Mit Tiny Farms produziert und vermarktet ihr Biogemüse in einem Netzwerk von sog. Mikrofarmen. Was zeichnet eine Mikrofarm aus und wie unterscheidet sie sich von einem »normalen« Öko-Landbaubetrieb?
Sarah Böttger: Die Vorteile einer Tiny Farm sind Kostenreduktion und Flexibilisierung durch die radikale Minimierung von Flächenbedarf, Investitionen und Ressourceneinsatz. Die sogenannten Mikrofarmen sind 0,3 bis 0,5 ha groß und mit unserem biointensiven Anbau entwickeln wir auf diesen einen tragfähigen Betrieb. Mit einem light-tech Ansatz minimieren wir Investitionskosten und benötigen kaum fossile Treibstoffe, arbeiten äußerst bodenschonend und mit hoher Flächeneffizienz.
Ein zentraler Vorteil von Großbetrieben ist ihr Potential für eine enorme Effizienz. Das heißt, bestimmte Prozesse können z.B. standardisiert, automatisiert oder ausgelagert werden. Dadurch sinken die Produktionskosten und die produzierte Menge pro Fläche steigt. Im Umkehrschluss heißt dies: Theoretisch haben sehr kleine Betriebe einen klaren Nachteil auf dem Markt. Wie löst ihr dieses Problem?
Sarah Böttger: Unsere Tiny Farms sind hochproduktive Einheiten mit optimierten Arbeitsprozessen und geringem Platzbedarf. So produzieren wir an unterschiedlichen Orten (zukünftig deutschlandweit) Gemüse direkt für ausgewählte Kund:innen. Unsere Software »GrowList« verknüpft die Tiny Farms zu einer virtuellen Großfarm und ermöglicht eine gemeinsame Anbau- und Absatzplanung im gesamten Netzwerk.
Warum kann die konventionelle, großindustrielle Landwirtschaft langfristig nicht mehr funktionieren? Welchen Vorteil haben Mikrofarmen aus Perspektive des Klima- und Artenschutzes?
Sarah Böttger: Der bereits erwähnte biointensive Anbau auf unseren Tiny Farms ist auch aus Perspektive des Klima- und Artenschutzes ausschlaggebend. Das »Bio« bedeutet für uns nicht nur, dass wir bio-zertifiziert sind, sondern auch, dass wir ständig daran arbeiten, die biologische Vielfalt sowie die Bodenfruchtbarkeit zu erhalten und zu erhöhen. »Intensiv« steht für maximalen Ertrag auf minimaler Fläche. Damit schonen wir wichtige Ressourcen wie Land, Wasser und Energie und ermöglichen unseren Gärtner:innen ein auskömmliches Einkommen.
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In eurer »Tiny Farms Academy« kann man sich zum/zur Mikro-Farmer:in ausbilden lassen. Welche Voraussetzungen muss ich erfüllen? Was sind die Inhalte des Programms?
Sarah Böttger: Das Programm steht grundsätzlich allen offen, die daran interessiert sind, ihre Fähigkeiten und Kenntnisse im biointensiven Gemüsebau zu erweitern sowie die Tiny Farms Methode kennenzulernen. Für die Teilnahme ist keine umfassende gärtnerische oder landwirtschaftliche Expertise nötig, im Gegenteil: Unsere Academy richtet sich explizit an Quereinsteiger:innen, die sich damit den Weg in die Biolandwirtschaft eröffnen möchten. Um ihren unterschiedlichen Bedürfnissen und Lebensphasen gerecht zu werden, bieten wir verschiedene Teilnahmemöglichkeiten und Vertiefungen an.
Inhaltlich setzen wir auf eine ganzheitliche Mischung aus Theorie und Praxis. Im Mittelpunkt steht die Tiny Farms Methode: Biointensiver Anbau auf kleiner Fläche, der dank optimierten Arbeitsprozessen und Integration in ein größeres Netzwerk zu einem tragfähigen Betrieb wird. In der Academy erlernen die Teilnehmer:innen zum einen die Grundlagen und -techniken des biointensiven Gemüsebaus: Dazu gehören Themen wie Boden, Pflanzenbau, biologischer Pflanzenschutz, Anbauplanung und Fruchtfolge. Aber auch betriebswirtschaftliche Aspekte und die Vorteile einer lean (d.h. »schlank«) organisierten Farm werden ihnen näher gebracht. Durch fachliche Beratung und die Einbindung in unser Netzwerk werden Teilnehmer:innen schließlich dabei unterstützt, ihr individuelles Vorhaben zu konkretisieren. Am Ende der Academy sind sie dazu befähigt, im Biogemüsebau aktiv zu werden oder sogar selbst eine Tiny Farm zu gründen.
Und die kommen die künftigen Mikro-Farmer:innen an geeignete Ackerflächen? Wie viel Eigenkapital muss ich mitbringen, um Mikro-Farmer:in zu werden?
Sarah Böttger: Falls den angehenden Tiny Farmer:innen keine eigene Fläche zur Verfügung steht, unterstützen wir sie bei der Suche oder verbinden sie mit Menschen in ihrer Region, die ein ähnliches Vorhaben teilen.
Mit unserem light-tech Ansatz ist die Anfangsinvestition bei der Gründung einer Tiny Farm vergleichsweise niedrig. Möchtest du dich als Tiny-Farmer:in selbstständig machen, gehen wir von einem Betrag von circa 20.000 bis 30.000 Euro aus - die genaue Summe ist natürlich individuell und hängt stark davon ab, wie die Ausgangsbedingungen der jeweiligen Fläche sind, ob zum Beispiel ein Bewässerungssystem vorhanden ist oder bestimmte Geräte anzuschaffen sind. Eine Gründung im Team ist auch möglich - so können die Investitionskosten auf mehrere Schultern verteilt werden.
Wer sind die Kund:innen der Mikrofarmen? Wie wird der Vertrieb organisiert?
Sarah Böttger: Zu unseren Kund:innen zählen Supermärkte, Kantinen, Restaurants und Unternehmen, welche ihre Mitarbeiter:innen mit regionalem Biogemüse versorgen. Wir organisieren den Vertrieb zentral aus unserem Büro in Berlin. Da wir unser Biogemüse nicht zwischenlagern, erfolgt die Lieferung am Tag der Ernte und wir garantieren so außergewöhnliche Frische.
Inwieweit sind die Mikrofarmer:innen frei in ihren Entscheidungen, welche Sorten sie anbauen und welche Anbaumethoden sie verwenden?
Sarah Böttger: Sofern nach der Tiny Farms Methode angebaut wird und der nachfrageorientierten Anbauempfehlung innerhalb unserer Software »GrowList« gefolgt wird, bieten wir Tiny Farmer:innen eine Abnahmegarantie an. Selbstverständlich sind die Tiny Farmer:innen frei in der Entscheidung, auch andere Sorten anzubauen - zum Beispiel für den Eigenbedarf oder im Rahmen privater Projekte. Die Abnahme dieser Sorten kann dann allerdings nicht durch Tiny Farms garantiert werden.
Wie seid ihr auf die Idee zur Gründung von Tiny Farms gekommen? Wer sind die Menschen hinter dem Projekt?
Sarah Böttger: Die Gründer von Tiny Farms sind Jacob Fels und Tobias Leiber. Wie bereits erwähnt, arbeiten wir nachfrageorientiert. Das heißt, wir bauen nur an, wofür auch eine Nachfrage da ist. Und so ist auch unsere Geschäftsidee entstanden. Während Berlin die Weichen für eine Ernährungswende mit deutlich mehr Bioprodukten stellt, kommt fast nichts davon aus der Region. Der Bedarf ist da, wird aber nicht gedeckt.
Das wollten Jacob und Tobias ändern und haben daher ein Betriebskonzept entwickelt, das die drei wichtigsten Hindernisse einer bioregionalen Produktion angeht: Mangel an Land, Mangel an Fachkräften und Mangel an funktionierenden Wertschöpfungsketten. Unsere Antwort darauf lautet: Biointensiver Anbau mit möglichst wenig Flächenbedarf, Öffnung für Quereinsteiger:innen und Aufbau einer eigenen Wertschöpfungskette.
Was war bislang eure größte Herausforderung? Und gibt es einen Erfolg, auf den ihr ganz besonders stolz seid?
Sarah Böttger: Für die Academy 2023 haben wir in diesem Jahr bereits 150 Voranmeldungen aus Deutschland, Österreich und der Schweiz erhalten. Das hat uns vor die Herausforderung gestellt, unser Programm so weiterzuentwickeln, dass es auch für Teilnehmer:innen zugänglich ist, die nicht im Umkreis von Berlin/Brandenburg wohnen. Zeitgleich war dies natürlich ein ganz besonderer Erfolg. Wir freuen uns sehr, dass so viele Menschen ihr Interesse daran zeigen, Teil der Tiny Farms Bewegung zu werden.
Was ist eure Vision für die Zukunft? In welche Richtung möchtet ihr Tiny Farms weiterentwickeln?
Sarah Böttger: Unsere Vision ist es, die regionale Produktion als wichtigen Baustein einer zukunftsfähigen Landwirtschaft zu steigern und zu einer vielfältigen Agrarstruktur beizutragen. Wir möchten die Hürden für Neueinsteiger:innen in der Landwirtschaft senken und die Gründung neuer Betriebe ermöglichen. Nachdem wir in Brandenburg erfolgreich ein Cluster mit drei Tiny Farms gebildet haben, steht nun als nächstes die Etablierung des Tiny Farms Systems in Hamburg und weiteren Bundesländern an.
Sarah verantwortet bei Tiny Farms die Bereiche Operations und Communications. Hierbei liegt ihr Fokus auf der strategischen Weiterentwicklung der bestehenden Geschäftsfelder von Tiny Farms. Auch in der Vergangenheit hat sie über mehrere Jahre Kommunikationsstrategien
mit der Ausrichtung auf die Vertiefung von Kundenbeziehungen entwickelt.
Nachdem sie als Führungskraft in einer Medienagentur gearbeitet hat, ist sie ihrem Herzen gefolgt und vereint jetzt bei Tiny Farms ihre Kenntnisse in der prozessorientierten Organisationsentwicklung mit ihrem Interesse an bioregionaler Landwirtschaft. In diesem Jahr hat sie parallel zum Job selbst an der Tiny Farms Academy teilgenommen und konnte so eine Menge neuer Kenntnisse erwerben.
Du möchtest mehr erfahren? Hier geht es lang zur Webseite von Tiny Farms.