Als Vorsitzende des BMBF-Zukunftskreises unterstützen Sie als Teil eines interdisziplinären Expert*innen-Teams die Bundesregierung dabei, die Zukunft vorausschauend zu gestalten. Welche Arbeitsschwerpunkte und Perspektiven bringen Sie in den Zukunftskreis mit ein?
Cornelia Daheim: Wichtig ist mir, grundsätzlich und auch im Rahmen des BMBF-Vorausschau-Prozesses, ein breiter Blick, auch auf internationale Entwicklungen, Akteure und Ansätze. Zum einen, da ich mir sicher bin, dass wir eigentlich keine der anstehenden großen Herausforderungen rein national beantworten können, und zum anderen, da meine Arbeit selbst stark international und europäisch ausgerichtet ist.
Welche Megatrends werden Ihrer persönlichen Einschätzung nach in den nächsten 10 Jahren unsere Gesellschaft am stärksten verändern?
Cornelia Daheim: Am Klimawandel geht kein Weg vorbei, das ist, denke ich, den meisten inzwischen klar; ebenso sieht es mit der Digitalisierung aus. Daneben stehen aktuell natürlich weitere große und potentiell auch disruptive technologische Entwicklungen, zum Beispiel der Künstlichen Intelligenz oder des Quantencomputing. Als zentral erachte ich für die nächste Dekade die Perspektive der sozio-ökologischen Transformation und auch der »Twin Transition«, also die Analyse des Zusammenwirkens und die aktive Nutzung von Synergien von technologischem Wandel und eines Paradigmenwechsels Richtung Nachhaltigkeit – wobei insbesondere in den Blick genommen wird, wie die anstehenden Transformationen im Sinne eines positiven sozialen Wandels gestaltet werden können.
Mit Ihrer Organisation Future Impacts beraten Sie Unternehmen und staatliche Institutionen zum Thema Foresight bzw. zur »strategischen Vorausschau«. Welche Methoden sind dafür Ihrer Erfahrung nach besonders geeignet, um wünschenswerte Zukunftsszenarien zu entwickeln?
Cornelia Daheim: Damit strategische Vorausschau möglichst gut zukunftsgerichtete Entscheidungen unterstützen kann, ist weniger die Frage der jeweiligen Methode allein ausschlaggebend, sondern die der jeweils adäquaten Kombination von Methoden und der Verknüpfung mit bestehenden Entscheidungsprozessen und Kulturen von Organisationen.
Bei der Entwicklung von »wünschenswerten Zukünften« ist immer auch die Frage: Wünschenswert für wen? Daher ist grundsätzlich die partizipative Entwicklung solcher Szenarien besonders angeraten, in der verschiedene Gruppen eingebunden sind und auch ein Dialog über verschiedene Wunschvorstellungen und Ziele stattfinden kann. Gut machbar ist das zum Beispiel mit der sehr systematischen und auch etwas aufwendigeren so genannten Schlüsselfaktor-basierten Variante der Szenario-Methodik. Aber auch mit »schlankeren« Methoden wie der schon seit Jahrzehnten genutzten »Zukunftswerkstatt« nach Robert Jungk können gut partizipativ wünschenswerte Szenarien entwickelt werden.
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Auf welchen Ebenen ist es – über die Sicherung des wirtschaftlichen Erfolgs hinaus – für Unternehmen besonders wichtig, sich aktiv auf die Zukunft auszurichten? Wie können wirtschaftliche Akteure zu einer nachhaltigen Zukunft beitragen?
Cornelia Daheim: Die Disruptionen der letzten Jahre bis Jahrzehnte haben den meisten Strateg*innen wie auch Innovations-Verantwortlichen in Unternehmen deutlich gemacht, warum es so wichtig ist, sich mit möglichen langfristigen Entwicklungen, neuen Trends und Zukunftsthemen auseinanderzusetzen. Neben der Sicherung des wirtschaftlichen Erfolgs oder einer frühen Identifikation möglicher neuer Märkte bringt eine systematische Vorausschau auch die Chance, in partizipativen Prozessen das Potential der Mitarbeiter*innen stärker zu nutzen und diese in die zukünftige Ausrichtung und Innovationsprozesse einzubinden. In Bezug auf Nachhaltigkeit ist dabei insbesondere der Ansatz des »Open Foresight« wichtig, der den Schulterschluss, die Diskussion und den Austausch mit anderen Akteuren und damit Zusammenarbeit über die Grenzen von Unternehmen und Organisationen hinweg sucht.
Einer Ihrer Arbeitsschwerpunkte ist die Zukunft der Arbeit. Wie könnte die Arbeitswelt der Zukunft aussehen? Welche völlig neuen Berufsfelder könnten künftig entstehen und welche Kompetenzen werden Ihrer Meinung nach besonders an Bedeutung gewinnen?
Cornelia Daheim: Das ist in Kürze kaum sinnvoll zu beantworten. Ich versuche es dennoch einmal: Wir konnten schon in den letzten Jahren eine stärkere Prägung der Arbeitswelt durch eine verstärkte Flexibilisierung und auch Polarisierung von Arbeit beobachten, unter anderem durch die Entwicklungen der Plattform-Ökonomie (Anm. d. Red.: internetbasierte Geschäftsmodelle wie z.B. Suchmaschinen, Handelsplattformen oder Lieferservices). Neben diesen oft problematischen Tendenzen stehen aber auch positive Entwicklungen wie zum Beispiel neue Ansätze zur Sicherstellung fairer Arbeitsbedingungen entlang globaler Lieferketten oder der Boom von neuen, gemeinwohl-orientierten Startups.
In den westlichen Industrieländern wird uns wohl in nächster Zeit die Frage weiter begleiten, wie wir gut mit zunehmend digitalisierter, KI-gestützter und auch entgrenzter Arbeit umgehen können, und wie wir möglichst breit Individuen befähigen, auf relativ volatilen Arbeitsmärkten zu bestehen. Dazu braucht es neben neuen Führungsformen und -kompetenzen zum Beispiel – dazu ist sich übrigens auch der Großteil der entsprechenden Studien der letzten Jahre recht einig – vor allem die so genannten Meta-Kompetenzen. Gemeint sind hier z.B. Fähigkeiten zum kritischen Denken, zur Problemlösung, zur Selbst-Steuerung und auch zur Kooperation.
Eine Studie des Think Tanks Millennium Project, in welchem Sie selbst Mitglied sind, hat zwar u.a. eine globale Verringerung der absoluten Armut und eine Erhöhung der durchschnittlichen globalen Lebenserwartung festgestellt, aber gleichzeitig eine zunehmende Ungleichheit zwischen Arm und Reich. Wie lässt sich das erklären und wie wird sich dieser Trend wahrscheinlich weiterentwickeln?
Cornelia Daheim: Auch hier sprechen wir von einem komplexen Thema, bei dem in der Wissenschaft weiter diskutiert wird, wie genau die Wirkzusammenhänge aussehen. Die zentrale Frage ist hier für mich: Wie können wir den Trend »brechen« bzw. umkehren? Dann geht es um Lösungsansätze. Hier sind ja seit Jahren einige Vorschläge in der Debatte, die auch in den jüngeren Ergebnissen des Millennium Project eine Rolle spielen, von Umverteilungsansätzen wie der stärkeren Besteuerung hoher Vermögen oder Erbschaften, über das Schließen von Steuerschlupflöchern oder ein bedingungsloses Grundeinkommen, bis zu einem altbekannten Thema: besseren Bildungschancen, -Zugängen und -Angeboten für alle Bevölkerungsgruppen über den gesamten Lebensverlauf hinweg. Letzteres halte ich persönlich für einen wesentlichen und auch relativ gut realisierbaren Hebel in diesem Kontext, gegen den außer der natürlich hohen Komplexität in der praktischen Umsetzung eigentlich nichts spricht.
Wenn Sie sich ein persönliches Bild einer »guten« Zukunft malen könnten, in dem die Chancen der großen Trends gut genutzt und die Risiken vorausschauend minimiert wurden – wie sähe dieses Bild aus?
Cornelia Daheim: Ich würde mir wünschen, dass wir uns gesamtgesellschaftlich auf eine Vision einer neu ausgerichteten Wirtschaft einigen können, und wir entsprechend recht radikal, schnell und mutig auf Nachhaltigkeit als Leitlinie umstellen, also daran unser Handeln ausrichten – und dabei neben der Umwelt-Perspektive der Nachhaltigkeit immer auch die soziale Perspektive in den Blick nehmen, also bessere Lebensbedingungen für diejenigen schaffen, die heute in prekären Verhältnissen leben, unter schwierigen bis schlechten Bedingungen arbeiten oder weniger Zugang zu Ressourcen haben.
Als Foresight Consultant berät Cornelia Daheim seit dem Jahr 2000 Unternehmen und Organisationen im Feld der strategischen Vorausschau, seit 2015 mit ihrem eigenen Unternehmen Future Impacts. Hier beschäftigt sie sich gemeinsam mit ihrem Team unter anderem viel mit neueren methodischen Ansätzen wie dem Foresight (Serious) Gaming und Foresight Capacity Building, um Zukunftsdenken nachhaltig in Organisationen zu verankern.
Ihre persönliche Mission: »Vielleicht zunächst einmal, möglichst wenig zu missionieren. Und dennoch in dem Rahmen, in dem ich persönlich etwas bewegen kann, möglichst viel zu einer stärkeren Ausrichtung organisationalen Handelns im Heute an langfristigen Herausforderungen im Sinne der Werte von Nachhaltigkeit und Inklusion beizutragen.«
Cornelia Daheim ist zudem Vorsitzende des Zukunftskreises des Bundesministeriums für Bildung und Forschung und berät das Ministerium hinsichtlich Zukunftstrends.
Dieses Interview ist Teil unserer Interviewreihe »Zukunft gestalten« in Kooperation mit der Kampagne Strategische Vorausschau des Bundesministeriums für Bildung und Forschung (BMBF). Entdecke weitere Perspektiven von Expert*innen des Zukunftskreises zum Leben und Arbeiten in der Zukunft:
Über den Zukunftskreis
Die Strategische Vorausschau ist für das Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) ein wichtiges Instrument, um frühzeitig Orientierungswissen über mögliche zukünftige gesellschaftliche und technologische Entwicklungen zu bekommen. Ziel ist es, die richtigen Weichen zu stellen, um künftigen Herausforderungen frühzeitig zu begegnen. Hierfür wurde der sogenannte Zukunftskreis berufen: 16 Expert*innen aus unterschiedlichen Disziplinen beraten das BMBF hinsichtlich Zukunftstrends. Aber auch den Bürgerinnen und Bürgern bieten die Ergebnisse der Vorausschau eine gute Orientierung für die Zukunft. Mehr Informationen unter: vorausschau.de.