Dieser Gastartikel wurde verfasst von Belul Bokrezion, Karina Savio und Matthias Pfleger, Berater:innen für Diversität und Antidiskriminierung bei BQN Berlin.
Endlich hat es geklappt. Adyam hat nach vielen Bewerbungen eine Einladung zum Vorstellungsgespräch bekommen. Für die freie Stelle als Office Managerin erfüllt sie alle Voraussetzungen. Ihr erster Eindruck des Unternehmens ist positiv: Sie wird am Empfang herzlich willkommen, mit Getränken versorgt und hat ein paar Minuten Zeit anzukommen. »Bei uns wird Diversity gelebt, wir suchen Talente mit verschiedenen Hintergründen«, liest Adyam auf einem Poster im Warteraum. Zu Beginn des Bewerbungsgesprächs stellt sich Adyam vor. Die Personalerin scheint ganz begeistert und entgegnet: »Was für ein interessanter Name. Wo kommen Sie denn ursprünglich her?« Adyam ist irritiert: »Meine vermeintliche Herkunft ist doch für den Job nicht relevant«, denkt sie sich. Sie hat es satt, immer wieder auf diese Frage reduziert zu werden. Adyam entscheidet sich daraufhin für ein anderes Unternehmen.
Adyam ist mit solchen Erfahrungen nicht alleine. People of Color, Schwarze Menschen, Menschen mit Kopftuch, Trans* Personen und Menschen mit Behinderungen berichten davon, bei der Jobsuche diskriminiert zu werden. So geht aus einer repräsentativen Umfrage der Antidiskriminierungsstelle des Bundes hervor, dass die Hälfte (49 Prozent) der Befragten Diskriminierung im Arbeitsleben erfährt – ein Viertel davon während der Arbeitssuche und des Bewerbungsprozesses.[1]
Studien wie diese zeigen, wie Rassismus und andere Diskriminierungsformen (u.a. Klassismus, Sexismus, Ableismus) nicht das Problem Einzelner, sondern tief in den gesellschaftlichen und institutionellen Strukturen verankert sind. So sind auch Recruiting Prozesse anfällig für strukturelle Diskriminierungen.
Dabei ist Diskriminierung im Arbeitsleben laut dem Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetz (AGG) gesetzlich verboten. Arbeitgebende sind dazu verpflichtet, den Schutz der Beschäftigten vor Benachteiligungen sicherzustellen und erforderliche Maßnahmen zu treffen. Doch nicht nur die gesetzlichen Aspekte sind entscheidend: Unternehmen können es sich gar nicht leisten, gesellschaftliche Vielfalt nicht zu einem zentralen Thema in ihren Organisationsstrukturen zu machen. Arbeitnehmende wünschen sich ein Arbeitsumfeld, in dem sie sich wertgeschätzt und sicher fühlen, ihre Potentiale und Kompetenzen gezielt anerkannt werden und auf ihre unterschiedlichen Perspektiven und Lebensrealitäten eingegangen wird. Sonst besteht die Gefahr einer hohen Mitarbeitenden-Fluktuation oder: Bewerbende schließen schon im Bewerbungsprozess das Unternehmen als potentiellen Arbeitgebenden für sich aus – so wie Adyam.
Es gibt immer mehr kleine und mittelständische Unternehmen (KMU), die öffentlich Stellung beziehen und sich »diverser aufstellen« und »Vielfalt leben« möchten. Die Vorteile liegen für viele auf der Hand: Vielfältige Perspektiven, neue Ansichten und Ansätze führen bekanntlich zu besseren Geschäftsergebnissen und divers aufgestellte Teams sind erfolgreicher. Und doch werden neue Mitarbeitende oftmals nach dem »Cultural Fit« eingestellt, weil sie »so gut ins Team passen«. Aber gerade hier besteht ein hohes Diskriminierungspotential: Wenn sich Personaler:innen eine Art Idealbewerbende vorstellen, sind es oft Personen, die einem selbst ähneln oder sympathisch sind. Personen, die von dieser Vorstellung abweichen, werden oftmals unbewusst eher defizitorientiert wahrgenommen und benachteiligt.
Diversität ist also nicht nur eine Frage der unternehmerischen Haltung und des Images. Voraussetzung für Diversität ist eine ernsthafte Auseinandersetzung mit Diskriminierung, um strukturellen Wandel im eigenen Unternehmen zu bewirken.
Einstellungsverfahren Schritt für Schritt diskriminierungssensibel gestalten
Strukturelle Diskriminierung ist nicht immer sichtbar und kann verschiedene Formen annehmen. Umso wichtiger ist es, jede Phase im Einstellungsverfahren, von der Stellenausschreibung, Auswahl der Bewerbenden bis hin zum Vorstellungsgespräch, auf unterschiedliche Diskriminierungspotentiale zu überprüfen.
Du suchst nach einem Job mit Sinn?
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Stellenausschreibung überprüfen
Fallbeispiel:
Das Unternehmen, bei dem sich Adyam bewarb, hat in den letzten Jahren immer mehr Schwierigkeiten neue Mitarbeitende zu finden. Ziel der Personaler:innen ist es daher, sich als attraktive Arbeitgebende zu präsentieren und bisher unerreichte und diverse Bewerber:innengruppen anzusprechen. Dazu sollen Standards in Stellenausschreibungen reflektiert und überprüft sowie diversitätsorientiert und diskriminierungssensibel umgeschrieben werden.
Aus der aktuellen Stellenausschreibung geht hervor:
Mitarbeiter im Office Management (m/w/d) - Wir suchen Talente zur Verstärkung eines jungen, dynamischen Teams.
Stellenanforderungen:
- Du bist technikaffin.
- Du bist ein Teamplayer, kannst Dich aber auch behaupten, wenn das notwendig ist.
- Du kommunizierst Deutsch auf muttersprachlichem Niveau und akzentfrei.
Tipp 1: Nutzen Sie diversitätsorientierte Sprache
- Um Menschen mit allen Geschlechtsidentitäten anzusprechen, sollte die Ausschreibung nicht nur einen Klammerzusatz im Titel enthalten (m/w/d), sondern konsequent gendergerecht formuliert sein. Vermeiden Sie Begriffe wie »Teamplayer« und »Mitarbeiter«, die sich nur an ein Geschlecht richten und nutzen Sie geschlechtergerechte Sprache, wie z.B. den Genderstern (Mitarbeiter*in), um nicht-binäre Personen, genderfluide, Trans*-Personen, ageschlechtliche oder genderqueere Personen[2] anzusprechen.
- Sich zu »behaupten« impliziert, dass Mitarbeitende sich im Arbeitsalltag wehren müssen und vermittelt somit einen eher negativen Eindruck von Arbeitsorganisation und Unternehmenskultur. Um Teamfähigkeit als Anforderung zu beschreiben, können Sie z.B. folgende Formulierung nutzen: »Du arbeitest gerne im Team und entwickelst gemeinsame Ziele und gestaltest Prozesse mit.«
- Anforderungen wie »Deutsch als Muttersprache[3]« und »akzentfrei« diskriminieren Personen, die nicht im deutschen Sprachraum aufgewachsen sind und ihre Deutschkenntnisse als Zweit- oder Drittsprache erworben haben. Überprüfen Sie, ob diese Anforderung für die Ausführung der Tätigkeit unbedingt notwendig ist und formulieren Sie diese sachlich, z.B. »sehr gute Deutschkenntnisse« oder »Sprachniveau B2 des Gemeinsamen europäischer Referenzrahmens für Sprachen (GER)«.
- Formulierungen wie »jung, dynamisch« sind altersbezogene Merkmalsbeschreibungen, die diskriminierend gegenüber lebensälteren Bewerbenden sind, und auch Quereinsteiger:innen abhalten könnte, sich zu bewerben.
- Für die bessere Verständlichkeit der Anforderungen ist zu empfehlen, die beliebte Formulierung »technikaffin« zu konkretisieren. Dies könnte folgendermaßen aussehen: »Du bist sicher im Umgang mit modernen IT-Systemen wie ERP- und Buchhaltungssystemen.«
Tipp 2: Stellen Sie das Diversity-Verständnis Ihres Unternehmens vor
Arbeitgebende sollten in Stellenanzeigen explizit den Stellenwert von Diversity im eigenen Unternehmen benennen. Auch Diversity-Maßnahmen, die umgesetzt werden (z.B. Entwicklung von Transitionsrichtlinien[4]), und ein klares Bekenntnis zu Diversität und Antidiskriminierung im Leitbild können benannt werden. Besonders empfehlenswert ist es, transparent zu sein und sich auch als lernende Organisation zu präsentieren:
- »Wir sind nicht frei von diskriminierenden Praxen, aber uns ist es wichtig, sich dieser bewusst zu werden und sie abzubauen. Wir nahmen daher am Projekt XYZ in Bezug auf ….teil.«
Tipp 3: Sprechen Sie gezielt strukturell benachteiligte Personen an
Neben dem Hinweis zur Wertschätzung von Diversität ist auch die gezielte Aufforderung zur Bewerbung von strukturell benachteiligten Personen essentiell, um diverse Zielgruppen anzusprechen:
- »Wir befinden uns in einem fortlaufenden Veränderungsprozess zu mehr Diversität und wünschen Bewerbungen von Menschen, die strukturelle Diskriminierung erfahren.«
- »Wir freuen uns besonders über Bewerbungen von Schwarzen Menschen, Personen of Color, Menschen mit Migrations- oder Fluchtgeschichte, trans*, inter* und queere Personen, Menschen mit Behinderungen, Sinti*ze und Rom*nja[5]«.
Sie möchten Bewerbende ansprechen, die gesellschaftlich unterrepräsentiert sind, sind sich aber nicht sicher, wie Ihre Stellenausschreibungen wirken? Wir von BQN unterstützen Sie mit Sensivity Readings (visuelle und textliche Analyse) und geben Ihnen Tipps für diskriminierungssensible und diversitätsgerechte Formulierungen.
Auswahlgespräche standardisieren und reflektieren
Fallbeispiel:
Nachdem das Unternehmen die Stellenausschreibung diskriminierungskritisch angepasst hat, sind sie positiv überrascht über die Vielzahl an Bewerbungen, insbesondere von Personen, die das Unternehmen bisher gar nicht erreicht hat. Die Personalerin plant wie immer, die Gespräche alleine durchzuführen. Sie hat schon eine gute Vorstellung davon, wie die ideale Besetzung für die Stelle aussehen könnte.
Tipp 1: Legen Sie Standards fest
In kleinen und mittleren Unternehmen sind Ressourcen knapp. Umso wichtiger ist es, Auswahlprozesse zu strukturieren. Dabei kann es vorkommen, dass nur eine Person für die Personalgewinnung zuständig ist. Hier sollte die Durchführung und Entscheidung von mindestens zwei Personen als Standard anvisiert werden.
Entwickeln Sie einen Fragenkatalog, um Bewerbenden identische Fragen zu stellen und klare Kriterien für die Bewertung der Antworten vorab festzuhalten. So stellen Sie eine Vergleichbarkeit zwischen den Bewerbenden sicher. Ein standardisierter Gesprächsleitfaden kann zudem für einen angenehmen Gesprächsbeginn sorgen, z.B. durch vorher festgelegte Fragen zur richtigen Aussprache des Namens oder der Anwendung korrekter Pronomen wie:
- »Wie sprechen wir Ihren Namen richtig aus?«
- »Wie möchten Sie angesprochen werden?«
- »Mit welchem Pronomen dürfen wir Sie ansprechen?«
Tipp 2: Beobachtung und Bewertung trennen – so reflektieren Sie unbewusste Vorurteile
Eine vorurteilsfreie Bewertung von Personen gibt es nicht. Jeder Mensch generiert Vorurteile und Stereotype, die die Wahrnehmung von Menschen (unbewusst) verzerren. Diese haben einen unmittelbaren Einfluss auf Personalentscheidungen und -bewertungen.
Um diesen Einfluss zu minimieren, ist es unabdingbar, dass Personalverantwortliche Wirkmechanismen von Vorurteilen und Stereotypen erkennen, reflektieren und ihnen aktiv entgegenwirken. Dabei können folgende Reflexionsfragen hilfreich sein:
- »Spreche ich Bewerbenden Kompetenzen ab, weil sie eine ungeradlinige Berufsbiografie haben?«
- »Verunsichert mich die Person, weil sie weder mit einem männlichen noch weiblichen Pronomen angesprochen werden möchte?«
- »Spielt das äußere Erscheinungsbild eine Rolle in meiner Bewertung?«
Die Reduktion von Diskriminierungspotentialen kann gelingen, wenn Beobachtung und Bewertung getrennt werden. Protokollieren Sie also nur das, was tatsächlich gesagt oder beobachtet wurde. Die Bewertung anhand der festgelegten Kriterien erfolgt im zweiten Schritt.
Tipp 3: Sensibilisierung von Personal- und Auswahlverantwortlichen
Das Wissen und die Handlungssicherheit der Personaler:innen sollte durch regelmäßige Fortbildungen zu vorurteilsbewusster Beobachtung und Bewertung sowie durch Sensibilisierungstrainings zu Diversität und Antidiskriminierung gestärkt werden.
So können Personal- und Auswahlverantwortliche z.B. in Trainings mit dem Fokus auf Kritisches Weißsein lernen, dass bei rassistischen und weiteren diskriminierenden Aussagen (wie z.B. bei Herkunftsfragen), nicht die Intention entscheidend ist, sondern die Wirkung der Aussage bei den Betroffenen und was das bei ihnen auslöst. Für Personaler:innen ist es daher wichtig, die eigene gesellschaftliche Position zu hinterfragen und diskriminierende Denkmuster aufzubrechen.
Sie möchten Ihr Auswahlverfahren diskriminierungskritisch überprüfen und Personaler:innen in Ihrem Unternehmen zu Diversitätsthemen fortbilden? Wir von BQN unterstützen Sie mit Beratung und Workshop! Erfahren Sie hier mehr zu unserem Beratungsangebot für kleine und mittlere Unternehmen.
[1] Die Daten basieren auf einer Repräsentativbefragung der Antidiskriminierungsstelle des Bundes zu Diskriminierungserfahrungen aufgrund unterschiedlicher Merkmale in verschiedenen Lebensbereichen sowie auf einer nicht-repräsentative Betroffenenbefragung, in der rund 18.000 Teilnehmende eigene oder beobachtete Diskriminierungssituationen schilderten. Siehe dazu: Gemeinsamer Bericht der Antidiskriminierungsstelle des Bundes (2017) (Zugriff: 19.04.2022).
[2] Für die Bedeutung der einzelnen Bezeichnungen siehe z.B.: LSTBIQ*-Lexikon von der Bundeszentrale für politische Bildung. (Zugriff: 21.04.2022).
[3] Auch der Begriff »Muttersprache« ist problematisch, da zum einen ein Zusammenhang zur (vermeintlichen) Herkunft der Person hergestellt wird. Zum anderen werden patriarchale Geschlechterrollen verstärkt: So wird die Vorstellung weitergetragen, dass Sprache vor allem über die Mutter vermittelt wird, die unbezahlte Care-Arbeit leistet und für den Spracherwerb der Kinder verantwortlich ist.
[4] Transitionsrichtlinien im Unternehmen sind Leitfäden, die den Umgang mit der Transition von Trans*Mitarbeitenden im Betrieb beschreiben. Einige Inhalte thematisieren z.B. die Nutzung des neuen Namens, der Anrede und des Pronomen, Umsetzung technisch-administrativer Aspekte, Kommunikation mit Kund:innen, die Privatsphäre und den Offenbarungsschutz. Mehr Infos dazu hier. (Zugriff: 21.04.2022)
[5] Die exemplarische Auflistung dieser Selbstbezeichnungen hat keinen Anspruch auf Vollständigkeit und erfolgt keiner spezifischen Reihenfolge.