Warum Teilhabe der Schlüssel jeder Veränderung ist und welche Rolle Netzwerke dabei spielen

Was wäre, wenn ich mein ganzes Selbst zur Arbeit bringen könnte und damit auch noch Business Impact schaffe? Viel zu oft haben Mitarbeitende das Gefühl, dass ihre Interessen, sei es eine bessere Vereinbarkeit oder wirksame Nachhaltigkeits-Aktivitäten, nicht ausreichend in Führungsentscheidungen einbezogen werden. Hier kann die Stärkung von Teilhabe ein absoluter Game Changer sein: Das heißt, Mitarbeitende können aktiv mitbestimmen und mitgestalten. In diesem Artikel erklären wir euch, weshalb Netzwerke für eine echte Teilhabe so wichtig sind und wie Mitarbeitende diese aufbauen können. 

Photo by Avier Allegue Barros on Unsplash
von Charlotte Clarke, 7. Mai 2024 um 13:14

Dieser Gastartikel wurde verfasst von der Mut:Republik.

Im ersten Sommer nach Beginn der Corona-Pandemie haben viele Unternehmen ihre Mitarbeitenden, die in den vergangenen Monaten größtenteils im Home Office arbeiteten, gebeten, zurück ins Büro zu kommen. Nur wenige haben dabei jedoch an die Eltern gedacht, die die Betreuung ihrer Kinder aufgrund des Home Office und Home Schooling umgestellt haben. Durch das Eltern-Netzwerk des Unternehmens wurde das Management darauf aufmerksam gemacht, dass das geplante Vorhaben, wieder ins Büro zurückzukehren, für Eltern nicht so leicht umzusetzen ist. Dieses Beispiel zeigt, dass Netzwerke ein wichtiges Instrument sein können, um Teilhabe zu ermöglichen. 

Das Problem: (Quiet) Quitting und sinkende Bindung zum Unternehmen

Der Gallup Engagement Index Deutschland von 2023 zeigt: Sechs von zehn Mitarbeitenden haben innerlich bereits gekündigt1. Die emotionale Bindung von Deutschlands Beschäftigten an ihre Arbeitgeber:innen ist seit 2012 auf dem tiefsten Stand. Gemeint ist die »Bereitschaft und Begeisterung, die Mitarbeitende bei der Arbeit und an ihrem Arbeitsplatz zeigen«2. Für 43 % der Befragten ist in erster Linie die Unternehmenskultur ausschlaggebend für einen Jobwechsel3. Aber auch die Empathiefähigkeit der Vorgesetzten4, die Entlohnung, Beschäftigungssicherheit sowie die Work-Life-Balance sind für Mitarbeitende entscheidende Faktoren, ob diese kündigen oder nicht. 

Die volkswirtschaftlichen Kosten, die für Unternehmen bei Kündigungen entstehen, lagen 2022 zwischen 118,1 und 151,1 Milliarden Euro im Jahr.

Unternehmen fokussieren häufig stark das Thema Recruiting, also die Gewinnung neuer Fachkräfte, während die Retention, also das Investment in die bestehende Mitarbeitendenschaft, weniger Beachtung bekommt. Das ist mitten im Fachkräftemangel fatal. 

Weshalb Teilhabe der Schlüssel jeder Veränderung ist

Mit Teilhabe ist die Einbindung der Mitarbeitenden auf allen Ebenen - persönlich sowie strukturell - in die Organisation gemeint. Das heißt, Mitarbeitenden können aktiv mitbestimmen und mitgestalten. Wenn Mitarbeitende von Anfang an in wichtige Unternehmensentscheidungen einbezogen werden, steigt auch das Engagement nachhaltig an und beeinflusst somit die emotionale Bindung an das Unternehmen positiv. Dass Mitarbeitende einbezogen werden, ist jedoch in vielen Unternehmen und Organisationen noch nicht selbstverständlich.

Employee Resource Groups  - ein unterschätzter Lösungsansatz

Es gibt verschiedene Möglichkeiten, wie Unternehmen Mitarbeitende einbeziehen können. Ein Weg, der unseres Erachtens zu wenig Beachtung findet, sind Employee Resource Groups, die sich der gelebten Erfahrung von Mitarbeitenden widmen. Wir sprechen hier austauschbar auch von Netzwerken und Communities, da alle drei Begriffe in der Praxis Verwendung finden.

»Beschäftigtennetzwerke«, oft auch Employee Resource Groups (kurz: ERGs) sind formale Gruppen innerhalb einer Organisation, die freiwillig von Beschäftigten initiiert und koordiniert werden. Man unterscheidet hierbei grob zwischen jenen Communities mit

Shared Interest- vs. Shared Intent & Identity-Communities, wobei Letztere sich auf gelebte Erfahrung wie zum Beispiel die Bündelung von Interessen und Anliegen von Frauen oder Menschen mit Zuwanderungsgeschichte in Unternehmen konzentrieren. Diese ERGs tragen zu einer diversen und inklusiven Kultur am Arbeitsplatz bei und können hierfür auf unterschiedliche Ziele und Themen ausgerichtet sein."6

Bisher haben vor allem größere Unternehmen wie OTTO, Deutsche Telekom oder Zalando solche ERGs - auch wegen der dafür notwendigen Ressourcen. Allerdings sind ERGs oftmals noch nicht strategisch aufgebaut, ihnen fehlt die Sichtbarkeit oder der Impact, der relevante Veränderungen anstoßen könnte. Wie können wir das ändern?

Was bei dem Aufbau einer Employee Resource Group beachtet werden sollte

1. Zielsetzung und Zweck festlegen

Bei der Gründung einer ERG sollten sich Mitarbeitende zunächst über Ziel und Zweck des Netzwerkes Gedanken machen. Soll es beispielsweise zur Förderung der Vielfalt und Teilhabe, zur beruflichen Entwicklung oder zur sozialen Unterstützung dienen? In einem Mission Statement sollte festgelegt werden, ob die ERG ausschließlich für sich oder auf Unternehmensebene agieren möchte. Shared Intent & Identity Communities haben häufig parallele, wichtige Ziele: Sie schaffen psychologische Sicherheit für ihre Mitglieder, leisten einander Grievance Support, bündeln Interessen, aber können auch für Mentoring und berufliche Weiterentwicklung genutzt werden. 

Für ein Unternehmen ist es sinnvoll, Guides und Guidelines zu verfassen, um Mitarbeitenden diese Selbstorganisation zu erleichtern und vom ersten Schritt an eine übergeordnete, gemeinsame Ausrichtung - und somit auch den größtmöglichen Impact -  zu ermöglichen.

2. Führungsebene überzeugen

Inklusives Führen ist essentiell. Die Führungsebene ist zentral für mehr Sichtbarkeit und eine größere Wirkung von Communities. Die ERG-Mitglieder sollten versuchen, Führungspersönlichkeiten von der Notwendigkeit der Förderung ihres Netzwerks zu überzeugen, um Ressourcen wie Zeit, Budget und Räume für Treffen gestellt zu bekommen. Hierfür sollten die Netzwerkmitglieder Unterstützer:innen und Verbündete im Unternehmen suchen, die das Ziel der ERG teilen. Vielleicht haben Personen in der Führungsebene ähnliche gelebte Erfahrungen oder arbeiten bereits aktiv als Verbündete? Diese Verbindung trägt zur Glaubwürdigkeit der ERG, des Führungsperson und des Unternehmens bei.

3. Führung und Struktur

Das Netzwerk sollte eine Führungsperson-/ebene, die die ERG leitet und koordiniert und damit klare Rollen und Verantwortlichkeiten haben, so dass das Ziel der Community nie aus den Augen verloren wird.

4. Kommunikation und Bewerbung 

Effektive Kommunikationskanäle nutzen, um die ERG zu bewerben und Mitglieder anzusprechen. Hierbei können E-Mails, das Intranet, soziale Medien und persönliche Einladungen genutzt werden. Wichtig ist: Storytelling changes minds and behavior. Die Stärke von Shared Intent & Identity Communities ist ihre gelebte Erfahrung. Seine Geschichten zu teilen und Menschen damit persönlich zu erreichen, ist ein wirksames Mittel, um gemeinsame Belange durchzusetzen.

5. Feedback und Evaluation

Innerhalb des Netzwerks sollten regelmäßig Mitgliederumfragen durchgeführt werden, um kontinuierlich Verbesserungen vorzunehmen und sicherzustellen, dass die ERG ihren Zweck erfüllt.

6. Ausrichtung an Unternehmensstrategie

ERGs, die ihre Ziele an der Unternehmensstrategie ausrichten, können somit zum Erfolg des Unternehmens beitragen. Die Wirkung ist nicht zu unterschätzen. Netzwerkarbeit leidet häufig an mangelnder Sichtbarkeit und ist gleichsam eine sehr wertvolle Fokusgruppe für Unternehmen. Wir denken hierbei beispielsweise an die Black Employee Resource Group (BEC) von Zalando, deren Interessen und Expertise in Business-Entscheidungen eingebracht wurden. Zalando hat die Black-Owned-Fashion- und -Beautymarken gezielt gefördert und zusätzlich 1 Million Euro in begleitende Marketingstrategien investiert. Mit Hilfe der ERG wurden zudem rassistische oder diskriminierende Formulierungen in der Unternehmenskommunikation ermittelt und entfernt. Das hat die Unternehmenskultur nachhaltig verbessert.7

7. Nachhaltigkeit sicherstellen

Die ERG sollte Maßnahmen ergreifen, um sicherzustellen, dass die Community langfristig bestehen kann, auch wenn sich die Mitgliederzusammensetzung ändert oder sich Unternehmensstrukturen verändern. Dazu gehört auch das Lobbying für Sichtbarkeit und Wertschätzung: Ob diese durch Teilhabe in Company-Strategie, Positionen, Freizeitausgleich oder de facto finanzieller Kompensierung wie bei Front Runnern wie LinkedIn oder Uber erreicht wird, muss je nach Unternehmen erörtert werden. 

Warum ERGs einen großen Hebel haben

In unserer Arbeit bei der Mut:Republik sehen wir, dass besonders effektive ERGs sich durch ihre Ausrichtung an strategischen Unternehmenszielen auszeichnen. Ebenso wichtig ist es, dass die Netzwerke von der Führungsebene unterstützt werden und die Mitglieder aktiv in Unternehmensentscheidungen eingebunden werden. 

ERGs können zu einem inklusiven Arbeitsplatz beitragen, da den Mitarbeitenden und ihren gelebten Erfahrungen Raum gegeben wird - für den persönlichen Austausch und gegenseitiges Empowerment. Die Mitglieder eines Netzwerks haben die Möglichkeit, ihre Interessen und Bedürfnisse auf die Unternehmensagenda zu setzen, ihr Wissen zu teilen und konkrete Änderungen je nach Bedarf voranzutreiben wie bspw. Job-Sharing für Eltern oder Ruhearbeitsräume für Menschen mit AD(H)S.

ERGs können aber auch die berufliche Weiterentwicklung der Mitglieder fördern. Netzwerke sind eben auch das: Plattformen für Networking. Sie unterstützen Mitarbeitende bei ihrer beruflichen Weiterentwicklung innerhalb und außerhalb der ERGs und können diese dazu befähigen, Führungsaufgaben zu übernehmen. Zudem können sie zu einem inklusiven Arbeitsplatz beitragen und Mitarbeitende empowern. 

Darüber hinaus ermöglicht die Einbeziehung von ERGs ein zielgruppenspezifisches Branding und eine innovative Produktentwicklung. Was muss ich beachten, wenn ich eine digitale Lösung entwickeln möchte, die allen zugänglich ist? Wie sieht meine nächste Recruiting-Kampagne aus, wenn ich junge IT-Fachkräfte ansprechen möchte? Die Einbindung von Netzwerken ermöglicht es Unternehmen, Zielgruppen und ihre Bedürfnisse besser zu verstehen, um ihr Branding spezifischer und ihre Produktentwicklung innovativer zu gestalten.

Auch die externe Wirkung von ERGs sollte nicht unterschätzt werden. Netzwerke geben den Mitarbeitenden eine Sichtbarkeit im, aber auch außerhalb des Unternehmens - das macht diese zu attraktiven Arbeitgeber:innen, denn Fachkräfte bewerben sich nur dort, wo sie sich selbst auch sehen können, wertgeschätzt und zugehörig fühlen.

Unternehmen müssen daher den Mehrwert von ERGs für das Business erkennen und beginnen, in ihre Mitarbeitenden zu investieren. Nur wer sein ganzes Selbst zur Arbeit bringen kann, gehört wird und ernsthaft teilhaben kann, wird lange und glücklich in einem Unternehmen bleiben. 

Über die Mut:Republik

Die Mut:Republik ist eine Boutique Beratung für eine vielfältige Arbeitswelt mit Sitz in Berlin. Unsere Mission: Eine vielfältige Arbeitswelt des Miteinanders, des Perspektivenreichtums und der Innovationskraft.

Dafür erleichtern wir Zugänge im Recruiting und sprechen neue Zielgruppen an.
Dafür schaffen wir Mitarbeitendenbindung durch Teilhabe und beziehen Menschen ein.
Dafür machen wir Führungspersonen sprachfähig und verbinden Strategie mit Authentizität.

Mut:Republik wurde von Nikolina Romana Milunović (DE&I & Expertin für Transformation), Düzen Tekkal (Menschenrechtsaktivistin & Sozialunternehmerin), und Juri Schnöller (Kommunikationsexperte) gegründet.

Quellenangaben:

1 Gallup (2023). Engagement Index 2023 Deutschland
2
Gallup (2023). Engagement Index 2023 Deutschland
3 Hays (2023). HR-Report Mitarbeiterbindung 2023
4 Buisnesssolver (2023). State of Workplace Empathy Report 2023
5 Gallup (2023). Engagement Index 2023 Deutschland
6 Springer Fachmedien Wiesbaden (2023). Employee Resource Groups: Beschäftigtennetzwerke zur Stärkung von Diversity und Inclusion
7 Zalando (2024). Meet Zalando’s Black Employee Resource Group

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