Programmieren für den guten Zweck - Der Hackathon 2020 der Welthungerhilfe: »Das ist wie Yoga für die Seele.«

Wer sagt denn, dass Digitalisierung und Entwicklungshilfe nicht zusammen passen? Ganz im Gegenteil! Genau wie Wirtschaftsunternehmen können auch NGOs von den Vorteilen neuartiger Ansätze und Technologien profitieren - und für diejenigen einsetzen, die es am dringendsten benötigen: Über 800 Millionen Hungerleidende auf der ganzen Welt. Um neue Ideen zu sammeln und Projekte in die Tat umzusetzen, veranstaltet die Welthungerhilfe (WHH) im Februar einen Hackathon, an dem auch DU teilnehmen kannst. Wann, wo und wieso erfährst du im Interview.
Foto © Welthungerhilfe
von Robert Franzen, 20. Januar 2020 um 08:42

Die Welthungerhilfe (WHH) und ein Hackathon sind zwei Begriffe, die man auf Anhieb vielleicht erst einmal nicht in Zusammenhang bringen würde. Wie seid ihr auf die Idee gekommen, einen solchen Wettbewerb zu veranstalten?

Christian Rengier: Die Idee liegt eigentlich schon relativ lange bei uns in der Schublade. Leider bisher genau dort, wo sich all die Dinge ansammeln, die man mal mit Kolleg*innen beim Kaffee oder Mittagessen besprochen hat. In den vergangenen Jahren haben wir uns aber zunehmend immer konkreter mit Zukunftsfragen und Innovationen beschäftigt, die einen sehr starken Bezug zur Digitalisierung haben. Und dabei konkrete digitale Formate entwickelt, die auf Umsetzung warten. Gerade im Bereich der Entwicklungszusammenarbeit und im Spendenmarkt haben digitale Lösungen und Formate ein sehr großes Potenzial, um Kosten einzusparen, neue Zielgruppen zu erreichen, Menschen miteinander zu vernetzen und letztendlich auch für noch mehr Transparenz zu sorgen - Stichwort Blockchain. Einige Innovationen haben wir hier auch schon umgesetzt. Zu nennen wäre da unser neues Anlass-Spenden-Tool für individuelles Fundraising, aber auch Apps wie den »Child-Growth-Monitor«, die das Leben der Menschen unmittelbar verbessern. Weitere spannende Projekte sind ebenfalls über die Startup-Phase hinaus.

Die Umsetzung des Hackathons, wo wir eben jene Themen und Innovationen mit den Teilnehmer*innen angehen wollen, hat sich Mitte 2019 dann konkretisiert, als wir gerade in der Planung zu einem anderen Event steckten. »Rock gegen Hunger«. Hier treten Unternehmensbands im musikalischen Contest vor einer prominenten Jury gegeneinander an. Die Gewinnerband ist die Nummer eins in der City. In dem Fall war es Köln. Eine der teilnehmenden Bands kommt von einer IT-Unternehmensberatung. Gemeinsam mit den engagierten Mitarbeiter*innen des Unternehmens kam die Idee auf, gemeinsam was im Tech-Sektor entwickeln zu wollen. Mit Spaß Gutes tun. Schnell hat sich da ein Hackathon abgezeichnet. Wir sind der festen Überzeugung, dass man mit Spaß und unter Einsatz seines Talents oder seiner Muse sehr gute Lösungen für Herausforderungen in der Entwicklungszusammenarbeit entwickeln kann. Im Sport und im Bereich der Kultur haben wir schon sehr gute Erfahrungen gemacht. Im Tech-Umfeld bisher nicht. Hier bietet ein Hackathon die Möglichkeit.

Was ist das Ziel des Hackathons und wem kommt er zugute?

Christian: Letztendlich kommt der Hackathon den Menschen in unseren Projektländern zugute. Das sind aktuell mehr als 10 Millionen Menschen in 39 Ländern. Das klingt erst einmal viel, ist tatsächlich aber nur ein kleiner Teil von weltweit mehr als 800 Millionen Menschen, die auch im 21. Jahrhundert noch vom Hunger in ihrer Existenz, und damit auch in ihrer Freiheit, fundamental bedroht sind. Die Tendenz geht hier aufgrund von Konflikten und Klimaveränderungen leider wieder nach oben. In fast allen Fällen betrifft Hunger die Schwächsten in einer Gesellschaft. Ironischerweise vor allem meist diejenigen, die einen Großteil der Nahrung weltweit produzieren: Kleinbauern und Kleinbäuerinnen. Vor allem Letztere, die fast ausnahmslos auch die Verantwortung für die Familie tragen. Für diese Menschen wollen wir die Digitalisierung nutzbar machen. Gleichzeitig wollen wir aber auch sicherstellen, dass die Solidarität mit den Menschen und das Thema Hunger auch in Zukunft noch eine zentrale Rolle spielen. Gerade im Zuge von dramatischen Klimaveränderungen wird das immer wichtiger werden. Dazu möchten wir vor allem junge Menschen und zukünftige Generationen gewinnen und ansprechen. Da sich ein Großteil dieser Generation im Cyberspace tummelt oder einen großen Teil ihrer Freizeit in virtuellen Realitäten verbringt, wollen wir hier Angebote schaffen. Vor allem aber für’s Mitmachen oder Spenden begeistern. Ich habe selbst nicht immer im NGO-Bereich gearbeitet und kann nur jedem Empfehlen, sein Talent ab und zu mal für die gute Sache einzusetzen. Das ist sowas von befriedigend. Yoga für die Seele…

Wie genau kann ich mir den Ablauf des WHH Hackathons vorstellen? Wann und wo findet er statt und wer kann alles daran teilnehmen? Welche Voraussetzungen sollten Teilnehmer*innen mitbringen, um den WHH Hackathon erfolgreich meistern zu können?

Christian: Der Hackathon wird über zwei Tage hier im Headquarter der Welthungerhilfe in Bonn stattfinden. Der Hack ist für alle offen. Jede*r kann sich anmelden. Natürlich sollte man sich mit Code und/oder Webdesign schon ganz gut auskennen. Sonst gibt es aber keine Hürden. Wir haben 60 Plätze zur Verfügung und da gilt, der frühe Vogel fängt den Wurm.

Die Teilnehmer*nnen haben bei Bedarf auch die Möglichkeit, hier zu übernachten. Es wird eine Art Indoor-Camping in unserem großen Sitzungssaal geben. Der ist groß und verfügt über eine zauberhafte Aussicht. Wem das aber zu rudimentär ist, der kann natürlich auf eigene Faust eine der vielen Übernachtungsmöglichkeiten in der unmittelbaren Umgebung buchen. Verpflegung bzw. Catering ist aber für alle Teilnehmer*innen hier im Haus frei. Morgens, mittags, abends und zwischendurch. Man kann sich also ganz auf’s Köpfe zerbrechen fokussieren. Los geht es am ersten Tag um 09:00 Uhr mit einer Willkommensrunde und Begrüßung durch unseren Vorstand. Dann stellen wir die Themen vor und bilden die Gruppen gemeinsam mit den Teilnehmer*nnen. Nach einer Kaffeepause und Snacks geht es in den Gruppen los mit der Entwicklung von Prototypen. Dazu hat jede Gruppe einen modernen Meetingraum zur Verfügung mit genügend Internetkapazität. Mitarbeiter*innen der Welthungerhilfe und unseres Partners, der Viadee-IT-Unternehmensberatung, stehen als Ansprechpartner*innen und technische Expert*innen bereit. Zudem werden Workshops und Vorträge angeboten, in denen die Teilnehmer*innen die Möglichkeit haben, exklusive Insights in die Arbeit einer der größten deutschen Non-Profit-Organisationen zu bekommen. Generell kann sich während des Hackathons jede*r frei bewegen und das Zeitmanagement selbst bestimmen.

An Tag zwei stehen die Generalprobe für den Pitch der Ideen, die Präsentation vor der Jury, die Preisverleihung und ein gemeinsames Ausklingen auf dem Programm. Ab ca. 21:00 Uhr feiern wir! Wo wird noch bekannt gegeben.

Foto: © Welthungerhilfe


Plant ihr, in Zukunft noch weitere Hackathons zu veranstalten, vielleicht auch für andere Bereiche der Entwicklungsarbeit?

Christian: Unbedingt. Wir schauen natürlich erst einmal, wie der Hackathon generell angenommen wird und werden hier sicher auch das ein oder andere Lehrgeld bezahlen müssen. Aber wir sehen das als große Chance, Neues zu lernen und ganz andere Perspektiven auf unsere Arbeit erhalten zu können. Ich bin der festen Überzeugung, dass dieses Format auch auf internationalem Parket und in unseren Projektländern eine immer größere Rolle spielen wird, wenn es darum geht, die Herausforderungen unserer Zeit kreativ und mit viel Power anzugehen. Die digitale Vernetzung von Zivilgesellschaften rund um den Globus und die Entwicklung transnationaler sozialer Bewegungen und Milieus lässt mich da trotz der teilweise düster wirkenden Großwetterlage ganz optimistisch in die Zukunft schauen. Die Welt wird kleiner und die Menschen rücken enger zusammen durch die Digitalisierung.

Wo seht ihr für NGOs im Allgemeinen einen Optimierungsbedarf bzw. eine Chance im Hinblick auf die fortschreitende Digitalisierung der Welt?

Christian: Optimierungsbedarf gibt es immer und an vielen Stellen. Das hat natürlich auch mit begrenzten Ressourcen im NGO-Sektor zu tun. Aber sicher auch mit fehlender Kohärenz und dem unbedingten Willen aller Akteure, holistisch zu arbeiten. Das fängt bei institutionellen Gebern und verschiedenen Ressorts an und geht nahtlos über zu den NGOs. So offen und kritisch muss man sein. Oft überfordert die schiere Masse an Daten und Prozessen. Hier kann die Digitalisierung und auch der Einsatz von smarten Tools und Apps einen großen Beitrag zu mehr Effizienz und besserer Zusammenarbeit leisten.

Gibt es vielleicht auch Kritiker*innen, die Entwicklungshilfe und Digitalisierung nicht zusammen sehen können oder wollen? Was sind für euch die ausschlaggebenden Motive, euch aktiv mit diesem Thema auseinander zu setzen?

Christian: Entwicklungszusammenarbeit und globale Kooperation auf bi- oder multilateraler Ebene bewegen sich nicht im luftleeren Raum. Auch hier sind die Vorzüge digitaler Ökonomien und einer vernetzten Ökologie groß. Insbesondere beim Projektmanagement, in Sachen Zusammenarbeit und Kohärenz zwischen Organisationen, Staaten aber auch der Privatwirtschaft. Oder auch wenn es darum geht, für mehr Transparenz zu Sorgen oder Menschen miteinander zu verbinden. Da stehen wir gerade erst am Anfang und können das Ende noch gar nicht erahnen. Ich würde mal sagen, dass wir so langsam dahin kommen zu wissen, was wir alles nicht wissen.

Was Kritik generell angeht, so stehen Entwicklungszusammenarbeit und insbesondere Spendenorganisationen immer besonders unter der Lupe. Sei es, wenn es um die Verwendung von Spenden geht, oder auch hinsichtlich den Erfolgen oder Misserfolgen unserer Arbeit. Das liegt in der Natur der Sache und ist zum Teil auch durchaus berechtigt, wenn ich mir den ganzen Sektor gegenwärtig so anschaue. Da hat sich in den vergangenen Jahren schon viel getan und verbessert. Aber Kritik nehmen wir sehr ernst und sind auch sehr dankbar darüber. Uns ist es wichtig, diese Perspektive und die Kritik in die Verbesserung unserer Arbeit einfließen zu lassen, aber auch zu nutzen, um den Menschen zu zeigen, was wir alles erreichen und wie effizient wir mittlerweile sind. Hinsichtlich der Digitalisierung können wir aber noch mehr Transparenz liefern und widmen uns akribisch dem Schutz unserer Daten und deren ethischer Verwendung. Wir stellen sicher, dass die Rechte und die Würde unserer Projektpartner*innen und der Menschen, mit denen wir in unseren Projekten gemeinsam Wege aus dem Hunger entwickeln, auch digital gewahrt ist. Konkrete Kritik zum Thema Digitalisierung in der Entwicklungszusammenarbeit oder am Hackathon ist bei uns bisher aber noch nicht aufgeschlagen. Da gelten aber die gleichen Spielregeln wir in der freien Wirtschaft, die Privatsphäre und die Daten unserer Partner*innen, Spender*innen und jene der Menschen in unseren Projektländern stehen an erster Stelle.

Wie wird am Ende das Siegerprojekt ausgewählt und wer sitzt in der Jury? Gibt es auch einen Preis zu gewinnen?

Christian: Den gibt es. Und was für einen! Neben tollen Pokalen und Urkunden erwartet das Gewinnerteam eine Einladung zum ersten internationalen Hackathon der Welthungerhilfe oder einem internationalen Digital-Workshop in einem unserer Projektländer in 2020 oder 2021. Der Weg dorthin führt über unsere Fachjury bestehend aus Prof. Dr. Mareike Schoop von der Uni Hohenheim, Carina Haupt vom Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt (KI-Expertin), Dr. Frido Budde von der Viadee IT-Unternehmensberatung (Leiter Forschung & Entwicklung), Irene Schönmann (Vorständin Marketing-Club Köln Bonn) und Susanne Fotiadis (Vorständin Marketing Welthungerhilfe) küren das Gewinner-Team. Diese wird den Gewinnerpitch am 15. Februar anhand folgender Kriterien auswählen:

  • Innovationsgrad
  • Kommerzielle Verwertbarkeit (Fundraising)
  • Praxisbezug und Implementierung
  • Nutzen
  • Qualität des Abschlusspitches

Könntet ihr euch vorstellen, mit den Ergebnissen dieser und zukünftiger Challenges auch auf andere Organisationen zuzugehen und gemeinsam Lösungen zu entwickeln?

Christian: Unbedingt. Gerade wenn es darum, geht Ressourcen zu bündeln und gemeinsam Lösungen für eine gerechtere Welt zu erarbeiten, müssen Organisationen noch mehr zusammenarbeiten und Daten holistisch zum Nutzen der Menschheit analysieren. Das passiert natürlich schon hier und da, aber ich sehe auch weiterhin Optimierungsbedarf. So ehrlich muss man sein. Wir werden unsere Ideen und Lösungen also nicht in irgendeinem Schweizer Nummernfach bunkern, sondern geben unsere Erfahrungen gerne weiter. Kommt also jederzeit auf uns zu. Wir können uns auch Kooperationen oder gemeinsame Veranstaltungen dieser Art vorstellen. Auch international. Dabei spielt es keine Rolle, ob »peer-to-peer« oder als »public-private-partnership«.

Foto ©: Welthungerhilfe


Über Christian Rengier:

Christian Rengier ist bei der Welthungerhilfe als Marketingreferent verantwortlich für Events und Kooperationen. Nach seinem Masterabschluss 2012 war er für die Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (GIZ) unter anderem in Myanmar im Bereich Privatsektorentwicklung tätig und hat anschließend zwei Jahre bei einem englischen Personaldienstleister als Sales- und Recruitment Consultant gearbeitet. Seit 2016 ist er bei der Welthungerhilfe in Bonn.

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