Inmitten einer kleinen Kinderschar steht Jannik Smolinski, derzeit Bildungspate bei der Initiative „Tausche Bildung für Wohnen“ (TBFW) in der Tauschbar in Witten. Mit einigen macht er das tägliche Begrüßungsritual – High Five und die Faust – und gleich zwei Kinder wollen ihm unbedingt von ihrem Vormittag in der Schule erzählen. „Ich bin hier richtig glücklich mit meinem Job, bin froh, den Kindern etwas mitgeben zu können und lerne gleichzeitig richtig viel für mich selbst“, sagt er.
Der 18-jährige verbringt sein freiwilliges soziales Jahr in dieser Rolle. Seine Aufgaben sind vielfältig: Er betreut ab 14 Uhr Kinder aus Familien in prekären Lebenslagen, hilft ihnen bei den Hausaufgaben, lernt mit ihnen für Klassenarbeiten, bereitet Snacks und kleine Workshops vor, spielt mit ihnen, plant aber auch Projekte und das Ferienprogramm, räumt auf, entwickelt neue Spiel- und Lernideen für seine Schützlinge. Vor dem Eintreffen der sieben- bis zwölfjährigen Schüler:innen sitzt er mit seinen Kolleginnen zusammen, um den Tag und die anstehenden Aufgaben zu besprechen. Was auffällt: Jannik ist der einzige Mann in der Runde. „Ich merke das gar nicht so. Unser Team ist super, das ist das Wichtigste“, erklärt er. „Für mich kam noch nie die Frage auf, ob ich hier in einer Frauendomäne unterwegs bin. Manchmal hätte ich aber trotzdem gern noch einen zusätzlichen Mann – oder auch mehrere – am Tisch, allein für die Balance.”
Alte Rollenbilder stecken noch in den Köpfen
Janniks Erfahrungen spiegeln eine größere gesellschaftliche Herausforderung wider: Der Anteil männlicher Fachkräfte in Erziehungsberufen ist nach wie vor alarmierend niedrig. Laut Statistiken lag dieser im Jahr 2022 bei lediglich acht Prozent. Trotz des wachsenden Interesses von Jungen an sozialen Berufen – eine Studie zeigt, dass 65,5 % der befragten männlichen Schüler Interesse an sozialen/pädagogischen Themen haben – schließen 51,3 % eine Karriere in diesem Bereich aus. Was als einer der Gründe angeführt wird: Fehlende praxisorientierte Einblicke. “Das können und wollen wir aktiv ändern. Dass Männer ebenso gut geeignet sind wie Frauen, wenn es um die Betreuung und Bildung von Kindern geht, sollte längst klar sein”, so Marie Angerer, zweite Vorständin von TBFW und verantwortlich für das Recruiting der Bildungspat:innen. “Dennoch hängen die alten Rollenbilder noch viel zu sehr in den Köpfen fest, ab und zu auch bei den Kindern.” Für die nächste Bewerbungsphase ab Januar 2025 will das Team deshalb verstärkt männlich gelesene potenzielle Mitarbeitende motivieren, sich als Bildungspaten zu bewerbem – um die Geschlechterdiversität in Erziehungsberufen zu fördern und stereotype Rollenbilder abzubauen. Mit Social Media Posts und Plakatwerbung ruft TBFW dazu auf.
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Raum für praxisorientierte Einblicke – für alle Geschlechter
Bei TBFW können junge Erwachsene erste Erfahrungen in der Arbeit mit Kindern sammeln – und bekommen in einer mehrwöchigen Vorbereitungsphase auch die richtigen Tools dafür an die Hand. Marie Angerer betont: „Bei uns ist Raum für jene praxisorientierten Einblicke – für Menschen egal welchen Geschlechts. Wir wollen aber auch explizit männlich gelesene Menschen davon überzeugen, dass sie hier wertvolle Beiträge leisten, eine wichtige Vorbildfunktion einnehmen und dabei gleichzeitig viel für sich selbst und ihren Lebensweg lernen können.“ Das Ziel ist es, paritätische Teams zu schaffen – wobei natürlich auch non-binäre Personen mitgedacht werden.
Die Erfahrung bei TBFW zeigt: Vor allem Kinder profitieren von einer Vielzahl an Bezugspersonen und geschlechtergemischten Teams. Bildungspat:innen unterschiedlicher Herkunft sowie unterschiedliche Geschlechter können facettenereiche Perspektiven und Erfahrungen in die Arbeit mit Kindern einbringen und so zusätzlich helfen, stereotype Geschlechterrollen abzubauen – und auch den Kindern zu zeigen, dass ihre zukünftige Berufswahl nicht vom Geschlecht abhängen muss. Wenn Jungen und Männer aufgrund von Vorurteilen bestimmte Bereiche meiden, bleiben außerdem wertvolle Potenziale unentdeckt – was sowohl für ihre persönliche als auch berufliche Entwicklung nachteilig sein kann. “Bei manchen Jungs fallen uns noch Sprüche auf wie ‘Ich bin stärker, weil ich ein Junge bin’ oder dass sie sich Frauen gegenüber weniger gut öffnen können. Das versuchen wir spielerisch und in Gesprächen aufzugreifen und mit den Vorurteilen aufzuräumen. Ein diverseres Team könnte da natürlich auch helfen”, so Jannik. Die Bedeutung männlicher Vorbilder in sozialen Berufen kann laut TBFW nicht hoch genug eingeschätzt werden. “Indem mehr Männer in Erziehungsberufe eintreten, können wir noch besser dazu beitragen, stereotype Denkmuster aufzubrechen und eine vielfältigere Bildungslandschaft zu schaffen”, so Angerer.
Hier kann man sich ab Januar 2025 bei Tausche Bildung für Wohnen als Bildungspat:in bewerben.