Diskurs statt Filterblase: Die Nachrichten-App »Buzzard« rüstet dich mit einem neuartigen Medienzugang gegen Extremismus und Hetze

Demokratie braucht Diskurs. Diesem Grundsatz folgend, will »Buzzard« ein Medium schaffen, das die Gesellschaft zusammenhält, statt sie durch Populismus und einseitige Berichterstattung zu spalten. Die Online-Plattform liefert dir jeden Tag zu aktuellen Themen das gesamte Meinungsspektrum. Wie genau »Buzzard« deine Filter Bubble platzen lässt und warum es für unsere Gesellschaft so wichtig ist, sich auch mit anderen Meinungen als der eigenen zu beschäftigen, verrät uns Gründer Dario Nassal im Interview.
Foto: © Alisa Sonntag
von Charlotte Clarke, 28. November 2019 um 11:17

Mit eurer App Buzzard wollt ihr einen neuen Zugang zur Nachrichtenwelt ermöglichen und damit Extremismus und Populismus etwas entgegen setzen. Wie genau sieht das Konzept von Buzzard aus? 

Dario Nassal: Buzzard ist eine App bzw. eine Online-Plattform, auf der wir die wichtigsten Meinungen im Netz zu den Themen und Debatten des Tages zusammenfassen. Dazu schaut sich unser Team aus Redakteur*innen die gesamte Medienlandschaft an, darunter u.a. Blogs, deutsche sowie internationale Zeitungen etc. und kuratieren aus diesen Medien die verschiedenen Meinungen vom ganzen Medienspektrum, also von links bis rechts, von ökologisch bis liberal. Buzzard ist also ein Werkzeug, mit dem man einmal am Tag über diese verschiedenen Meinungen im Netz den Überblick bekommt. Entweder als App, am PC oder als Audio zum Anhören.

Warum haben es Mediennutzer*innen heutzutage so schwer, sich selbst einen Überblick über ein breites Meinungsspektrum zu schaffen?

Dario: Ich glaube, wir leben in einer Zeit der Informationsüberflutung. Man müsste sehr lange suchen, um verschiedene Meinungen heraus zu destillieren. Wenn man z.B. nur Online-News liest, dann sind das sehr oft die gleichen Meldungen zu aktuellen Themen, die nur in unterschiedlichen Zeitungen veröffentlicht werden, weil alle Online-News sehr schnell auf aktuelle Ereignisse reagieren müssen. Wenn man aber tatsächlich die verschiedenen Positionen finden möchte, die in der Gesellschaft zu dem Thema existieren, muss man eben auch abseits großer Zeitungen suchen, auch auf Blogs unterwegs sein, sich auch die internationalen Positionen anschauen sowie herausfinden, was Wissenschaftler*innen und Aktivist*innen abseits des journalistischen Zirkels sagen - man muss letztendlich sehr lange suchen und die meisten Menschen heutzutage haben angesichts der Informationsflut nicht mehr die Zeit, sich selbst den Überblick zu verschaffen, tiefgehende Recherchen durchzuführen und gezielt mehrere Autor*innen zu verfolgen. Genau dies versuchen wir, mit Buzzard einfacher zu machen.

Zusätzlich werden durch Algorithmen von z.B. Internet-Browsern und Social Media sog. »Filterblasen« erzeugt, innerhalb derer nur die eigene Meinung immer und immer wieder gespiegelt wird. Welche Auswirkungen haben diese Algorithmen auf individueller und gesellschaftlicher Ebene? Warum ist es so wichtig, sich auch mit Meinungen zu beschäftigen, die völlig gegensätzlich zu der eigenen sind?

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Dario: Filterblasen sind ein riesiges Problem für die Gesellschaft an sich, weil sie bedeuten, dass immer mehr Menschen in ihrer eigenen Welt unterwegs sind, ihre eigenen Ansichten immer und immer bestärkt werden und dadurch kein gesamtgesellschaftliches Gespräch, kein Dialog mehr stattfindet. Das heißt, das Fundament einer Demokratie, nämlich die Diskussion zwischen verschiedenen Meinungen, findet im Netz immer weniger statt und wird immer schwieriger. Problematisch daran ist, dass wir dann auch keine Lösungen mehr für die großen Probleme unserer Zeit finden können, die tatsächliche alle Menschen erreichen und mitnehmen. Dies sieht man zurzeit am Beispiel des Klimawandels sehr deutlich: Die einen sagen, es gebe keinen menschengemachten Klimawandel, die anderen seien »Klima-Nazis«, die wiederum andere als »Klima-Sünder« bezeichnen. Zwischen den beiden Seiten findet kein Gespräch mehr statt und das führt eben dazu, dass es keine Lösungen bzw. keine Klimapolitik gibt, die tatsächlich alle erreicht und mit der wir den Klimawandel wirksam bekämpfen können – und zwar so, dass ein gesamtgesellschaftlicher Konsens dazu entsteht.

Auf der individuellen Ebene ist es so, dass es extrem wichtig ist, seine Mitmenschen zu verstehen. Denn wenn wir das nicht tun, werden wir Menschen, die eine andere Meinung haben, auch mit Unverständnis begegnen und vielleicht sogar wütend oder emotional reagieren und genau das schürt diese Wut und diesen Hass, den man im Netz viel sieht, weil man oft kein Verständnis dafür hat, wie andere Menschen überhaupt anderer Meinung sein können. Genau diese Toleranz ist aber der Kern einer demokratischen Gesellschaft und macht den Kern unseres Zusammenlebens aus. Je ungeduldiger die Menschen werden mit anderen Meinungen, weil sie eben nur gewöhnt sind, ihre eigenen Ansichten zu bestätigen, desto aggressiver wird der Ton, desto aggressiver wird der Diskurs, den wir erleben. Wozu das führt, sieht man im Einzelfall daran, dass es immer mehr radikale Taten gibt, die auf radikalen Worten aufbauen.

Streng genommen bekomme ich in der Buzzard-App ja auch Inhalte vorgeschlagen, die in gewisser Weise vorgefiltert wurden. Aus welchen Quellen und nach welchen Kriterien wählt ihr die Artikel aus, die in der App angezeigt werden? Wie stellt ihr bei der Auswahl ein größtmögliches Maß an Objektivität her?

Dario: Das ist eine sehr wichtige Frage. Grundsätzlich versuchen wir, einen möglichst breiten Pool an Quellen, den es in Deutschland sowie im Ausland zu aktuellen Themen gibt, zu Rate zu ziehen. Das heißt, wir machen keine Einschränkungen ob links- oder rechtspolitisch bzw. ökologisch oder liberal. Wir haben eine große Datenbank und schauen uns diese ganzen Quellen an. Danach versuchen wir, die verschiedenen Antworten, die es dazu in der Gesellschaft gibt, abzubilden – unabhängig von unserer persönlichen Meinung. Wir zeigen, welche Befürworter*innen und Gegner*innen es zu diesem Thema gibt und welche Argumente in den verschiedenen Lagern verwendet werden. Das ist also unser wichtigstes Kriterium – die Unterschiedlichkeit der Perspektiven, die ganz unabhängig von unserer eigenen Meinung ist.

Darüber hinaus haben wir einige weitere Kriterien, wie z.B. ob internationale Perspektiven aus dem Land, über das sie berichten, selbst stammen, ob es im Vergleich zur Berichterstattung in den Massenmedien eine neue oder originelle Perspektive ist oder ob es sich um einen konstruktiven Lösungsansatz handelt (falls ja, fokussieren wir diesen stärker) oder – gerade bei nicht-journalistischen Quellen – ob es sich um eine Perspektive von einem direkt betroffenen Menschen handelt.

Braucht es nicht ziemlich viel Zeit, sich bei Buzzard so umfassend zu informieren? Wie geht ihr mit den oftmals sehr kurzen Aufmerksamkeitsspannen der Nutzer*innen digitaler Medienkanäle um?

Dario: Ein sehr wichtiger Aspekt unserer App ist, dass wir jeden Beitrag kurz zusammenfassen, d.h. man bekommt eine kurze Zusammenfassung des Themas sowie eine kompakte Zusammenfassung zum Fokus der Berichterstattung (d.h. was die größten Medien sagen). Dies kann man in einem Absatz lesen. Dann erhält man die verschiedenen Argumente auf einen Blick und kann, wenn man tiefer gehen möchte, eine kurze Zusammenfassung der einzelnen Beiträge lesen und gelangt bei Bedarf natürlich auch zu den kompletten Originalquellen. Das heißt, unsere Zusammenfassung kann man sich einmal am Tag für 15 Minuten anschauen, dann hat man alle wichtigen Themen und Quellen mitbekommen und wenn man dann ins Detail gehen will, kann man auch in die Originalbeiträge gehen.

Foto: © The Buzzard UG

Mit Hilfe einer Crowdfunding-Kampagne, die noch bis zum 08. Dezember 2019 läuft, wollt ihr nun durchstarten. Was ist das Besondere an eurem Crowdfunding und was genau soll finanziert werden?

Dario: Dieses Crowdfunding ist für uns der alles entscheidende Schritt für die Zukunft dieses Projektes. Denn damit möchten wir unsere Tagesredaktion finanzieren, die künftig diese App mit Inhalten versorgen wird. Es soll ja jeden Tag ein Format veröffentlicht werden, für das wir eine Tagesredaktion bezahlen müssen, damit diese täglich an den Inhalten arbeiten kann. Die Finanzierung dient also dazu, dass wir professionell arbeiten können. Über diese Kampagne wird sich also die Zukunft dieses Projekts entscheiden. Wenn wir unser Ziel nicht erreichen, können wir die Online-Plattform nicht bereit stellen.

Das Besondere an der Kampagne ist, dass es sich nicht um ein klassisches Crowdfunding im Sinne einer Produktvorfinanzierung handelt, sondern dass man für 5 Euro im Monat Mitglied bei Buzzard werden kann und ab dem Startzeitpunkt der App ein Jahr lang alle Inhalte lesen kann- Zusätzlich kann man mitentscheiden, welche Inhalte und Themen gesetzt werden, kann selbst Artikel vorschlagen, in Diskussion mit anderen Buzzard-Mitgliedern treten sowie die Kriterien einsehen, nach denen wir auswählen. Wir gehen also ein ähnliches Mitglieder-Finanzierungsmodell an wie Krautreporter, die dieses Modell in Deutschland bekannt gemacht haben.

Wie ist die Idee zur Gründung von Buzzard entstanden? Welchen fachlichen Hintergrund bringt das Gründerteam mit und wie habt ihr zueinander gefunden?

Dario: Mein Mitgründer Felix Friedrich und ich haben zusammen Politikwissenschaften studiert und nebenher in großen Medienhäusern gearbeitet, ich unter anderem bei der Süddeutschen Zeitung. Die Idee ist entstanden, weil uns auch bei Auslandsaufenthalten, z.B. einem Semester in Istanbul, aufgefallen ist, dass die Situation vor Ort viel komplizierter ist und es ganz andere Blickpunkte auf die Situation gab als das, was ich in der Tagesschau gesehen habe oder zum Teil auch in anderen deutschen Medien gelesen habe. Da ist mir klar geworden, dass man für die Abbildung der tatsächlichen Situation z.B. auch die Positionen von Blogger*innen und Politikwissenschaftler*innen aus diesen Ländern mitbekommen müsste oder von Menschen, die vor Ort protestieren. Das gleiche ist auch Felix aufgefallen und darüber haben wir uns aufgeregt – z.B. darüber, wie damals über die Griechenlandkrise diskutiert wurde. Das fanden wir sehr schade, denn dadurch entstehen Debatten, die polarisiert und verkürzt sind. Eigentlich sind diese ganzen Stimmen ja da, man könnte sich also umfassend informieren, aber man muss diese verschiedenen Meinungen eben finden und das dauert für den/die Einzelne*n zu lange. Also dachten wir, dass wir so viel verändern könnten, wenn wir eine Plattform schaffen, wo man diese vielen verschiedenen Stimmen auf einen Blick sieht.

Zum Gründungsteam: Wir beide haben journalistische Kompetenzen und Erfahrungen sowie einen Master in Politikwissenschaften. Im Kernteam haben wir noch jemanden, der sich mit Marketing beschäftigt und für viele große Agenturen arbeitet, aber gleichzeitig auch eine journalistische Ausbildung hat, einen Webentwickler und einen Designer. Darüber hinaus arbeiten viele Menschen in der Redaktion, die als freie Mitarbeiter*innen mit an den Debatten beteiligt waren, die wir in den vergangenen 1,5 Jahren veröffentlicht haben. 

Ihr bezeichnet euch selbst als »Social Journalismus«-Startup. Was macht für euch ein »Social Business« aus? Welche Mission verfolgt ihr selbst mit Buzzard?

Dario: Wir möchten mit Buzzard die Art verändern, wie Menschen Medien konsumieren. Ich glaube, es ist extrem wichtig, dass wir in unserer Gesellschaft neue Debatten anstoßen, die Medienvielfalt stärken und dass Menschen wieder mehr Verständnis für Andersdenkende haben. Diese Ziele sind uns wichtiger als z.B. einen schnellen Exit (Anm. d. Red.: Verkauf der eigenen Unternehmensanteile mit einem möglichst hohen Gewinn, in der Regel nach einer starken Wachstumsphase) hinzulegen, was uns wahrscheinlich am ehesten von einem klassischen, gewinnorientierten Startup unterscheidet. Wenn wir es schaffen, unser Unternehmen so aufzubauen, dass wir eine Redaktion bezahlen können, ist unser wichtigstes Ziel erreicht. Es geht uns also nicht darum, dass wir in kurzer Zeit so stark wachsen müssen, dass wir Millionäre sind und uns aus dem Unternehmen zurückziehen können, sondern Medienkonsum und Medienbildung positiv zu beeinflussen.

Was waren bisher eure größten Herausforderungen in der Gründungsphase und wie seid ihr diesen begegnet?

Dario: Ich glaube, eine der größten Herausforderungen war, dass wir noch nicht viele Erfahrungen als Unternehmer hatten. Wir sind erst einmal mit der Idee gestartet und haben dann, nachdem wir beide in Nebenjobs gearbeitet hatten, losgelegt. Ich habe z.B. einen Sommer lang bei einem großen Unternehmen Motoren zusammen geschraubt und dachte mir anschließend: »Okay, ziehen wir einfach mal zusammen in eine WG und starten dieses Projekt«. Das war auf jeden Fall eine spannende Zeit. Wir haben dann glücklicherweise direkt zu Beginn Förderpreise und -gelder gewonnen, haben aber erst dann im Gründerprogramm des Media Lab Bayern überhaupt das Einmaleins der Startup-Gründung gelernt, z.B. wie man Nutzerumfragen durchführt. Den ersten Prototypen hatten wir zuvor einfach mal entwickelt, ohne vorher eine*n einzige*n Nutzer*in zu fragen, wie er bzw. sie das findet und haben uns dann gewundert, warum nicht wirkliche viele Menschen diese Plattform nutzen – klassischer Fehler! Im Laufe der letzten zwei Jahre haben wir jedoch gemerkt, dass wir, z.B. in den Entscheidungen, die wir treffen, immer mehr als Unternehmer denken.

Für eure Idee habt ihr sehr renommierte Unterstützer*innen gewinnen können, darunter namhafte Medienhäuser und Journalist*innen. Was war eure Strategie, um sie von eurer Idee zu überzeugen? Welchen Rat würdet ihr anderen Gründer*innen mit auf den Weg geben?

Dario: Wir sind unglaublich dankbar, dass uns so viele Menschen, z.B. bei unserer Crowdfunding-Kampagne, unterstützen – wir sind darüber selbst total überrascht und das stimmt uns sehr positiv. Es ist ein schönes Zeichen, dass es innerhalb dieser Branche so viel Solidarität gibt.

Um das zu erreichen, haben wir einfach E-Mails an Menschen geschrieben, von denen wir das Gefühl hatten, dass sie auf derselben Reise sind und verstehen, was unser Anliegen ist, weil sie sich selbst schon einmal mit diesem Thema befasst haben. Mein Ratschlag an andere Gründer*innen ist, dass man es oftmals unterschätzt, wie viel Bereitschaft zur Unterstützung es dort draußen gibt, wenn man wirklich für sein eigenes Ziel wirklich brennt  und dieses das Potential hat, die Gesellschaft positiv zu verändern. Auf jeden Fall sollte man mit seiner Idee viel nach draußen gehen und es einfach vielen Menschen erzählen, sie einfach fragen und sich nicht zu schade zu sein, um einen Gefallen zu bitten. Ich war selbst überrascht davon, aber es scheint so zu sein, dass die Menschen in dem Falle bereit sind, etwas dafür zu tun, wenn sie sehen, dass man das nicht nur aus Eigeninteresse macht, sondern die Vision verstehen. Keine*r unser Unterstützer*innen macht das, weil sie Geld von uns bekommen, sondern weil sie finden, dass es ein wichtiges Projekt ist.

Neugierig geworden? Weitere Infos findest du auf der Website von Buzzard.

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