Eine Gesellschaft ohne Lohnarbeit
Das Konzept des »Post-Growth«, also einer Gesellschaft ohne Wachstum, ist bereits in der politischen und wissenschaftlichen Diskussion angekommen. Eine »Post-Work«-Gesellschaft jedoch, in der es kein klassisches Verhältnis mehr zwischen Arbeitgebern und Angestellten mehr gibt, dürfte den meisten wohl noch ziemlich unvorstellbar erscheinen, stellt es doch die Basis des kapitalistischen Wirtschaftssystems und der Beruf in der Regel einen wichtigen Teil der eigenen Identität dar. Doch genau dieses im Allgemeinen für selbstverständlich gehaltene Konzept hinterfragt Rosswog auf sehr radikale Weise und zeigt auf, dass die Erwerbsarbeit, wie wir sie heute kennen, historisch betrachtet noch sehr jung ist und vielleicht gar nicht so alternativlos, wie es scheint.
Warum gehen wir eigentlich arbeiten? Ist doch klar – um eine materielle Sicherheit (ein Dach über dem Kopf, Kleidung, Lebensmittel usw.) zu erlangen, aber vor allem auch, um unsere soziale Sicherheit Aufrecht zu erhalten. Denn die Anerkennung, die uns die Gesellschaft gibt, ist stark an unseren Beruf geknüpft. Natürlich werden die allermeisten darüber hinaus auch von einer inneren Motivation heraus angetrieben: Grundbedürfnisse des Menschen sind auch das Tätigsein, Selbstverwirklichung und das Gefühl, etwas Sinnvolles zur Gemeinschaft beizutragen.
Wie das System Arbeit die ökologische Krise erzeugt
Doch genau daran scheitert das System der Lohnarbeit: Rosswog zeigt, dass die allerwenigsten Arbeitnehmer*innen in ihrem Beruf eben diese Sinnhaftigkeit erfahren, sondern im Gegenteil frustriert und vom Leistungsdruck ausgebrannt sind. Wichtige Tätigkeiten, die dem Gemeinwohl dienen, wie z.B. Kinderbetreuung und ehrenamtliche Aktivitäten, kommen zu kurz. Im schlimmsten Falle müssen persönliche Werte im Job völlig ausgeblendet und fremdbestimmt Aufgaben verrichtet werden, die den eigenen ethischen Überzeugungen völlig widersprechen – frei nach dem Motto »Ich mache hier doch nur meine Arbeit.« Nahezu alle Glück bringenden Aktivitäten werden in das »Privatleben«, sprich in die Zeit nach Feierabend gequetscht. Es entsteht ein ständiger Zeitkonflikt zwischen gefühlter Leistungspflicht und den Dingen, die man eigentlich gerne tun würde. Um diesen Mangel an Zufriedenheit auszugleichen, flüchten sich viele in übermäßigen Konsum – was zum einen dazu führt, dass für die Aufrechterhaltung des Lebensstandards immer mehr gearbeitet werden muss und zum anderen verheerende Auswirkungen auf unsere Ökosysteme, das Klima und die Länder des globalen Südens hat.
Diesen Teufelskreis des sich selbst verstärkenden Systems von Lohnarbeit, Leistungswahn, Kompensationsbedarf durch Konsum und Überproduktion, der wiederum mehr Arbeitsplätze erforderlich macht, zeichnet die Lektüre von »After Work« sehr eindringlich nach. Doch das Buch übt nicht nur reine Kritik, sondern eröffnet den Leser*innen darüber hinaus für verschiedene Lebensbereiche (z.B. Wohnen, Kleidung, Freizeit) eine umfangreiche Bandbreite an möglichen praktischen Alternativen, die ein Stück weit unabhängiger machen können von Erwerbsarbeit und Konsumzwang und lädt in kleinen Denkübungen ein, über den eigenen Horizont hinauszudenken und die Komfortzone in kleinen Schritten zu verlassen. Grundlage für das eigene Handeln sollte sein, was sich richtig, gut und sinnvoll anfühlt. Zudem geht der Autor konkret auf mögliche Kritikpunkte zu seiner Vorstellung einer »Post-Work-Gesellschaft« ein und formuliert Gegenargumente, lädt jedoch auch zur kritischen Diskussion ausdrücklich ein.
Wie kann eine neue Form des Arbeitens möglich werden?
Auch wenn die hier gezeichnete Utopie einer von Lohnarbeit befreiten Gesellschaft noch realitätsfern scheinen mag, setzt sie doch auch einen umfassenden kulturellen Wandel voraus, der sich natürlicherweise nur langsam vollzieht, so rüttelt »After Work« jedoch ordentlich auf und regt dazu an, sich selbst mit wichtigen Fragen auseinanderzusetzen: Was gibt meinem Leben wirklich einen Sinn? Welche Bedeutung hat »Arbeit« für mich? Was kann ich zu einer lebenswerten Gesellschaft beitragen?
Zwar ist es unbestreitbar, dass jede*r Einzelne Teil der Lösung sein kann und durch persönliches Engagement sowie das Vorleben von nachhaltigen, solidarischen Lebensmodellen einen essentiellen Beitrag leistet, so wird in »After Work« die Rolle der Politik jedoch kaum thematisiert – doch nur, wenn zusätzlich zu einer Bewegung innerhalb der Gesellschaft ein entsprechender gesetzlicher Rahmen geschaffen wird, können die Hürden für eine Leben mit weniger Erwerbsarbeit für die breite Masse zumutbar gemacht werden. Hier wären z.B. die Einführung der 32-Stunden-Woche, einer funktionierende Mietpreisbremse sowie die Reduzierung der Sanktionierungen für Sozialhilfeempfänger*innen wichtige erste Schritte, um Selbstbestimmung zu fördern. Zudem könnten die aktuellen Megatrends Digitalisierung und Automatisierung und der damit einhergehende massive Verlust von Arbeitsplätzen uns in nicht allzu ferner Zukunft dazu drängen, genau solche Gesellschaftsmodelle zu diskutieren, die uns im Moment scheinbar noch unmöglich erscheinen.
Die Utopie als Wegweiser
Für wie realistisch man diesen Wandel weg von einer auf Leistungszwang hin zu einer auf Solidarität basierenden Gesellschaft hält, hängt wohl auch stark vom persönlichen Menschenbild ab – die Frage, ob die Mehrheit auch ohne externe Zwänge dennoch freiwillig einer beruflichen Tätigkeit (oder im besten Falle ihrer dem Gemeinwohl dienlichen Berufung) nachgehen oder doch auf der faulen Haut liegen bleiben würde, wird aktuell auch in anderen Zusammenhängen, z.B. einer möglichen Reform von Hartz IV oder des Konzepts eines bedingungslosen Grundeinkommens, rege diskutiert.
Rosswog stößt mit seinem Werk, gerade durch die Radikalität seines Ansatzes, eben diese dringend notwendige Diskussion erfolgreich an und eröffnet eine Utopie, die unabhängig davon, ob sie nun vollständig umsetzbar ist oder nicht, die Perspektive erweitert und Möglichkeiten aufzeigt, den eigenen Alltag ein wenig konsumfreier und selbstbestimmter zu gestalten sowie gemeinschaftliche Strukturen im sozialen Umfeld zu fördern. »Denn wofür ist sie also da, die Utopie?«, so zitiert Rosswog den Dichter Fernando Birri, »Dafür ist sie da: um zu gehen!«
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