Was genau bedeutet stärkenorientierte Führung bzw. positive Leadership? Welche Wirkung schafft diese Art der Führung und welche Rolle spielt sie in der neuen Arbeitswelt?
Dr. Markus Ebner: Die Grundidee von stärkenorientiertem Führen ist, dass besondere Kompetenzen und Stärken von Mitarbeitenden identifiziert werden und dadurch im Arbeitsleben Platz bekommen. Dazu gehört auch, dass alles, was besonders gut gelungen ist, genauso analysiert wird wie etwas, das nicht so gut gelaufen ist. Denn nur die Analyse auch von außergewöhnlichen Leistungen ermöglicht es, dass diese repliziert werden. Und dass auch die besonderen Kompetenzen, Talente und Stärken hinter diesen Leistungen identifiziert werden.
In den meisten Fällen wird allerdings oft nur dann eine Rückmeldung gegeben, wenn etwas nicht gut gelaufen ist. Noch immer bekommen die meisten Mitarbeitenden überwiegend dann Feedback, wenn etwas nicht gepasst hat. Positive Leadership hat nachweislich einen signifikanten Effekt auf messbare Kennzahlen wie Leistung, Gesundheit, Resilienz und noch viele andere Bereiche. So konnten wir beispielsweise zeigen, dass Kund*innen im Einzelhandel mehr einkaufen, wenn die Filialleitung ein Positive Leader ist. Eine ganz aktuelle Studie von uns zeigt einen weiteren spannenden Effekt: Mitarbeitende, die Kinder haben, erziehen diese stärkenorientierter, wenn ihre eigene Führungskraft ein Positive Leader ist.
Einer der relevanten Aspekte dieses Führungsansatzes ist, dass Menschen individuell geführt werden. Das trifft ziemlich genau den Zahn der Zeit in Bezug auf die jüngeren Generationen, die bereit sind, sich engagiert einzubringen. Das machen sie aber nur dann, wenn auf ihre individuelle Persönlichkeit geachtet wird. Das erklärt auch den Hype, den Positive Leadership seit einigen Jahren hat. Zahlreiche Unternehmen haben diesen Führungsansatz mittlerweile übernommen.
Wie sind Sie dazu gekommen, sich mit Führung und positiver Psychologie zu beschäftigen? Möchten Sie ein wenig über Ihren persönlichen Weg erzählen?
Ebner: Das war bei mir eigentlich Zufall und nie geplant. Ich unterrichte seit vielen Jahren an der Universität Wien im Bereich Wirtschafts- und Organisationspsychologie und hatte mich wissenschaftlich damit beschäftigt, welche Rahmenbedingungen es braucht, damit Mitarbeitende sich so verhalten, als ob das Unternehmen ihr eigenes wäre. Wie nah ich mit diesem Ansatz bereits an Positive Leadership war, war mir nicht bewusst. Zusätzlich bin ich seit mehr als 20 Jahren als Trainer, Coach und Unternehmensberater für Führungskräfte in zahlreichen Unternehmen tätig.
Du suchst nach einem Job mit Sinn?
Du suchst nach einem Job mit Sinn?
Vor ungefähr zehn Jahren bekam ich dann die Anfrage für eine Auftragsstudie zum Thema stärkenorientiertes Führen. Dadurch habe ich mich das erste Mal mit diesem Thema beschäftigt und war relativ rasch ziemlich begeistert davon. Vor allem auch, weil ich mich dadurch mit den Ansätzen der Positiven Psychologie beschäftigt habe. Ich fand es wirklich spannend, dass sich bis dahin die Psychologie überwiegend mit Problemen und Schwächen und psychischen Krankheiten beschäftigt hat - was ich sehr wichtig finde - aber die Stärken, das Glücklichsein, besonders gelungene Leistungen und ähnliche Dinge bei Menschen eigentlich ziemlich ausgeblendet hat.
Da ich einer der Pioniere war, der sich im deutschsprachigen Raum wissenschaftlich mit der Übertragung der Positiven Psychologie in den Bereich Wirtschafts- und Organisationspsychologie beschäftigt hat, wurde ich in weiterer Folge dann mehrfach zu Veranstaltungen der Positiven Psychologie eingeladen und fand sowohl die Menschen als auch die Themen, um die es dort ging, ausgesprochen sympathisch.
Der wirkliche Höhenflug begann allerdings, als ich ein Modell vom Begründer der Positiven Psychologie, das PERMA Modell von Martin Seligman, auf konkretes Führungsverhalten weiterentwickelt habe und mit wissenschaftlichen Studien nachweisen konnte, dass dieser Ansatz einen messbaren positiven Effekt für Mitarbeitende, Führungskräfte und das gesamte Unternehmen hat. Dieses PERMA-Lead Modell wird mittlerweile in zahlreichen Unternehmen als Führungsstil umgesetzt und es gibt derzeit bereits rund 600 Berater*innen, die dafür zertifiziert sind, mit diesem Ansatz zu arbeiten. Dadurch hat es eine ziemlich große Reichweite und auch Bedeutung bekommen. In weiterer Folge wurden dann Messverfahren, wie zum Beispiel das »PERMA-Lead 360° Feedback« oder auch die Organisationskulturanalyse, entwickelt, die von vielen Organisationen verwendet werden. Mit dem »PERMA-Lead Profiler« können Führungskräfte beispielsweise recht rasch feststellen, wie sehr sie bereits Positive Leader sind und in welchen Bereichen sie sich konkret noch entwickeln können.
Was genau ist das PERMA-Lead-Modell und woher kommt es?
Ebner: Die Positive Psychologie legt ja ihren Fokus auf die Stärken der Menschen. Das hat auch die Frage aufgeworfen, welche Rahmenbedingungen Menschen eigentlich brauchen, um diese Stärken zu entfalten. »Aufblühen« wird die Stärkenentfaltung im angloamerikanischen Raum genannt. Das beschreibt auch metaphorisch ziemlich genau, worum es geht: Die Stärke ist so etwas wie der Samen, der bereits in den Menschen vorhanden ist. Bestimmte Rahmenbedingungen führen dazu, dass aus diesem Samen das volle Potenzial entfaltet wird. Oder eben nicht. Mit dem PERMA Modell hat der amerikanische Psychologe Martin Seligman fünf konkrete Zutaten identifiziert, die Menschen brauchen, damit es zu dieser Stärkenentfaltung kommt: Positive Emotionen, Engagement, Relationships, Meaning und Accomplishment. Die Anfangsbuchstaben dieser 5 Elemente ergeben PERMA. Wenn diese fünf Elemente ausreichend als Nährstoffe vorhanden sind, dann entfalten sich die Stärken der Menschen. Wenn diese Nährstoffe zu wenig oder gar nicht vorhanden sind, dann blühen Menschen im wahrsten Sinn des Wortes nicht auf. Das PERMA Modell von Seligman bezieht sich dabei auf das gesamte Leben und nicht auf einen spezifischen Kontext.
Mit PERMA-Lead habe ich dieses Modell nun auf Unternehmen beziehungsweise Organisationen umgelegt und einen Führungsstil definiert, bei dem es darum geht, dass Führungskräfte gezielt durch ihr Verhalten das PERMA der Mitarbeiterin und Mitarbeiter positiv beeinflussen. Daher PERMA-Lead.
-
Das P (Positive Emotions) steht dabei dafür, dass Führungskräfte gezielt für positive Emotionen sorgen.
-
Beim E (Engagement) geht es darum, dass Führungskräfte die Stärken der Mitarbeitenden identifizieren und Individualität ermöglichen.
-
R (Relationships) fokussiert den Beitrag, den Führungskräfte haben, um für arbeitsförderliche Beziehungen innerhalb ihres Teams zu sorgen.
-
M (Meaning) als konkretes Führungsverhalten bedeutet, dafür zu sorgen, dass Mitarbeitende ihre Arbeit als sinnhaft erleben.
-
Und das A (Accomplishment) beschäftigt sich damit, wie oft Führungskräfte konkrete Rückmeldungen geben, wenn etwas gut gelungen ist beziehungsweise geschafft wurde.
Für alle fünf Bereiche kann man mittlerweile wissenschaftlich eindeutig belegen, dass sie einen positiven Effekt auf Mitarbeitende sowie den Unternehmenserfolg haben. Was mir besonders daran gefällt ist, dass es ein humanistischer Ansatz ist, der nicht nur den Erfolg des Unternehmens, sondern auch das Wohlbefinden der Menschen im Unternehmen im Fokus hat. Das Besondere am PERMA-Lead Modell ist auch, dass es sich um einen so genannten evidenzbasierten Führungsansatz handelt. Das bedeutet, dass die Wirkung wissenschaftlich nachzuweisen ist.
Könnten Sie bitte pro Element des Modells ein Beispiel aus der Praxis beschreiben? Also, z.B., was kann eine Führungskraft konkret tun, um positive Emotionen bei den Mitarbeitenden zu fördern (P), wie können Vorgesetzte dafür sorgen, dass die Mitarbeitenden ihre individuellen Stärken leben können (E), etc.?
Ebner:
Positive Emotions: Das können kleine Dinge sein, wie beispielsweise die Gratulation zum Geburtstag. Aber auch größere Umsetzungen, wie beispielsweise eine gemütliche Gestaltung des Pausenraums, gehören dazu. Ein großes Unternehmen hat zum Beispiel während des Lockdowns an alle Mitarbeitende ein kleines Paket mit Schokolade verschickt – und in jedem Paket war eine Karte mit ein paar persönlichen Zeilen der jeweiligen Führungskraft. Hier zeigt das Unternehmen, dass es ihm nicht egal ist, wie es den Menschen geht.
Engagement: Eine wesentliche Umsetzung ist, dass die Mitarbeitenden Freiräume in der Gestaltung ihrer Arbeit bekommen. Also, dass nicht zu genau vorgegeben wird, wie etwas zu erledigen ist. Das führt dazu, dass sich Menschen am Arbeitsplatz gemäß ihren Stärken individuell einbringen können.
Relationships: Gemeinsame Kaffeepausen oder auch ein gemeinsames Mittagessen organisieren, sich darum zu kümmern, dass beispielsweise neue Teammitglieder rasch Anschluss finden, jedes Jahr gemeinsame Teamentwicklungstage einzuplanen.
Meaning: Bei Aufträgen nicht nur kommunizieren, was zu tun ist, sondern auch, warum das so gemacht werden soll. Unternehmensentscheidungen nicht nur zu verkünden, sondern Gründe für diese Entscheidungen so weit wie möglich transparent zu machen.
Accomplishment: Einige Unternehmen, die sich an PERMA-Lead ausrichten, beginnen beispielsweise alle Meetings damit, dass erst darüber geredet wird, was seit dem letzten Meeting alles erledigt wurde. Aber auch das »Lob zwischendurch« in Form eines Dankeschöns fällt in diese Kategorie.
Inwieweit ist das Modell auch für Young Professionals interessant, die (noch) keine Führungsposition innehaben?
Ebner: Dafür gibt es mehrere Gründe. Einerseits unterstützt es dabei, zu erkennen, ob man selbst in einem Umfeld arbeitet, wo es zu einer Stärkenentfaltung kommt. Manche junge Menschen haben nämlich ein großes Potenzial, aber sind nicht in einem Umfeld, wo das erkannt beziehungsweise gefördert wird. Im ungünstigsten Fall kann das dazu führen, dass Menschen versuchen, sich anzupassen, und dabei niemals ihr Potenzial erkennen.
Ich möchte aber auch noch einen weiteren Gedanken einbringen, den ich in meiner mehr als 20-jährigen Coaching-Tätigkeit immer wieder in der Praxis erlebt habe: In vielen Unternehmen wird Karriere automatisch mit Führungsverantwortung verknüpft. Und hier haben wir ein Problem. Das E im PERMA-Lead Modell beschreibt nämlich das Ausleben-Können der eigenen Stärken. Und eindeutig hat nicht jeder Mensch seine Stärken darin, eine gute Führungskraft zu sein. Manche sind ausgezeichnete Expert*innen beziehungsweise exzellent im Management. Damit geht nicht automatisch einher, im Leadership die beste Besetzung zu sein. Die Auseinandersetzung mit den eigenen Stärken kann daher eine gute Richtlinie sein, welche Entwicklung man selbst anstreben sollte. Menschen, die berufliche Stärken ausleben können, sind nämlich nachweislich weitaus erfolgreicher und glücklicher als solche, bei denen die Passung nicht so günstig ist. Warum also sollte jemand eine Führungskarriere anstreben, wenn er oder sie mit einer anderen Entwicklung weitaus erfolgreicher und auch weitaus glücklicher werden könnte? Gerade für Young Professionals finde ich es unglaublich hilfreich, sich mit diesen Gedanken auseinanderzusetzen und sich bei Lebensentscheidungen an den eigenen Stärken zu orientieren. Zu oft habe ich Führungskräfte im Coaching begleitet, die erst durch die Auseinandersetzung mit ihren Stärken erkannt haben, warum sie in ihrem beruflichen Lebensweg bisher nicht wirklich glücklich geworden sind. Viele haben es dann als unglaublich erleichternd erlebt, ihre Stärken zu erkennen und ihre zukünftige Karriereentwicklung daran auszurichten. Dafür ist es übrigens nie zu spät.
Inwieweit fordert das Modell traditionellere bzw. autoritäre Führungsstile heraus? Ist es überhaupt möglich, den eigenen Führungsstil radikal zu verändern?
Ebner: Ob man den eigenen Führungsstil überhaupt verändern kann, finde ich eine unglaublich wichtige Frage. Sie basiert ja auf der grundsätzlichen Frage, ob Menschen überhaupt veränderbar sind beziehungsweise ob sie sich entwickeln können. Und das können Menschen, wenn auch nicht von heute auf morgen. Wenn das nicht der Fall wäre, wäre jedes Coaching, jede Psychotherapie oder auch jede persönlichkeitsentwickelnde Maßnahme sinnlos. Das Wichtigste dabei ist aus meiner Sicht allerdings, hier nicht am Verhalten anzusetzen, sondern zuerst an der eigenen Einstellung. Es muss für die jeweilige Führungskraft Sinn ergeben, sich zu entwickeln. Und dazu bedarf es fundierter Information über die Wirkung von Positive Leadership, welche in Workshops oder in Büchern gut vermittelt werden kann. Wenn die Führungskraft von diesem Ansatz überzeugt ist, dann kann man an konkreten Techniken, die bei Positive Leadership verwendet werden können, arbeiten.
Natürlich fordert dieser Führungsstil einen autoritären Führungsstil heraus, weil es ein komplett anderer Ansatz ist. Ich erlebe allerdings, dass immer weniger Menschen sich einen autoritären Führungsstil gefallen lassen. Und junge Menschen, die die Wahl haben, suchen sich sicherlich kein Unternehmen aus, in dem ein autoritärer Führungsstil herrscht. Somit sind Unternehmen auch gefordert, sich an veränderte Rahmenbedingungen am Arbeitsmarkt anzupassen. Wenn sie das nicht tun, werden sie sich schwer tun, neue Menschen für Ihr Unternehmen zu gewinnen – mit allen wirtschaftlichen Konsequenzen.
Was verändern Ihre Workshops konkret in den Unternehmen? Möchten Sie von 1-2 Beispielen berichten, die Sie ganz besonders berührt haben?
Ebner: Ganz oft sehe ich, wie Führungskräfte den Positive Leadership Ansatz als etwas sehr konkret Umsetzbares erleben. Sie lernen bei meinen Workshop beispielsweise eine Technik, wie man Stärken bei sich und anderen psychologisch diagnostizieren kann. »Strengths Spotting« heißt diese Technik. Die kann man in ein paar Stunden in ihren Grundzügen erlernen. Und wenn die Seminarteilnehmer*innen das aneinander ausprobieren, kommt es immer wieder zu Aha-Erkenntnissen über eigene Stärken. Das macht dann Lust, es im eigenen Team auszuprobieren.
Als besonders schönes Beispiel fällt mir ein Unternehmen ein, wo die Führungskräfte, nachdem sie die Stärkendiagnostik gelernt hatten, diese auch bei Bewerbungsgesprächen eingesetzt haben. Und zwar haben Sie auch jenen Personen, die nicht genommen wurden, eine Rückmeldung darüber gegeben, welche Stärken im Bewerbungsprozess sichtbar wurden. Welche ein toller Unterschied zu einer standardisierten unpersönlichen Absage!
Ein weiteres schönes Beispiel war, als ein Unternehmen aufgrund der Beschäftigung mit PERMA-Lead einen kleinen Garten am Dach angelegt hat – mit Hochbeeten für die Mitarbeitenden. Dort wurden dann Tomaten und anderes Gemüse angepflanzt. Und dabei kamen Menschen aus unterschiedlichen Abteilungen ins Gespräch – was sich wieder positiv auf die Zusammenarbeit ausgewirkt hat.
Über Dr. Markus Ebner
Dr. Markus Ebner ist Wirtschafts- und Organisationspsychologe. Er unterrichtet an mehreren Universitäten und Fachhochschulen den Schwerpunkt Führung, hat in diesem Bereich zahlreiche Bücher und Publikationen verfasst und verfügt über Zusatzausbildungen in Coaching, Supervision, Krisenintervention, Sozialpädagogik sowie Organisations- und Teamentwicklung. Neben seiner mehr als 20-jährigen Tätigkeit als Trainer, Coach und Berater ist er der der Begründer des PERMA-Lead Modells und einer der namhaften europäischen Experten für Positive Leadership im Board of Directors des Österreichischen Dachverbands für Positive Psychologie. Markus Ebner wurde 2021 vom Weltdachverband für Positive Psychologie (IPPA) mit dem »Exemplary Research To Practice Award« ausgezeichnet. Mehr Informationen findest du auf der Homepage von Dr. Markus Ebner.