Dieser Gastartikel wurde verfasst von Jan Zöller, Mitgründer und Geschäftsführer von HR4GREEN.
Mit einer ökologisch nachhaltigen Ausrichtung trägt ein Unternehmen den sich verändernden Konsumentenpräferenzen, den Bedürfnissen neuer Mitarbeitender, aber auch den steigenden Energiekosten und Problemen in der Lieferkette Rechnung. Doch wie kann eine echte Transformation – die über oberflächliche Marketing-Maßnahmen hinausgeht – gelingen?
Grüne Transformation ist… wenn alle mitmachen
Wenn Unternehmen wahrhaftig »grüner« werden möchten, dann geht das nur über die Änderung des Verhaltens der Menschen in der Organisation. Dabei ist es egal, ob wir über den Einkauf, die Produktion, Forschung & Entwicklung oder den Vertrieb sprechen: Ökologisch nachhaltiges Verhalten muss im Unternehmen für jede Rolle einen höheren Stellenwert bekommen. Es reicht nicht aus, dass sich das Thema auf strategischer Ebene wiederfindet oder Schwerpunkt in der Außenkommunikation ist. Es muss auf einzelne Unternehmensbereiche und auf die einzelnen Mitarbeitenden heruntergebrochen und damit greifbar und relevant werden. Die Verhaltensänderung jedes und jeder einzelnen Mitarbeitenden ist das Ziel. Nur so kann eine Umsetzung auf ganzer Linie erfolgen, die Umwelt- und Klimaschutz nicht nur als »Hobby« im Rahmen freier Kapazitäten toleriert, sondern Businessrelevanz für das Unternehmen entfacht und neue Verhaltensgewohnheiten stiftet.
Grüne Transformation ist… wenn Nachhaltigkeit spürbar wird
Das schafft man nur, wenn eine Unternehmenskultur, d.h. Werte, Einstellungen und Präferenzen, etabliert werden, die ein solches Verhalten nahelegen. Um das hinzubekommen, braucht es Vorbilder, die ökologische Nachhaltigkeit aktiv vorleben, und Strukturen und Systeme, die ein entsprechendes Verhalten würdigen, wertschätzen und honorieren. Letztendlich geht es darum, das Thema Umwelt- und Klimaschutz als Wert in der Organisation sichtbar zu machen, mit Leben zu füllen und zu verankern. Dies stellt sich in der Praxis oft herausfordernder dar, als es den ersten Anschein hat. Der Grund dafür ist, dass bei einer grünen Transformation eines Unternehmens das Werte- und Zielsystem – also der handlungsleitende Rahmen jeder Unternehmung – selbst verändert wird: Was wie wichtig und wertvoll ist, wird zumindest ein Stück weit neu definiert.
Grüne Transformation ist… gar nicht so einfach
Denn es gibt eine Reihe von versteckten Widerständen, die oft in tradiertem Handeln und gewohnten Prozessen und Strukturen begründet sind:
Widerstand 1: Struktur & Verwaltung
Nachhaltigkeit als Thema ist von anderen wichtigen Unternehmensfunktionen wie Strategie und Innovation getrennt und von den Geschäftsbereichen und dem operativen Geschäft weit entfernt.
Widerstand 2: »Nur was ich messen kann, ist wichtig«
Die mit dem Gewinn zusammenhängenden Kennzahlen sind standardisiert und allgegenwärtig, was man von Kennzahlen zur Nachhaltigkeit(skultur) nicht behaupten kann.
Widerstand 3: Verhaltensleitende Rahmenbedingungen
Etablierte Unternehmen sind nicht auf Nachhaltigkeit ausgelegt und haben folglich auch keine Nachhaltigkeitskultur entwickelt. Dies zeigt sich in den verhaltensleitenden Rahmenbedingungen. Hierzu gehören in Unternehmen beispielsweise Zielvereinbarungsgespräche, Leistungsbeurteilungen, Benefits & Compensations und Trainingsangebote. Ökologische Nachhaltigkeit findet sich bisher in nahezu keinem dieser Punkte inhaltlich wieder.
Widerstand 4: Methoden und Fähigkeiten
Der herkömmliche Werkzeugkasten von Manager:innen berücksichtigt Nachhaltigkeit und den notwendigen Kontext nicht, ist aber der Kompass für Managemententscheidungen. Es gibt braucht neue Methoden und Instrumentenkompetenz und das Bewusstsein für die Bedeutung verhaltensorientierter Maßnahmen auf Managementebene.
Grüne Transformation kann gelingen… wenn vorhandene Werte genutzt werden
Wenn das Ziel und die Herausforderungen annähernd korrekt beschrieben sind, dann kann die Förderung von Umwelt- und Klimaschutz nicht die Aufgabe einzelner Rollen innerhalb eines Unternehmens sein (wie z.B. die Sustainability Manager:innen). Rollen steuern bestenfalls einen Prozess, der inhaltlich jedoch von allen Mitarbeitenden und jeder Abteilung mit Leben gefüllt wird, sprich: Jeder Job hat zumindest anteilig Aufgaben im Umwelt- und Klimaschutz. Dieser Wandel ist zwar umfassend, jedoch kein Hexenwerk. Ein guter Einstieg kann dabei gelingen, wenn Unternehmen auf bereits etablierte Unternehmenswerte Bezug nehmen und diese im Kontext von Umwelt- und Klimaschutz neu denken bzw. erweitern. Wie das aussehen kann, zeigen wir ihnen hier anhand des Modells »Competing Values Framework« (CVF)
Abbildung 1: Die Logik des Competing Values Framework (CVF)
Das wissenschaftlich validierte und langjährig in der Praxis angewandte CVF bildet die grundlegende gelebte Werteorientierung eines Unternehmens durch 4 Themenbereiche ab, die sich wiederum aus zwei bipolaren Dimensionen ableiten (interne versus externe Orientierung bzw. Flexibilität versus Formalität). Alle vier Wertebereiche haben für Unternehmen eine Relevanz, jedoch sind diese in der Praxis oft unterschiedlich ausgeprägt. Ein kleines, schnell wachsendes Startup wird beispielsweise eine höhere Ausprägung bei Innovation und Kreativität haben, als dies bei einem traditionsreichen Konzern der Fall ist – dort dominieren dagegen möglicherweise eher Struktur und Hierarchie. In unseren Erhebungen zur Wertekultur können wir diese unterschiedlichen Unternehmensprofile gut dokumentieren. In der Regel sind diese Profile in der Wertekultur funktional, d.h. es handelt sich hier oft um eine Anpassung an die vorhandenen Rahmenbedingungen
Grüne Transformation ist… wenn ein ökologisches Rational das ökonomische Rational bereichert
Die nachfolgende Abbildung zeigt die real erhobene Wertekultur eines Wirtschaftsunternehmens – parallel dazu haben wir ebenfalls erfragt, inwieweit ökologische Nachhaltigkeit bereits Teil der Wertekultur ist und erhielten hier eine im Vergleich zu den vier abgebildeten Werten deutlich geringere Zustimmung.
Abbildung 2: Das CVF in der Praxis
In der Praxis bedeutet dies, dass ökologische Nachhaltigkeit bislang ein weniger handlungsleitender Wert zu sein scheint. Wenn strittige Entscheidungen zu treffen sind, wird er es schwer haben, sich gegen andere Werte – insbesondere den Platzhirsch Wettbewerb & Performance – durchzusetzen. Was kann also getan werden, um die grüne Unternehmenskultur zu stärken und gleichzeitig den unternehmerischen Wert von Wettbewerb & Performance zu bewahren?
Grüne Transformation ist… wenn wir uns vom trade-off Gedanken verabschieden
Wichtig ist es, in Strukturen und Systemen zu verankern, dass das ökologische Rational nicht zwangsläufig in Konkurrenz zum »klassischen« ökonomischen Denken steht, sondern ein wichtiger Bestandteil sein kann, den es zu berücksichtigen gilt. Das kann erreicht werden, wenn die Wertekultur eines Unternehmens nicht in grundsätzlicher Konkurrenz zur Nachhaltigkeit betrachtet wird, sondern wenn die vorhandenen Werte unter der Perspektive betrachtet werden, dass sie durch Nachhaltigkeit sogar dazugewinnen können.
Damit werden gleich mehrere »quick wins« erzielt:
- Durch die Werteintegration wird keine »Entweder-oder-Logik« aufgebaut, sondern eine Zielvereinbarkeit herausgestellt.
- Durch das Herausstellen eines Mehrwertes für die bereits vorhandene Wertekultur kann das Thema Nachhaltigkeit deutlich leichter in die Felder Strategie, Innovation und vor allem in den operativen Bereich eingebracht werden.
- Damit wird Nachhaltigkeit als führungsrelevantes Thema auch deutlich besser annehmbar und kann in seinem Mehrwert in Anlehnung an vorhandene Kennzahlen abgebildet werden.
Abbildung 3: Anreichern der bestehenden Wertekultur mit »Nachhaltigkeit«
Grüne Transformation ist… wenn ein Unternehmen dazu gewinnt
In der Praxis erleben wir immer wieder, dass durch die Strukturierungshilfe, die mit dem CVF angeboten wird, plötzlich konkrete Maßnahmen für mehr Nachhaltigkeit im Raum stehen, die dazu noch eine direkte Relevanz für das Unternehmen haben und auf die bereits vorhandene Wertekultur aufbauen. Die nachfolgenden Impulse aus der Praxis geben Ideen, wie dies konkret aussieht
Innere Dimension der Nachhaltigkeit: Miteinander & Beziehung:
- Stärkung des Teamgefühls und der gemeinsamen Identität durch offene Nachhaltigkeitsprojekte und Initiativen mit regionalem Bezug.
- Nachhaltigkeit als Thema für hierarchiefreien Austausch.
Innere Dimension der Nachhaltigkeit: Struktur & Hierarchie:
- Bestehende Hierarchien nutzen, um »grüne« Ziele adäquat zu konkretisieren und damit klare Prinzipien und Leitlinien zu kommunizieren.
- Personalentwicklungsstrukturen nutzen, um Nachhaltigkeit in der Personalförderung als Thema zu implementieren (Talentprogramme).
- Strukturen durch eine Nachhaltigkeitsarchitektur stärken (Rollen schaffen bzw. Job Crafting ermöglichen)
Äußere Dimension der Nachhaltigkeit: Innovation & Kreativität
- Kreativteams zur Entwicklung ökologisch nachhaltigerer Produkte und Dienstleistungen nutzen.
- Langfristig: Annäherung an zirkuläre Ideen durch Ableitung zu erwartender Bedarfe und Konzeption der dazu passenden Dienstleistungen
Äußere Dimension der Nachhaltigkeit: Wettbewerb & Performance
- Formulieren von Kriterien, welche die Vorteile nachhaltigen Wirtschaftens im Kontext dieser Dimension messbar machen.
- Nutzen der nachhaltigen Unternehmenskultur als Wettbewerbsvorteil (Arbeitgebermarke)
Grüne Transformation ist… den ersten Schritt zu gehen.
Wenn es gelingt, die skizzierten Ansätze zu konkretisieren und passend zur Unternehmenskultur auszurollen, wird der Begriff der ökologischen Nachhaltigkeit aus dem Dornröschenschlaf der abstrakten Beliebigkeit und des Nischenthemas erweckt und plötzlich ganz konkret im Alltag für alle Mitarbeitenden als spürbar, bedeutsam und damit handlungswirksam platziert. Inhalte müssen dann nicht mühsam durch einige wenige erarbeitet werden, sie ergeben sich wie von selbst dadurch, dass Nachhaltigkeit ein Teil der neuen Normalität geworden ist.
Über den Autor:
Jan Zöller ist Mitgründer und Geschäftsführer von HR4GREEN, einer Beratung, die Unternehmen dabei unterstützt, ökologisch nachhaltige Unternehmenskultur zu messen, zu gestalten und zu verankern und damit den entscheidenden Schritt in Richtung Sustainability Mainstreaming zu gehen.