Was bedeuten die Klimaziele der DAX-Konzerne wirklich? Wie ein Startup mit einer simplen Zahl Transparenz schafft: »Das Klima interessiert sich ja nicht für Ziele.«

Klimaziele - die hat mittlerweile so gut wie jedes größere Unternehmen. Die lesen sich meist ziemlich ambitioniert. Ein Klassiker: »Klimaneutralität bis zum Jahr soundso.« Doch trägt dies wirklich zum Erreichen des
Foto: © Farideh Fotografie
von Charlotte Clarke, 6. Mai 2020 um 10:01

Mit der Software von right. based on science unterstützt ihr Unternehmen dabei, die Auswirkungen ihrer Geschäftstätigkeit auf den Klimawandel zu analysieren. Was ist das Besondere an eurer »Climate Impact«-Analyse? 

Dr. Sebastian Müller: Unser Modell setzt die Emissionsintensität eines Unternehmens ins Verhältnis zu seiner wirtschaftlichen Leistung. Besonders dabei ist, dass es ein ökonomisches Modell ist, das zugleich eine sehr starke klimawissenschaftliche Basis hat. Wir bringen also wirtschaftliche Realität und wissenschaftliche Erkenntnis zusammen. Aus diesen sehr komplexen Prozessen machen wir eine ganz einfache Zahl, die aussagt: Wenn die ganze Welt so wirtschaften würde wie das betrachtete Unternehmen, würde sich das Klima um X°Celsius erwärmen.

Könnt ihr das von euch entwickelte »X-Degree Compatibility« (XDC) Modell genauer erklären? Welche Vorteile hat das Modell im Vergleich zu den bisher üblicherweise angewandten Analysemethoden?

Sebastian: Das XDC Modell hat im Kern drei Prozess-Schritte. Erstens: Wie viele Emissionen generiert ein Unternehmen, um eine Million Euro Bruttowertschöpfung zu erreichen? Zweitens: Wie viele Emissionen würden entstehen, wenn die gesamte Weltwirtschaft ebenso emissionsintensiv wäre? Drittens: Wie stark würde sich die Erde dadurch bis 2050 voraussichtlich erwärmen? Was dabei herauskommt, ist eine Zahl in Grad Celsius – die XDC. Dann schauen wir, auf welchen sektorspezifischen Grad Celsius-Wert das Unternehmen kommen müsste, um Paris-kompatibel (Anm. d. Red: Gemeint sind hier die 2015 auf der Pariser Klimakonferenz festgelegten Ziele der Vereinten Nationen) zu sein (wir nennen das Ziel-XDC). Der Sektor-Bezug ist dabei wichtig, weil manche Branchen (zum Beispiel Telekommunikation) einfach von Natur aus weniger emissionsintensiv sind als andere. Dort können entsprechend niedrigere Ziel-XDCs angesetzt werden.

Das Modell hat ein paar Alleinstellungsmerkmale: Zum einen die Integration eines wissenschaftlichen Klimamodells. So arbeiten andere bisher nicht. Zum anderen ist es nicht nur auf Unternehmen anwendbar, sondern beispielsweise auch auf Investmentfonds, Staaten, Immobilien oder sogar Einzelpersonen. Damit bietet es die Möglichkeit, alle Akteur*innen im Markt mit einer einheitlichen »Sprache« zu verbinden. Das hat bisher gefehlt. 

Wie genau können Unternehmen die Ergebnisse der XDC-Analyse nutzen? Könnt ihr dazu vielleicht ein konkretes Beispiel nennen? Wie unterstützt ihr die Unternehmen bei der Ableitung von Maßnahmen?

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Sebastian: Für unsere Kund*innen schafft das Modell erst einmal Transparenz und Klarheit. Eine Grad-Celsius-Zahl ist griffig. Ich kann sie verstehen, auch wenn ich selbst kein*e Ökonom*in oder Klimawissenschaftler*in bin. Durch den Vergleich mit dem Sektor und mit der Ziel-XDC können die Kund*innen außerdem einschätzen, wo sie aktuell im Wettbewerbsvergleich stehen und wie weit sie noch von der Paris-Kompatibilität entfernt sind. Damit ist das Modell auch ein gutes Mittel zur Risikobewertung und – das ist für viele Unternehmen besonders wichtig – es hilft bei den verpflichtenden Reportings.

Wenn es um die Erarbeitung oder Prüfung einer bestehenden Klimastrategie geht, können wir mit den Kund*innen auch verschiedene Szenarien modellieren – etwa um zu schauen, inwieweit Maßnahmen, die sie bereits geplant haben, sich hinreichend positiv oder negativ auswirken würden. Mit der Continental AG arbeiten wir zum Beispiel derzeit daran, ganz konkrete Investitionsvorhaben mit dem XDC-Modell auf ihre Klimaverträglichkeit hin zu prüfen. Das kann die Entscheidungsfindung unterstützen. Die Entscheidung bzw. die Strategie selbst liegt dann aber immer noch beim Unternehmen. Wir machen Analysen, keine Vorgaben.

Kann das XDC-Modell auch bei Unternehmen zum Einsatz kommen, die keine materiellen Güter produzieren und daher nur vergleichsweise geringe direkte CO2-Emissionen aufweisen, z.B. Dienstleistungsunternehmen wie Banken oder Versicherungen? Erfasst euer Modell auch indirekte Emissionen, z.B. durch die Investitionen, die diese Finanzdienstleister tätigen?

Sebastian: Ganz genau. Unser Modell kann direkte Emissionen (Scope 1), den Energieverbrauch (Scope 2) und die indirekten Emissionen entlang der gesamten vor- und nachgelagerten Lieferkette (Scope 3), also beispielsweise den CO2-Ausstoß durch Geschäftsreisen, nutzen. Bei den Dienstleistungs- oder Finanzunternehmen machen Letztere natürlich den größten Anteil aus. Hier berücksichtigen wir dann auch, welchen Impact die Investments, Kredite oder gehaltenen Immobilien haben.

Viele Unternehmen bekennen sich mittlerweile zu ihrer ökologischen und sozialen Verantwortung und haben sich (scheinbar) hohe Klimaschutzziele gesetzt. Oftmals wird mit dem Ziel »Klimaneutralität« geworben, die innerhalb der nächsten Jahrzehnte realisiert werden soll. In einer umfassenden Studie habt ihr Auswirkungen von den 30 größten deutschen DAX-Unternehmen formulierten Klimaschutzziele untersucht. Was waren eure Kernergebnisse? Wie bewertet ihr vor diesem Hintergrund Ziele wie »Klimaneutralität«?

Sebastian: Der bisherige Stand zeigt, dass in der deutschen Wirtschaft noch Luft nach oben ist, was die Reduktion von Emissionen angeht. Aber genauso haben wir auch gesehen, dass viele Unternehmen sich darüber durchaus im Klaren sind und auch sehr ambitionierte Ziele gesteckt haben. Die Allianz zum Beispiel würde sich mit ihren kommunizierten Plänen von einer aktuellen XDC von 3,2°C auf 1,5°C verbessern. Genauso konnten wir aber ganz gut verdeutlichen, dass teilweise auch die ambitioniertesten Pläne auf dem Weg zur Pariskompatibilität (< 2°C-Welt) noch nicht ausreichen.

Mit den Klimazielen ist das deshalb auch so eine Sache: Das Klima interessiert sich ja nicht für Ziele. Viel wichtiger als Ziele für in 10, 20 oder 30 Jahren sind deshalb die jährlichen Reduktionsraten ab jetzt. Wenn also ein Unternehmen anstrebt, in 2050 klimaneutral zu sein, aber bis 2049 noch munter Emissionen in die Luft bläst, nützt das wenig.

Im Übrigen müssen Unternehmen oder Branchen nicht auf null Emissionen kommen, um die Pariser Klimaziele zu erreichen. Deshalb ermitteln wir auch die sektorspezifische Ziel-XDC, die gibt dazu eine gute Orientierung. Denn: Ohne einen halbwegs gesunden Planeten gibt es auch keine gesunde Wirtschaft.
 


 

Wie habt ihr die Kooperationsbereitschaft der Unternehmen erlebt, die in der Studie genannt wurden? Bei einigen Unternehmen wurde sehr deutlich, dass deren Klimaschutzziele bei weitem nicht ausreichen, um einen positiven Beitrag zur Einhaltung des globalen 2-Grad-Ziels zu leisten. Wie waren die Reaktionen seitens der Unternehmen? 

Sebastian: Die meisten Unternehmen haben tatsächlich sehr offen reagiert. Zum Beispiel haben e.on und RWE uns bereitwillig mit Informationen im Hinblick auf den Tausch von innogy weitergeholfen, die wir sonst nicht in der gleichen Weise hätten berücksichtigen können. Manche Unternehmen waren zunächst etwas skeptisch, haben dann aber mehr Interesse gezeigt, nachdem wir ihnen unseren Ansatz erläutert haben. Dazu muss man natürlich auch sagen, dass dies der erste #whatif Report war und wir sind als junges Unternehmen natürlich auch noch nicht allen ein Begriff. Aber in diesem Jahr machen wir einen neuen Report und wir sind gespannt, wie die Teilnahme diesmal ausfallen wird.

Was ist die Geschichte zur Gründung von right. based on science? Wer steckt hinter dem Startup und wie hat sich das Gründerteam gefunden?

Sebastian: Hannah Helmke und ich haben right. eigentlich mit einem Problem ohne Lösung gegründet. Hannah hatte unter anderem im Studium gelernt, dass im Kapitalmarkt die Gefahr von sogenannten »Stranded Assets« durch den Klimawandel nicht ausreichend eingepreist ist – einfach, weil es dafür keine wirklich gute Bewertungsmethode gab. Das ist nicht nur schlecht für Umwelt und Klima, sondern stellt auch eine riesige Finanzblase dar.

Außerdem waren wir beide den Arbeitswelten, die wir erlebt haben, sehr kritisch gegenüber eingestellt. Wir haben uns mehr Flexibilität, einen offeneren Umgang, weniger starre Taktungen gewünscht. Und wir sind eben beide so gestrickt, dass wir uns als erstes selbst an die Nase fassen. Also haben wir entschieden: Dann machen wir es selbst anders - richtig. Für uns richtig und für unser Team.

Foto: © Farideh Fotografie

Das Team von right. Mitte 2019. Inzwischen sind über 10 neue Kolleg*innen dazugekommen.
 

Welche Vision treibt euch in eurem Arbeitsalltag an?

Sebastian: Wir möchten gerne, dass die Debatte um Klimaschutz und Klimawandel sachlich geführt wird – auf Basis von wissenschaftlichen Erkenntnissen und Fakten. Das geht mit Sachargumenten und einem guten Verständnis der wirtschaftlichen Realitäten besser als mit Bauchgefühl. Deshalb ist es uns wichtig, die Dinge gründlich und sorgfältig zu machen. Richtig eben. Daher auch der Name: right.

Was war bisher die größte Herausforderung bei der Gründung eures Businesses und mit welcher Strategie seid ihr dieser begegnet?

Sebastian: Am Anfang wurden wir mit unserer Idee für das XDC-Modell oft eher belächelt oder sind auf Unverständnis gestoßen. Der Markt war einfach noch nicht so weit. Das war natürlich frustrierend. Was uns da geholfen hat, war Durchhaltevermögen und die tiefe Überzeugung, dass unsere Zeit noch kommen wird. Inzwischen hat sich der öffentliche Diskurs und auch die Gesetzgebung stark verändert. Jüngst hat zum Beispiel die Bank of England ein »Temperature Alignment« von Portfolios gefordert. Der Beitrag von Unternehmen, Portfolien, etc. zur globalen Erderwärmung – ausgedrückt in °Celsius – rückt zunehmend in den Fokus. Und mit dieser Veränderung steigt auch das Interesse an unserem Modell.

Euer Startup ist ein wunderbares Beispiel dafür, wie sich wissenschaftliche Erkenntnisse und Forschungsmethoden ganz unmittelbar in der wirtschaftlichen Praxis anwenden und nutzen lassen. Wie können wissenschaftliche Ausgründungen eurer Meinung nach stärker gefördert werden? Seid ihr der Meinung, dass sich die bisherige Rolle von Forscher*innen bei der Gestaltung unserer Zukunft wandeln sollte? 

Sebastian: Vielen Dank! Ja, gerade die Corona-Krise hat uns allen noch einmal sehr deutlich gezeigt, wie bedeutend die Rolle von Forschung und Wissenschaft für unsere Zukunftsgestaltung ist. Aus meiner Sicht wäre es nützlich, die Nachfrage zu stärken, statt vorrangig auf Direktförderung zu setzen. Zum Beispiel könnten öffentliche Gelder als Subventionen für gezielte Aufträge an die Kundenseite gegeben werden, aber eben mit engen Vorgaben, wie sie eingesetzt werden dürfen. Das würde Startups langfristiger fördern, weil eine dauerhafte Kundenbindung aufgebaut werden kann, die weiter Bestand hat – auch nachdem die Förderung ausgelaufen ist. Zugleich würde damit unterstützt, dass die Wissenschaft einen engen Bezug zur Praxis behält.

Foto: © Farideh Fotografie

Über Dr. Sebastian Müller

Dr. Sebastian Müller, LL.M., ist Mitgründer, Syndikusrechtsanwalt und Leiter Recht & Regulierung bei right. Nach seiner Promotion im Steuerrecht war er mehrere Jahre für die internationale Wirtschaftskanzlei CMS Hasche Sigle in Frankfurt tätig. Bei right. ist er u.a. für die rechtliche Fundierung des XDC-Modells verantwortlich.

Du möchtest mehr erfahren? Hier geht es lang zur Website von right. based on science.
 

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