Stephan, du warst als Regisseur und Produzent an der Entstehung des Dokumentarfilms CONGO CALLING beteiligt. Worum geht es in dem Film?
Stephan Hilpert: Unser Film erzählt die ganz persönlichen Geschichten von drei Europäer*innen, die im Osten der Demokratischen Republik Kongo als Entwicklungshelfer*innen und Forscher*innen arbeiten und aus unterschiedlichen Gründen ihre eigene Situation und Rolle hinterfragen. Es ist kein Film über weiße Held*innen, die glauben, sie wüssten besser, was zu tun ist, als die Afrikaner*innen selbst. Und genauso wenig ist es eine investigative Reportage über die politische Lage im Kongo oder über die Probleme der Entwicklungspolitik. Sondern wir begleiten in unserem Film einfach drei sehr interessante Menschen über einen längeren Zeitraum und bekommen mit, wie sich ihre Einstellungen zu ihrer Arbeit und zu dem Ort und ihre Beziehungen zu den Menschen im Lauf der Zeit verändern.
Wie ist die Idee entstanden, eine Dokumentation über Entwicklungszusammenarbeit im Kongo zu drehen? Welchen persönlichen Zugang hast du zu dem Thema?
Stephan: Mit Raúl, einem der Protagonisten des Films, bin ich schon seit langer Zeit befreundet. Er ist Sozialwissenschaftler und arbeitet seit Jahren immer wieder für seine Forschungsprojekte im Ost-Kongo, unter anderem über die Rebellengruppen. Er hat mir immer wieder von der Situation der Ausländer*innen aus der westlichen Welt erzählt, die dort als Helfer*in oder als Forscher*in arbeiten. Von den Spannungen und Widersprüchen, die ihre Arbeit mit sich bringt und von ihren Zweifeln. Ich fand seine Erzählungen so spannend, dass ich dann mit hingefahren bin, um mir das selbst anzuschauen. Und dann war bald klar, dass wir zusammen einen Film darüber machen wollen.
Als Entwicklungshelfer*in für eine NGO tätig zu sein, ist in den Augen vieler Menschen, die eine sinnhafte Arbeit suchen, ein Traumberuf. Er kann jedoch auch mit einigen großen Herausforderungen und Konflikten verbunden sein, derer sich die meisten Berufseinsteiger*innen nicht bewusst sind. Womit haben Entwicklungshelfer*innen im Ostkongo zu kämpfen?
Stephan: Wir haben ganz unterschiedliche Herausforderungen mitbekommen. Raúl zum Beispiel ist mit seinen kongolesischen Mitarbeiter*innen eng befreundet und will auf Augenhöhe mit ihnen zusammenarbeiten, aber gleichzeitig sind sie extrem von ihm abhängig und von den ausländischen Forschungsgeldern, die er mitbringt. Die Belgierin Anne-Laure, auch eine Protagonistin unseres Films, gibt ihren NGO-Job auf, weil sie das Gefühl hat, durch die Arbeit zu sehr von den Kongolesen abgeschottet zu sein. Nach einiger Zeit muss sie sich aber die Frage stellen, ob sie sich wirklich eine längerfristige Zukunft an einem Ort vorstellen kann, der so anders ist als die europäische Heimat. Und Peter, ein deutscher Entwicklungshelfer, wird nach 30 Jahren in Afrika in den Ruhestand versetzt, will aber verständlicherweise nicht aufhören zu arbeiten und auch den Kongo nicht verlassen, weil seine Heimat inzwischen hier ist. Drei sehr unterschiedliche Erfahrungen also, die aber, so speziell und persönlich sie auch sind, vielleicht ein bisschen einen Einblick in die Bandbreite geben.
Wie habt ihr die Einheimischen vor Ort in Bezug auf eure Dreharbeiten erlebt? Inwieweit ist eine offene Kommunikation über kritische Themen, z.B. die politische Situation im Land möglich?
Stephan: Als wir angefangen haben zu drehen, waren wir gleich mittendrin in Raúls Forschungsteam und die kongolesischen Forscher*innen haben uns sehr offen und herzlich empfangen und sich sehr rührend um uns gekümmert. Mich hat sehr beeindruckt, dass viele Leute trotz existenzieller Not und trotz des ganzen Hilfssystems überhaupt kein Interesse daran haben, sich in eine Opferrolle drängen zu lassen oder als Bittsteller dazustehen, sondern unter größtem Einsatz, teilweise unter Einsatz ihres Lebens, dafür kämpfen, die Verhältnisse in ihrem Land zu verbessern. Fred, der kongolesische Freund unserer Protagonistin Anne-Laure, saß eineinhalb Jahre lang im Gefängnis, weil er die korrupte Regierung kritisiert und freie Wahlen gefordert hatte - und er macht weiter. Sein Mitstreiter Luc, mit dem wir auch gefilmt haben, ist vor einiger Zeit nachts in seinem Haus verbrannt. Man vermutet, dass es der Geheimdienst war, der ihn zum Schweigen bringen wollte.
Was möchtest du mit deinem Film erreichen? Welches Bewusstsein möchtest du bei den Zuschauer*innen stärken?
Stephan: CONGO CALLING ist kein Film mit Zeigefinger oder mit einer simplen, klaren Botschaft. Einfache Antworten gibt unser Film auf jeden Fall nicht – vielleicht spürt man durch die Einblicke in die ganz konkreten Erfahrungen unserer drei Protagonist*innen eher, wie komplex die Fragen der Hilfe und der Entwicklungszusammenarbeit vor Ort sein können und warum sich diese Fragen nicht so einfach und abstrakt beantworten lassen. Vor allem aber hoffe ich, dass unser Film die Zuschauer*innen persönlich berührt. Schließlich geht es in den drei Geschichten im Kern nicht nur um die Arbeit im Kongo, sondern um Fragen, die uns alle ganz direkt betreffen: Um die Liebe, um Freundschaft, um das Älterwerden und die Suche nach dem richtigen Platz im Leben…
Neugierig geworden? Hier geht es lang zum Trailer und zur Website von CONGO CALLING.