»Nachhaltigkeit« und »Programmierung« sind zwei Begriffe, die man selten zusammen in einem Satz hört. Erkläre uns doch bitte einmal kurz das Konzept von Nachhaltige Programmierung.
David Forster: Das Konzept unserer Firma ist einfach: Wir entwickeln als Software-Agentur innovative digitale Produkte für andere Firmen – allerdings mit der Besonderheit, dass wir einen relativ hohen Anteil des Umsatzes von Projekten dafür verwenden, die eigenen Emissionen zu verringern oder zu kompensieren.
Ziel ist es, die ökologischen Kosten sowohl während des Entwicklungsprozesses als auch während der Nutzung der Software so niedrig wie möglich zu halten, möglichst nahe null – oder sogar Emissionen anderer aus der Luft zu holen und so insgesamt zu einer besseren Klimabilanz beizutragen.
Wer gehört vor allem zu euren Kund*innen? Sind dies nur Social Startups oder werdet ihr auch von anderen Interessenten angefragt? Bemerkst du eventuell auch ein stärker werdendes Bewusstsein der Menschen dafür, dass auch digitale Software-Produkte einen Einfluss auf das Klima haben?
David: Wir helfen überwiegend Startups, denn es gibt definitiv einen Trend, dass vor allem jungen Menschen & Gründer*innen das Thema Nachhaltigkeit am Herzen liegt und sie sich fragen, wie sie ihre Produktidee möglichst nachhaltig umsetzen können.
In meiner Wahrnehmung ist der Kreis derer, denen die Auswirkung der Softwareentwicklung auf das Klima wirklich bewusst ist, allerdings immer noch recht eingeschränkt. Knapp 4% der globalen CO2-Emissionen gehen auf die Telekommunikationsbranche zurück.
Trotzdem haben wir natürlich unter unseren Kund*innen auch größere Firmen, die für Nachhaltigkeit bekannt sind: Beispielsweise haben wir die Banking-App der GLS Bank mitentwickelt, die in den kommenden Monaten veröffentlicht wird.
Wie konkret unterscheidet sich in der Praxis in Bezug auf Nachhaltigkeit deine Arbeit von der in einem konventionellen Software-Entwicklungsunternehmen? Gestaltet ihr neben der technischen Ebene vielleicht auch Bereiche wie die Beziehung zu euren Kund*innen oder das Miteinander im Team bewusst auf eine nachhaltige Weise?
David: In der Beziehung mit unseren Kund*innen müssen wir tatsächlich im Normalfall das Thema recht wenig betonen, da wir logischerweise überwiegend ein Klientel ansprechen, dass sich sowieso mit dem Thema befasst. Wir konzentrieren uns bei unserer Zielgruppe stark auf Menschen, die an das glauben, woran auch wir glauben. Trotzdem beraten wir natürlich so umfassend wie möglich und betonen auch Möglichkeiten abseits der Softwareentwicklung, mit denen man möglichst effizient Emissionen einsparen kann.
Ein Großteil der Emissionen in der Software-Industrie entsteht einfach durch den Verkehr zum und vom Büro sowie durch die Heizkosten. Das ist einer der Gründe, warum wir auf ein Büro verzichten und stattdessen komplett remote arbeiten und uns in Online-Meetings treffen. Meistens auf Whereby, die aktuell z.B. auch für jedes abgehaltene Meeting einen Baum pflanzen. Ansonsten ist das Miteinander im Team aus meiner Sicht einfach sehr von sozialen Werten geprägt – wir entscheiden gemeinsam, welche Projekte wir umsetzen, und die meisten von uns spenden auch einen signifikanten Anteil von ihrem persönlichen Gehalt an Non Profit-Organisationen.
Und wenn ich so drüber nachdenke: So groß ist der Fokus auch in Gesprächen bei uns nicht mal beim Thema Nachhaltigkeit – es gehört einfach dazu. Es ist selbstverständlich.
Ich denke, das ist auch einfach ein Merkmal der jungen Generation (unser Durchschnittsalter im Team liegt bei 20).
Am meisten Beachtung hat für uns am Ende des Tages dennoch die technische Komponente. Wenn unsere Anwendungen später von tausenden Nutzer*innen verwendet werden, spielt es eben eine erhebliche Rolle, ob der Server mit jeder Anfrage das Klima weiter belastet oder nicht. Rechenzentren haben wirklich einen gigantischen Einfluss auf das Klima. Und klar, wir nutzen zwar auch hochmoderne Technologien – die Verwendung von Cloud-Servern ist bei uns Tagesordnung – aber wir achten einfach darauf, dass die Energie dahinter zu 100% erneuerbar ist.
Manchmal habe ich auch einfach den Eindruck, dass anderen Agenturen gar nicht bewusst ist, dass die Qualität der Software bzw. Leistung mit hoher sozialer Verantwortung sehr gut Hand in Hand gehen können.
Wie hast du zum Thema Nachhaltigkeit gefunden und was treibt dich an, deine Fähigkeiten für Social Startups einzusetzen?
David: So richtig bewusst in mein Leben kam das Thema Nachhaltigkeit eigentlich erst vor 2 Jahren. Meine Familie hatte davor auch schon einen Blick darauf gehabt, regional und saisonal einzukaufen, aber wirklich klar wurde ich mir über meine Verantwortung erst ab Januar 2019, mit dem Einstieg bei Fridays For Future und dem Aufstieg der Bewegung. Dort habe ich mich dann bis Mitte 2020 als Organisator in den Ortsgruppen Freiburg und Aachen engagiert. Leider hatte ich bei FFF (bzw. meinen Ortsgruppen) nach einiger Zeit den Eindruck gewonnen, dass eine Grundabneigung gegenüber der Wirtschaft entstanden ist und den Firmen keine wirkliche Empathie entgegengebracht wird, sondern nur Vorwürfe.
Deshalb habe ich mich dann vermehrt auf meine Tätigkeit als nachhaltiger Entwickler fokussiert, da ich den Eindruck hatte, dass es letztendlich Unternehmen sind, die den Kampf darüber entscheiden werden, ob wir eine zukunftsfähige Klimabilanz haben werden oder nicht. Und aus meiner Sicht wird man Firmen, und das bedeutet letztendlich Menschen, nicht gewinnen, indem man sie verurteilt, sondern indem man ihnen Vorteile aufzeigt, die ihrer Perspektive entsprechen: Warum solltest du nachhaltig handeln? Warum sollte deine Firma nachhaltig handeln? Wie kann deine Firma Nachhaltigkeit stärker leben?
Das ist die Herangehensweise, die ich heute deutlich bevorzuge und die mich auch antreibt. Versteht mich nicht falsch: Ich glaube nicht, dass mein Weg der einzig Richtige ist. Ich persönlich glaube einfach daran, dass jeder Mensch mit seinen Fähigkeiten das Bestmögliche geben sollte, um die Welt zu einem besseren Ort zu machen (egal ob für Umweltschutz, Bildungsförderung oder Sonstiges). Ich habe für mich einfach gemerkt, dass meine Fähigkeiten im wirtschaftlichen und technischen Bereich liegen und ich hier einfach den größtmöglichen positiven Impact auf die Welt haben kann.
Mit welchen Herausforderungen in Bezug auf nachhaltige Geschäftsprozesse siehst du dich in deiner Arbeit konfrontiert und wie löst du diese? Auf welchen Ebenen ist der Bereich der »Green IT« noch besonders ausbaufähig?
David: Ich denke, dass die größte Herausforderung die Transparenz ist. Es ist viel zu schwer herauszufinden, an welchen Stellschrauben man drehen kann, um seine Emissionen leicht zu senken.
Im Rahmen eines Startup-Projektes Anfang 2020 habe ich mit Freund*innen versucht, eine App zu entwickeln, mit der Nutzer*innen ihre Netto-Emissionen auf null reduzieren können. Um ehrlich zu sein, sind wir hauptsächlich daran gescheitert, verlässliche Daten zu den Emissionen, die durch Dienstleistungen und Produkte entstehen, zu erhalten. Hoffnung machen mir dann zum Glück Startups wie klima.com, die kürzlich eine Finanzierung in Höhe von 5 Millionen Euro erzielt haben.
Welche Möglichkeiten siehst du im Allgemeinen für junge Programmierer*innen in der nachhaltigen Branche?
David: Ich sehe für junge Programmierer*innen hier ein großes Potenzial! Was wir heutzutage brauchen, ist Drive: Menschen mit Passion, die etwas ändern wollen – und können. Und das Können steht bei Programmierer*innen für mich außer Frage: In meinen Augen ist Software eins der mächtigsten Tools, um einen Unterschied zu machen. Wenige Zeilen Code einer einzelnen Person können Nationen bewegen. Vor allem, wenn sie in den richtigen Teams arbeiten.
Hast du eventuell auch Tipps für andere IT-Spezialist*innen, die sich im Rahmen ihrer beruflichen Tätigkeit mehr für Nachhaltigkeit und Umweltbelange einsetzen wollen?
David: Dazu kann ich folgende Ratschläge geben:
- Bezieht eine kurze ökologische Recherche in eure Entscheidungen ein.
- Versucht nicht von Anfang an, alles perfekt zu machen, sondern fokussiert euch erstmal auf die Punkte, die wirklich den Großteil eurer Emissionen ausmachen. Setzt da an und reduziert erstmal – je schneller, desto besser.
- Tragt zu Open Source oder Non Profit-Projekten bei. Wir setzen beispielsweise alle 4 Monate ein Projekt kostenlos für Non Profit-Organisationen um – das macht Spaß, steigert die Motivation im Team und ermöglicht auch denen Zugang zu besserer Infrastruktur, bei denen es wichtig ist und die nur wenige finanzielle Ressourcen haben.
- Macht euch, bevor ihr euch an den Rechner setzt, Gedanken über die Effizienz der Algorithmen & Architektur.
- Fahrt mit den öffentlichen Verkehrsmitteln zu Kund*innen oder ins Büro (im Zug kann man mit Noise-Cancelling-Kopfhörern auch super arbeiten!).
- Die Google Cloud verursacht meines Wissens nach weniger Emissionen als die von Amazon Web Services (AWS). Achtet dennoch darauf, zu häufige und unnötige Serveranfragen zu senden.
- Für alle im Home-Office: Informiert euch bei eurem*r Vermieter*in oder Stromanbieter, ob ein Wechsel zu Ökostrom möglich ist.
- Für alle Freelancer*innen empfehle ich außerdem, ihr Geschäftskonto bei der Tomorrow Bank* oder der GLS Bank zu führen, da so auch das Geld, das ohnehin nur auf dem Konto liegt, von der Bank nachhaltig investiert werden kann.
- Für Mobile Developer: Anstatt mit Native Apps doppelten Zeitaufwand (= doppelte Energie-Ressourcen) zu haben, entwickelt Apps am besten hybrid (z.B. mit Flutter).
Und natürlich kann ich nur empfehlen, allgemein auch im persönlichen Leben das Thema Nachhaltigkeit für sich regelmäßig zu reflektieren, insbesondere Gewohnheiten im Bereich Verkehr und Ernährung.
Du engagierst dich auch für die »Developers for Future«. Erkläre uns doch bitte einmal genauer, was sich dahinter verbirgt und wie man als Interessierte*r dort mitmachen kann.
David: Die Developers For Future sind ein Zusammenschluss von Softwareentwickler*innen, die einen Teil ihrer Freizeit dafür aufbringen, sich ehrenamtlich für Klimaprojekte einzusetzen. Interessierte können sich auf der Website von Developers For Future informieren und dem »Mattermost«-Server, dem internen Kommunikationskanal, beitreten und dort nach Aufgaben fragen, die zu ihren Fähigkeiten passen.
Zum Schluss: Wie sehen die Zukunftspläne für dein Business aus?
David: Die Firmen, die Nachhaltigkeit schon aktiv leben und nach einer Agentur wie uns suchen, die sich der nachhaltigen Softwareentwicklung verschrieben hat, sind in der Regel weniger das Problem. Die achten sowieso schon auf ihre Emissionen. Aber was ist mit den Firmen, die das Thema noch gar nicht auf ihrer Agenda haben? Einer der zentralen Punkte ist für mich deshalb, dass ich in Zukunft eine breitere Masse an Kund*innen ansprechen möchte. Wir beginnen aktuell zunehmend damit, auch mehr mit Firmen zu arbeiten, die das Thema Nachhaltigkeit noch gar nicht auf dem Schirm haben. So schaffen wir einerseits ein Bewusstsein dafür und andererseits können wir so sicherstellen, dass das Geld nachhaltig genutzt wird – wenn wir es nicht machen, macht es eine andere Software-Firma, der ökologische Aspekte vielleicht eher egal sind. Das möchte ich verhindern.
Ansonsten plane ich selbstverständlich, mein Team in den kommenden Monaten und Jahren weiter auszubauen. Vor einem Jahr hab ich noch alleine dagestanden und es ist unglaublich erfüllend, ein Arbeitsumfeld mit Menschen zu haben, die an die gemeinsamen Werte und eine Vision glauben. Wir sind aktuell 10 Leute im Team und freuen uns über jede*n, der schon mal privat oder beruflich ein kleines Softwareprojekt umgesetzt hat und motiviert ist! Interessierte können sich gerne formlos bei jobs@app-innovators.de melden.
* Affiliate Link. Ich erhalte kein Geld, aber pro Anmeldung wird eine zusätzliche Tonne CO2 kompensiert.
David ist Gründer der Software-Agentur »Nachhaltige Programmierung« und als Head of Development für den gesamten Entwicklungsbereich der Firma verantwortlich. Sein Ziel ist es, eine Anlaufstelle für all diejenigen zu kreieren, die mit Leidenschaft und hoher Verantwortung großartige digitale Produkte erschaffen möchten, um einen Unterschied in der Welt zu machen.
Mehr Informationen findest du auf der Homepage von Nachhaltige Programmierung.
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