Mit eurem Unternehmen Bridge&Tunnel setzt ihr euch gleichzeitig für weniger Ressourcenverschwendung in der Textilindustrie und für die Integration von Geflüchteten und benachteiligten Menschen ein. Wie genau schlagt ihr diese Brücke und wie kam es zu dieser Idee?
Constanze Klotz: Im Grunde fließt bei uns alles in einem großen Kosmos zusammen, der als Überschrift »Wertschätzung« tragen könnte: Wir arbeiten mit textilen Überschüssen, die viel zu schade sind, um entsorgt zu werden. Insbesondere, weil sie bereits existieren und ressourcenintensiv entsorgt werden würden. Unsere wunderschönen Designs werden in unserer eigenen Werkstatt von Menschen gefertigt, deren Potential vorher noch nicht entdeckt oder gewürdigt wurde. Sie alle kommen aus der Langzeitarbeitslosigkeit oder hatten große Schwierigkeiten, einen regulären Job zu finden. Das liegt nicht an ihren Fähigkeiten, denn im Nähen sind sie Profis, sondern an multiplen Hindernissen, wie beispielsweise mangelnden Sprachkenntnissen oder fehlenden Zeugnissen.
Die Idee entstand aus der Beobachtung, dass beides in unserer direkten Nachbarschaft vorhanden ist: talentierte Menschen ohne Job und wertvolle Textilien, die ein zweites Leben verdient haben.
Wie habt ihr euch als Gründungsteam gefunden und wie sah euer jeweiliger persönlicher Weg bis dahin aus? Hattet ihr zuvor bereits mit den Themen Fair Fashion und Integration zu tun?
Conny: Wir haben zuvor einige Jahre einen textilen Coworking Space »Stoffdeck« geleitet. Konzipiert war er, um angehenden Designer*innen oder DIY-Begeisterten die Möglichkeit zu bieten, spontan auf Maschinen, Equipment und Räumlichkeiten zuzugreifen. Das ist besonders wichtig für Schneider*innen oder Designer*innen, die sich selber noch kein Atelier leisten können oder nur hin und wieder Spezialmaschinen benötigen.
Entstanden ist der Coworking Space als Projekt der Internationalen Bauausstellung (IBA) 2013, die nicht nur Architektur-, sondern auch Kunst- und Kulturprojekte für den Stadtteil entwickeln und mit Partnern nachhaltig implementieren sollte. Hier arbeitete Conny, die Kulturwissenschaftlerin ist, seit 2007 und ersann mit Gudrun Stefaniak vom Träger Passage gGmbH das »Stoffdeck«, das später zur Keimzelle von Bridge&Tunnel wurde. Lotte kam als operative Projektleitung mit der Eröffnung hinzu, vorher hat sie als Textildesignerin selbstständig gearbeitet.
Die Räume des Stoffdeck standen auch für textile Workshops und Gruppen zur Verfügung. Dabei haben wir gesehen, dass es in unserem Stadtteil Wilhelmsburg Menschen gibt, die sich als Gruppe zum wöchentlichen Nähen treffen. Wie ein deutsch-türkischer Nähclub, den wir irgendwann eingeladen haben, ihren wöchentlichen Nähtreff von der Moschee zu uns zu verlegen. Sie konnten wahnsinnig kunstvoll nähen, gingen der Tätigkeit aber nicht beruflich nach. Weil sie nämlich gar keinen Beruf hatten.
Mit unserer geballten Expertise aus Design, Projektorganisation, Handwerk und Kommunikation haben wir es einfach gewagt, aus dieser Beobachtung heraus unser Label zu gründen. Auch wenn wir vorher noch wenig Expertise in der textilen Produktion oder in Integrationsprojekten hatten.
Woher bezieht ihr die Materialien für eure Textil-Unikate und wer denkt sich die hübschen Designs aus? Wie setzt sich euer Werkstatt-Team zusammen und wodurch profitieren die Mitarbeitenden bei euch besonders?
Conny: Lotte ist die Designerin und denkt sich immer gern neue Designs aus, die aus unseren speziellen Materialien gefertigt werden können. Unser gesamtes Material bekommen wir aus einem riesigen Pool von abgelegten Textilien. Hauptsächlich arbeiten wir aus used Jeans und hier haben wir ganz unterschiedliche Beschaffungswege: von privaten Kleidersammlungen über Kooperationen mit Hanseatic Help und den Kleiderkammern bis zu textilen Produktionsüberschüssen und Überproduktionen der klassischen Textilindustrie.
Unser Werkstatt-Team besteht aus einer Produktionsleiterin und sechs Menschen mit ganz unterschiedlichen Qualifikationen im Nähteam. Da unsere Werkstattsprache Deutsch ist, profitieren unsere Mitarbeiter*innen besonders vom Deutscherwerb am Arbeitsplatz, wir sehen aber auch täglich, wie viel Selbstbewusstsein unser Team durch die Wertschätzung ihrer Fähigkeiten gewinnt.
Natürlich helfen wir auch immer bei Behördenpost und anderen täglich auftauchenden Schwierigkeiten, das hat uns schon zu einer ziemlich eingeschworenen Truppe gemacht.
Was waren bisher eure größten Herausforderungen als Unternehmerinnen? Glaubt ihr, ihr hattet als Frauen besondere Hürden zu überwinden?
Conny: Jede*r, der*die unternehmerisch unterwegs ist, hat mit Herausforderungen zu tun. Die sind sozusagen freundliche, dauerhafte Wegbegleiter. Wir haben nicht das Gefühl, dass wir andere Hürden nehmen mussten als Männer. Ganz im Gegenteil: Es hat uns zuweilen auch in die Karten gespielt, dass es eben prozentual betrachtet viel weniger Gründerinnen gibt. Letztlich zählt aber die Unternehmensidee, ganz egal, ob diese von einer Frau oder einem Mann vorangetrieben wird.
Was würdet ihr angehenden Gründerinnen gerne mit auf den Weg geben? Auf welche Entscheidung(en) seid ihr besonders stolz?
Conny: Macht es nicht alleine! Wir merken immer wieder, wie gut es ist, ein Duo zu sein: für den Ausgleich, für eine Vielzahl an Fähigkeiten und Interessen, für geteilte Aufgaben und doppelte Kraft.
Was bedeutet Female Leadership für euch?
Conny: Empowerment, Equality und Cooperation over Competition. Nicht alle Frauen in Führungspositionen beanspruchen das Wort »Feministin« für sich. Aber viele Frauen, die wie wir in Führungspositionen sind oder aber auf dem Weg dorthin, kämpfen für eine Sichtbarmachung von Frauen, ihre Gleichstellung gegenüber Männern und ein solidarisches Miteinander, bei der das Thema wichtiger ist als individuelle Eitelkeiten.
Was muss sich in der Wirtschaft und in der Startup-Welt verändern, damit es vor allem Frauen leichter gemacht wird, ihre eigenen sozialen Unternehmen und Projekte zu gründen?
Conny: Es sollte grundsätzlich leichter sein, Social Businesses zu gründen. Das hat für uns jetzt weniger damit zu tun, wer gründet, sondern welchen Stellenwert das Thema in der Gesellschaft hat. Und Social Businesses, die wie unser Label oft Weltenwandler zwischen gesellschaftlichem Wirken und unternehmerischem Handeln sind, sollten viel mehr Beachtung und auch Unterstützung, etwa durch öffentliche Förderprogramme finden.
Wie kann man euch unterstützen?
Conny: Spendet eure alten Jeans! Kauft oder verschenkt unsere Upcycling Designs und folgt uns auf Social Media! Das würde uns sehr happy machen!
Was ist eure Vision für die Zukunft unserer Umwelt und Gesellschaft? Inwiefern seht ihr hier eure Verantwortung als Unternehmerinnen?
Conny: Nach vielen Jahren des Dauershoppens waren wir irgendwann angewidert von dem Versprechen der Fast Fashion Industrie, dass permanent neue Styles unser Leben glücklicher und erfüllter machen sollen. Es braucht ein radikales Umdenken in der Mode und wir brennen dafür, zu zeigen, wie man kreislauffähiger und wertschätzender mit Mode umgehen kann. Das ist der Grund, warum wir unser Label Bridge&Tunnel gegründet haben.
Uns fasziniert die Vorstellung, dass man mit unternehmerischen Mitteln gesellschaftlich wirken kann. Für die Zukunft wünschen wir uns mehr Unternehmen, die diese beiden Bereiche verbinden und damit ein neues Verständnis von Wirtschaften stark machen, das über eine rein ökonomische Logik hinausgeht. Mit Bridge&Tunnel leisten wir unseren Beitrag dazu.
Über Bridge&Tunnel
Bridge&Tunnel steht für Design, das Gesellschaft verändert. Das Label fertigt nachhaltig und fair: inmitten Hamburgs mit gesellschaftlich benachteiligten Menschen sowie mit Geflüchteten. Das Denim Design entsteht aus post- & pre-consumer waste (Alttextilien und Materialüberschüssen). So erhalten wertvolle Materialressourcen ein neues Leben in style und hoffnungsvolle Talente aus aller Welt einen erfüllenden Job mit Anerkennung. Bridge&Tunnel ist ein gemeinnütziges Label. Mit jedem Kauf der Produkte trägst du dazu bei, noch mehr gesellschaftlich benachteiligte Menschen in Arbeit zu bringen.
Dieses Interview ist Teil unserer Reihe »Female Founders«. Lerne weitere starke Gründerinnen kennen: