten Jahrzehnten und alles bleibt im Fluss: Sprache zum Beispiel, Ideale, Identität. Der progressive Teil der Gesellschaft positioniert sich an der Spitze der erhofften Veränderung, findet sich in Bewegungen zusammen, stellt Forderungen auf und will Verantwortung für eine sich wandelnde Welt übernehmen. Die Politik hastet meistens müde hinterher, lässt sich nur selten treiben. Anderen dagegen ist Wandel unheimlich. Veränderung geht ihnen zu schnell. Sie halten daher lieber fest an alten Ideen und Überzeugungen – an dem, was eben »immer schon so war« und auch so bleiben soll.
Wandel ist anstrengend und schafft Ungewissheit, ist jedoch meistens auch dringend notwendig. Was gestern noch sinnvoll erschien und überzeugend war, muss es heute längst nicht mehr sein und morgen schon gar nicht. Veränderung und Neues brauchen mutige Menschen, die sich mit Begeisterung für ihre Ideen der Öffentlichkeit stellen und darum streiten. Und genau diese Menschen haben wir gesucht und getroffen, um sie in unserem neuen Heft zu versammeln und zu porträtieren.
Über Tom Waurig
Tom Waurig arbeitete zehn Jahre lang in der politischen Bildung und war Initiator verschiedener Jugendprojekte in Sachsen. 2018 gründete er die Kommunikationsagentur Die Rederei gUG und leitet diese heute als Geschäftsführer. Außerdem ist er mitverantwortlich für das Veto Magazin, ein journalistisches Projekt, das sich der engagierten Zivilgesellschaft widmet. Waurig studierte Politik- und Kommunikationswissenschaft an der TU Dresden. Sein Antrieb ist es, den Engagierten im Land und darüber hinaus eine Bühne zu bieten.
Du hast Lust auf gute Nachrichten? Dann geht es hier lang zur Website des Veto Magazins.
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