Wie seid ihr auf die Idee mit FollowTheVote gekommen und welche Motivation steckt dahinter? Was ist euer fachlicher Hintergrund?
Maren: Es hat alles im Mai 2020 begonnen. Ich war im zweiten Jahr meines Masterstudiums in Lissabon und ich befand mich mit meinen Mitbewohner*innen im Lockdown. Und wenn man dann 2 Monate lang zu viert auf 45 Quadratmetern sitzt, fängt man an, viele kleine und große Dinge im Leben zu hinterfragen. Frank und ich hatten viele Gespräche über aktuelle politische Entwicklungen und uns wurde bewusst, dass wir trotz sehr guter Bildung und betriebswirtschaftlichem Studium bisher wenig Ahnung von und Interesse an Politik hatten. Und so geht bzw. ging es auch vielen unserer Freund*innen. Eine zweite Beobachtung in dieser Zeit war das kollektive Empfinden einer gewissen Verdrossenheit gegenüber Politik unserer Generation, durch politische Skandale, Halbwahrheiten und Polemik von Politiker*innen.
Wir haben dann auch recht schnell herausgefunden, dass die Informationen, Fakten und Daten zu politischen Entscheidungen alle offen zugänglich sind. Auf Bundestag.de beispielsweise wird jede Bundestagsdebatte veröffentlicht, so dass man als Bürger*in in Eigenverantwortung rein theoretisch alles nachvollziehen könnte. Dennoch empfanden wir diese Informationen (Plenarprotokolle, Drucksachen, Gesetzesentwürfe, etc.) als sehr komplex. Zu Beginn stellten wir uns die Frage, ob wir selbst das Problem sind, oder ob es vielleicht viel mehr an der Art und Weise der politischen Bildung in Deutschland und der Kommunikation von Politik mit Bürger*innen liegt. Wie musste es Menschen ergehen, die vielleicht weniger Bildung als wir genießen durften, nicht Deutsch als Muttersprache haben oder schlicht keine Zeit haben, sich in diesem Detail zu informieren aufgrund von Familie, Beruf, Ehrenämtern oder Hobbies?
Wir kamen zu dem Schluss, dass die Politik nicht mit der Geschwindigkeit der Medieninnovation Schritt gehalten hat.
Und so kam die Idee von FollowTheVote: Wir wollen politische Bildung ins 21. Jahrhundert bringen. Mit einer App, die die Schnittstelle zwischen Social Media und Qualitätsinformationen bietet.
Das Ganze haben wir dann natürlich noch empirisch erforscht - also, ob nur wir hier Bedarf sehen oder noch ein paar mehr Menschen einen kostenlosen Service schätzen und nachfragen würden.
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Wir sind mittlerweile ein Team von 20 Ehrenamtlichen. Viele Politikwissenschaftler*innen sind dabei, aber auch Studierende der Bereiche Journalismus, Medien, Lehramt oder der Rechtswissenschaften. Zusammen haben wir Anfang 2021 einen gemeinnützigen Verein gegründet (wir sind überparteilich und unabhängig). Am 05. August haben wir das MVP (Anm.d.Red.: Minimum Viable Product) unserer App auf den Markt gebracht: Die FollowTheVote-App.
Wie funktioniert die App und wer ist eure Zielgruppe? Auf welcher Basis wird mein politisches Profil erstellt?
FollowTheVote-Team: Die Zielgruppe: Im Rahmen von Franks Masterthesis haben wir herausgefunden, dass 67 % der Europäer*innen mindestens einmal pro Woche mit Fake News konfrontiert werden, und einer Studie der Bertelsmannstiftung zufolge glauben 3 von 10 Personen der Deutschen Wählerschaft an Verschwörungstheorien und haben populistische Ansichten. Besonders davon betroffen sind die jüngeren Generationen, denn 89 % der jungen Deutschen verbringen jeden Tag in den sozialen Medien und sind dort unzuverlässigen und oft extremen politischen Informationen ausgesetzt. Auf der anderen Seite sind junge Bürger*innen weniger mit qualitativ hochwertigen Informationen konfrontiert, da sie diese als komplex, zeitaufwendig und langweilig wahrnehmen.
Unser Ziel ist es, junge Menschen nicht nur zu informieren, sondern Anreize zu schaffen, sich kritisch eine eigene Meinung zu bilden, um schließlich engagierte politische Bürger*innen zu sein. Das große Ziel von FollowTheVote ist es, die Demokratie zu stärken, indem wir sie fit fürs digitale 21. Jahrhundert machen!
Deshalb funktioniert die App mit dem Versprechen, in nur 5 Minuten täglich deine Dosis Demokratie bereitzustellen. Die App ist im Social Media Look & Feel konzipiert. Zukünftig soll dieser Stil und dieses Gefühl durch spielerische Inhalte der Informationsaufbereitung noch erhöht werden. Dadurch wollen wir eine tägliche Nutzung und somit eine politische Gewohnheit unserer Nutzer*innen fördern.
Ganz besonders wollen wir eine zuverlässige Informationsquelle und Plattform bieten für Bürger*innen unter 30 Jahren. Diese Gruppe macht in diesem Jahr nur etwa 14 Prozent der wahlberechtigten Deutschen bei der Bundestagswahl aus. Das ist natürlich extrem wenig im Vergleich zu anderen Altersgruppen.
Insgesamt sollen aber viele Erklärvideos und knappe, faktenbasierte Informationen dazu führen, dass ganz viele Menschen Zugang zu unseren Informationen erhalten, da wir diese so barrierearm wie möglich bereitstellen.
Wie funktioniert die App und das Politische Profil? Du öffnest die App, und bekommst beim ersten Mal ein kleines Tutorial, wie alles funktioniert. Dann wartet dein tägliches Statement auf dich. Das liest du dir einmal durch. Dann siehst du 6 Argumente. Diese Argumente stammen jeweils von einer Bundestagsfraktion; welche was sagt, wird in den Quellen erkenntlich. Erstmal bleibt das aber verdeckt, damit keine Voreingenommenheit entsteht, sondern damit du dich ganz auf die Inhalte konzentrieren kannst. Über die Argumente stimmst du ab mit einem gefällt mir oder gefällt mir nicht Button. Dann kommt es noch einmal zum Statement. Dort hast du jetzt die gleiche Wahl wie die Abgeordneten unseres Bundestags: Bist du dafür, dagegen oder neutral? Am Ende kommt die Auflösung, welche Fraktion wie abgestimmt hat. Außerdem enthält die App einen Teil, wo du dein politisches Profil erfährst. Basierend auf den Abstimmungen zu den Argumenten, die du überzeugend fandest oder nicht, stimmst du mit Fraktionen überein oder nicht. Außerdem stimmst du insgesamt zu dem Statement ab. Wichtig ist für das politische Profil auch, dass du auswählen kannst, welche Politikfelder dir mehr oder weniger wichtig sind. Ist es Sozialpolitik, Klimapolitik oder beides? Alle Daten, die wir nutzen, sind offen auf der offiziellen Bundestags-Website zugänglich. Drucksachen und Plenarprotokolle werden von uns durchgearbeitet und in leichter Sprache zusammengefasst. Wir geben uns intern konstant und immer durch mindestens zwei weitere Personen Feedback, um die Objektivität bestmöglich zu wahren. Danach gehen die Statements noch einmal durch ein Lektorat. Das wird von Freiwilligen alles gestemmt.
Inwiefern unterscheidet sich die App von anderen Wahl-Anwendungen wie z.B. dem Wahl-O-mat?
FollowTheVote-Team: Wir schauen nicht auf das, was Parteien in ihren Wahlprogrammen versprechen, sondern was in den letzten vier Jahren, also in einer Legislaturperiode im Bundestag, passiert ist. Wer hat zu welchem Thema wie abgestimmt und aus welchen vorgetragenen Gründen? Damit wollen wir auch zu mehr Nachverfolgung, Transparenz und Politikverständnis beitragen.
Außerdem unterscheidet uns die Konzeption des politischen Profils. Bei uns setzt sich die prozentuale Übereinstimmung mit Parteien durch ein Zwei-Stufen Prinzip zusammen. Wie stimme ich im Vergleich zu den Fraktionen zu einem Thema generell ab (Statement)? Welche Argumente finde ich gut - oder eben nicht? Somit ist das politische Profil genauer. Bisher hatte der Wahl-O-mat 38 Themen. Andere Apps, die eher themenspezifisch für die Wahl informieren, stellen um die 20 Statements zur Verfügung. FollowTheVote hat aktuell 30 und ganz bald 48 Themen in der App.
Woher bezieht ihr täglich eure Informationen über das tatsächliche Abstimmungsverhalten der Abgeordneten?
FollowTheVote-Team: Von den offiziellen Homepages des Bundestages, unter namentliche Abstimmungen zu den Themen kann man die Abstimmungen - auch grafisch - einsehen.
Bei meiner Abstimmung selbst wird mir ja nicht angezeigt, welches Statement von welcher Partei stammt. Veröffentlicht ihr diese Information auch zusätzlich, so dass ich mir das im Nachhinein ansehen kann?
FollowTheVote-Team: Es ist ersichtlich, welches Argument von welcher Bundestagsfraktion stammt, wenn man auf die Quellenangabe bei den Argumenten klickt und dann im Plenarprotokoll den Originalwortlaut einsieht. In einer zukünftigen App-Version wollen wir diese Auflösung aber als Politikquiz gestalten. Dies haben wir bereits auch in unserem vorangegangenen Testdurchlauf mit über 200 Nutzer*innen getestet. Diese Art der spielerischen Informationsaufbereitung des »Wer-sagt-was« ist sehr positiv aufgenommen worden, war bisher aber für uns finanziell noch nicht umsetzbar.
Die App ist komplett kostenlos und enthält auch keine Werbung - wie finanziert ihr euch?
FollowTheVote-Team: Das gesamte erste Jahr wurde das Projekt ausschließlich durch ehrenamtliche Arbeit von uns allen gestemmt. Seit diesem Sommer sind wir Teil des Unlock Accelerator Programms von Wikimedia Deutschland. Neben fachlicher Expertise, werden uns hier kleine Stipendien zur Verfügung gestellt, so dass fünf Teammitglieder über die Semesterferien Vollzeit an dem Projekt arbeiten konnten. Außerdem sind wir im Umsetzungsprogramm von UpdateDeutschland, hier erhalten wir ebenfalls fachliche Unterstützung und etwas finanziellen Support. Somit können aktuell sechs Teammitglieder täglich an dem Projekt arbeiten. Außerdem finalisieren wir gerade eine etwas größere, anteilige Projektförderung des Bundesministeriums für Wirtschaft und Energie (BMWi), welches ab diesem Herbst anlaufen kann.
Die App wird auch weiterhin keine Daten verkaufen und keine Werbung schalten, denn es geht uns um die Sache - qualitativ hochwertige, digitale politische Bildung für alle. Wir sind deshalb vor allem auf private Spenden und staatliche Fördertöpfe angewiesen.
Wie soll sich das Projekt FollowTheVote in Zukunft weiterentwickeln? Welche weiteren Maßnahmen oder Projekte wollt ihr noch umsetzen, um junge Menschen für Politik zu begeistern und politische Partizipation zu fördern?
FollowTheVote-Team: Das ist auch ein Unterscheidungsmerkmal zu anderen Apps in diesem Feld. Wir sind als Wahlberatungs-App ins Rennen gestartet, ja. Aber nach der Wahl wollen wir weitermachen mit zuverlässiger, faktenbasierter Informationsaufbereitung und digitaler politischer Bildungsarbeit.
Langfristig soll FollowTheVote die Stimme der Generation unter 30 sein. Eine Community bilden. Bei einem Wähler*innen-Anteil von nur etwa 14 Prozent sehen wir unsere Generation einfach stark zahlenmäßig unterrepräsentiert, was man dann auch oft bei politischen Entscheidungen sieht. Aber soziale Gerechtigkeit, Klimapolitik und das Rentensystem gehen auch uns ganz viel an. Immerhin wird diese Generation für vieles finanziell und persönlich aufkommen müssen. Das soll aber gar keinen Generationenkonflikt heraufbeschwören, sondern eher das Gegenteil. Wir sind überzeugt, dass informierte Bürger*innen motivierter sind, politische Teilhabe zu leisten. Insgesamt schaffen Verständnis und Wissen, dass mehr Engagement und Verantwortung für diese Themen geweckt wird. Wer Bescheid weiß, kann mitreden.
Für die Zukunft wollen wir zusätzlich mehr tagesrelevante Themen aufbereiten. Außerdem wollen wir lokale Versionen aufbauen, um auch auf Landtagswahlen vorzubereiten.
Inhaltlich haben wir schon viele tolle Features in der Pipeline. Zum einen sollen neben den Informations- auch Partizipationsmöglichkeiten angeboten werden. Personalisiert soll den User*innen aufgezeigt werden, wie und wo sie ihre Stimme in der Politik und Gesellschaft besser hörbar machen können.
Außerdem werden Gamification-Elemente und kleine Spiele integriert. Dadurch wollen wir eine politische Gewohnheit bei den Nutzer*innen etablieren.
Was kann ich über die Nutzung eurer App hinaus noch tun, um mich politisch zu bilden und nicht auf Fake-News »hereinzufallen«?
FollowTheVote-Team: Natürlich gibt es neben uns viele andere tolle, innovative Initiativen und Onlineangebote. Aufgrund der Informationsflut, die uns alle täglich erreicht, gewinnt die Überprüfung und kritische Auseinandersetzung mit den zugrundeliegenden Quellen immer mehr an Bedeutung. Der Instagram-Kanal Deutschland3000 von Eva Schulz (funk von ARD und ZDF) macht unserer Meinung nach einen herausragenden Job.
Im Bezug auf die anstehende Bundestagswahl gibt es auch noch andere »Wahlberatungs-Apps«, beispielsweise den Wahltest und Wahlswiper. Diese verfolgen andere Ansätze, Methoden und manchmal auch spezifische Themenschwerpunkte - darüber sollte man sich als Nutzer*in vorher informieren, um die Ergebnisse entsprechend bewerten zu können.
Natürlich legen wir es allen ans Herz, mutig zu sein, viele Fragen zu stellen und sich mit Freund*innen und Familie auszutauschen. Wir müssen lernen, eine gesunde demokratische Streitkultur zu pflegen, immer mit dem Ziel, auch mal offen für Kompromisse zu sein. Über die Plattform Abgeordnetenwatch kann man beispielsweise auch Politiker*innen direkt Fragen stellen.
Was muss eurer Meinung nach auch von anderen bei der politischen Meinungsbildung beteiligten Akteuren, wie z.B. Medien, getan werden, um die Demokratie zu schützen?
FollowTheVote-Team: Jede*r sollte genau seinem*ihrem Auftrag nachgehen. Medien, Journalist*innen, Influencer*innen, egal wer, alle sind wichtig, solange sie einem inneren Kompass folgen, nur mit den besten Absichten zu agieren, selbst wenn sie eindeutige Meinungen vertreten.
Es sollte Abstand genommen werden von Clickbaits und der schnellen Verbreitung von Nachrichten, ohne die Quellen wirklich zu checken.
Faktenchecks werden immer wichtiger werden.
Interne Vorurteile und inhärente Strukturen, die gewissen Vorurteile und Stereotypen weiter treiben, sollten reflektiert und überkommen werden.
Was kann jede*r Einzelne tun, um FollowTheVote zu unterstützen?
FollowTheVote-Team: App herunterladen. Und gerne auch Feedback da lassen.
Wir freuen uns immer über neue ehrenamtliche Mitarbeiter*innen. Alles, was man braucht, ist ein Computer, Internet und bisschen Affinität für neue Formen von Medien.
Wir freuen uns über Kooperationen mit Firmen oder anderen Initiativen oder auch über Rat von demokratiebegeisterten Gleichgesinnten.
Darüber hinaus freuen wir uns ausgesprochen über finanzielle Unterstützung - in Form einer Spende oder auch als Fördermitglied. Außerdem sind wir auf der Suche nach einem exklusiven Partner im Einsatz für eine vielfältige Gesellschaft und lebendige Demokratie, die fit für das 21. Jahrhundert ist!
Über FollowTheVote: Wir glauben, dass eine gesunde Demokratie nur durch eine nachwachsende Generation weiterentwickelt werden kann, die in der Lage ist, Entscheidungen zu treffen und den Wunsch hat, sich zu beteiligen. Wir wollen Politik einfach, faktisch & unterhaltsam machen.
Neugierig geworden? Hier geht’s lang zur Webseite von FollowTheVote!