Mit eurer Bildungsplattform Vulvani möchtet ihr die Tabus rund um das Thema Zyklus und Menstruation brechen und eine umfangreiche Informationsplattform für »Zyklusbewusstsein« bieten. Doch was sind aus deiner Sicht überhaupt die Gründe dafür, dass viele menstruierende Menschen so wenig über ihren eigenen Zyklus wissen?
Britta Wiebe: Es ist eine komplexe Kombination aus gesellschaftlichen Tabus, Bildungslücken und mangelnder Forschung. 60 % der Mädchen haben zum Beispiel eine negative Einstellung zu ihrer eigenen Periode. Und auch ärztliches Fachpersonal hat im Durchschnitt nur rund sieben Minuten pro Patient:in Zeit - dadurch bleiben viele Fragen unbeantwortet und es entsteht oft ein Gefühl von Überforderung und Hilflosigkeit durch unzählige unbeantwortete Fragen entlang der etwa 50-jährigen Reise mit ihrem Uterus.
Was genau bedeutet »Zyklusbewusstsein« für dich? Macht es z.B. wirklich Sinn, die Alltagsplanung an die jeweiligen Zyklusphasen anzupassen? Kannst du dafür ein paar konkrete Beispiele geben?
Britta: Für mich ist Zyklusbewusstsein das Wissen sowie die Wertschätzung des individuellen Menstruationszyklus und der damit verbundenen Energie- und Stimmungsmuster. Das Ziel ist es, unseren eigenen Körper und uns selbst wieder besser zu verstehen. Unseren eigenen Zyklus gut zu kennen, hilft uns, unser Wohlbefinden zu verbessern. Und zyklisch zu leben bedeutet, den Körper mit seinen zyklusbedingten Hormonveränderungen anzunehmen. Die bewusste Beobachtung und Wahrnehmung des eigenen Menstruationszyklus ist für mich eine wertvolle Praxis der Selbstfürsorge und eine besondere Form der Selbstliebe.
Ich passe meinen (Arbeits-)alltag gerne an meinen Zyklus an, denn es hilft mir dabei, mit mehr Leichtigkeit durchs Leben zu gehen. Während meiner Menstruation ziehe ich mich gerne zurück, mache mehr Pausen, recherchiere viel und arbeite lieber für mich allein. In der Zeit um den Eisprung liebe ich es, mich mit anderen auszutauschen, Interviews zu geben oder neue Video-Inhalte aufzunehmen.
Du suchst nach einem Job mit Sinn?
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Britta: Wir entwickeln aus vermeintlich unangenehmen Themen einen digitalen Bildungsmarktplatz und bieten Informationen entlang des gesamten Lebenszyklus: Von der ersten Periode über Verhütung und Kinderwunsch bis zur Menopause. Unser Ziel ist es immer, Wissen rund um den weiblichen Körper zu entmystifizieren und dieses für alle Menschen zugänglich zu machen, damit kommende Generationen nicht mit denselben Stigmata und Gefühlen von Hilflosigkeit oder Überforderung aufwachsen müssen.
Aktuell bieten wir vier verschiedene Online-Kurse zu folgenden Themen an: Zyklusbewusstsein, Yoga für den Zyklus, Free Bleeding und Erste Periode.
Gibt es die Möglichkeit, Teil der Vulvani-Community zu werden und als Expert:in mein Wissen zu teilen? Welche Voraussetzungen muss ich dafür erfüllen und wie genau funktioniert das?
Britta: Aktuell bauen wir Vulvani zu einem Bildungs-Marktplatz aus, um auch Online-Kurse von externen Expert:innen anzubieten. In den letzten Wochen habe ich mit 40+ Expert:innen für Themen rund um den weiblichen Körper gesprochen. Weitere Gespräche sind noch in Planung und es macht riesig Spaß, mich mit so inspirierenden Menschen zu vernetzen. Hier achten wir darauf, dass die Expertise und Erfahrungen der Expert:innen vielfältig und verifiziert sind und wir ein einzigartiges Portfolio an Online-Kursen von der ersten Periode bis zur Menopause abbilden können.
Ich freue mich schon sehr, wenn wir ab Oktober 2022 neue Online-Kurse von z.B. Heilpraktiker:innen, Psycholog:innen, Ernährungsberater:innen, Yoga-Lehrer:innen, Zyklus- & NFP-Berater:innen (Natürliche Familienplanung) oder Pflegewissenschaftler:innen anbieten.
Was ist deine Meinung zum Thema »Menstrual Leave«, (deutsch »Menstruationsurlaub«), d.h. ein vom Arbeitgeber genehmigter Sonderurlaub während der Menstruation? Die Diskussion ist ja ziemlich polarisiert: Die Befürworter:innen sehen dies als Instrument für Gleichstellung und Abbau des Tabus, die andere Seite argumentiert, dass Menstruierende dadurch erst recht stigmatisiert werden und die Periode noch mehr als »Krankheit« wahrgenommen wird.
Britta: Den deutschen Begriff »Menstruationsurlaub« finde ich persönlich sehr unpassend gewählt. Denn wenn wir aufgrund von Menstruationsbeschwerden nicht arbeiten können, ist das alles andere als Urlaub. Ich finde den Ansatz, die Menstruation auch im Arbeitskontext zu positionieren, gut. Es braucht jedoch mehr als das. Eine periodenfreundliche Unternehmenskultur, die ganzheitlich gestaltet ist, wäre nachhaltiger. Das Ziel sollte sein, eine Strategie zu entwickeln und umzusetzen, die das gesamte Team bestärkt und eine inklusive Unternehmenskultur ermöglicht. Hierbei sollte der Menstruationszyklus mit berücksichtigt werden. In diesem Zusammenhang ist es wichtig, die Menstruation nicht als Schwäche darzustellen, sondern vielmehr als einen natürlichen Prozess und Stärke wahrzunehmen. Denn wenn wir bluten, sind wir nicht krank. Ganz im Gegenteil, es ist ein Zeichen unserer Gesundheit!
Wie ist die Idee zur Gründung von Vulvani entstanden? Welche Menschen stecken hinter dem Projekt?
Britta: Auslöser für meine Leidenschaft für die Themen Menstruation und Zyklus war meine erste Begegnung mit Free Bleeding, dem Menstruieren ohne jegliche Periodenprodukte, während ich in Mexiko gelebt habe - seitdem hat mich die Faszination für den weiblichen Körper nicht mehr losgelassen. Vulvani ist dann als Herzensprojekt während unserer sechsmonatigen Reise durch Südamerika Anfang 2020 entstanden. Letztes Jahr haben Jamin und ich Vulvani offiziell als Unternehmen gegründet und haben es seitdem erfolgreich zu einem Social Impact Startup weiter entwickelt. Mit mir als Zyklusexpertin und meiner Leidenschaft als Dozentin, gepaart mit Jamins Erfahrung als Gründer und Technologie-Enthusiast, könnten wir als Gründungsteam nicht unterschiedlicher sein. Unsere größte Motivation ist es jeden Tag, Menschen dabei zu helfen, sich in ihrem Körper wohlzufühlen.
Auf welchen Erfolg seid ihr besonders stolz?
Britta: Wir sind stolz auf alles, was wir bisher erreicht haben: Von Vulvani wurde bereits vielfach in den großen Medien berichtet, wir werden von der Hamburgischen Investitions- und Förderbank
(IFB) finanziell gefördert und wurden von der Bundesregierung als eines der 32 innovativsten Startups ausgezeichnet. Mit unserem zweisprachigen Online-Magazin erreichen wir monatlich zehntausende Menschen und haben schon Menschen aus jedem der 195 Länder auf dieser Welt erreicht. Das alles sind einzigartige Meilensteine für uns.
Aber ganz besonders stolz bin ich auf meinen Partner und Co-Founder Jamin und mich: Wir unterstützen uns gegenseitig, wir sind immer füreinander da und glauben an uns.
Auf der einen Seite verfolgt ihr mit eurer Bildungsplattform eine soziale Mission: Informationen für möglichst viele Menschen zugänglich zu machen und somit Wissenslücken zu schließen und Tabus zu brechen. Andererseits müsst ihr - auch als Social Startup - genügend Umsatz erwirtschaften. Wie geht ihr mit diesem Zielkonflikt um?
Britta: Der Schwerpunkt unserer Arbeit mit Vulvani liegt darauf, Menschen sowohl auf persönlicher als auch auf gesellschaftlicher Ebene aufzuklären. Unser Ziel ist es, Tabuthemen durch unterhaltsame Aufklärung zu normalisieren, um Menschen zu stärken und eine inklusive Gesellschaft zu schaffen. Und klar müssen wir auch als Social Startup finanziell gut aufgestellt sein. Für uns schließt sich das jedoch nicht aus. Wir glauben daran, dass beides möglich ist und wir auf unsere besondere Weise ein nachhaltiges und erfolgreiches Startup aufbauen können und gleichzeitig Tabus brechen.
In welche Richtung wollt ihr Vulvani in den kommenden Jahren weiterentwickeln?
Britta: Vulvani wird der weltweit erste digitale One-Stop-Shop rund um weibliche Gesundheit. Wir empowern Frauen, selbstbestimmte Entscheidungen über ihren Körper zu treffen. Wir kombinieren einen E-Learning Marktplatz für internationale Expert:innen mit einem Online-Shop für innovative Produkte entlang des gesamten Lebenszyklus. Von der ersten Periode über Verhütung und Kinderwunsch bis zur Menopause. Wir schaffen einen sicheren und anonymen Online-Raum für selbstbestimmte Bildung, unabhängiges Lernen und unausgesprochene Fragen.
Eine wichtige Rolle bei der Aufklärung rund um Sexualität und Menstruation nehmen ja die Schulen ein. Offenbar gibt es beim Aufklärungsunterricht jedoch einiges an Optimierungsbedarf. Was konkret würdest du ändern, wenn es um die schulische Vermittlung dieser wichtigen Themen geht?
Britta: Ich würde den Lehrplan so umgestalten, dass die Themen rund um Aufklärung, Sexualität und Pubertät einen größeren Zeitraum einnehmen können. Aktuell sind nur sehr wenige Unterrichtsstunden für die Sexualaufklärung eingeplant, da müssen leider viele Themen auf der Strecke bleiben. Wichtig ist in diesem Zusammenhang aber auch, schon bei der Ausbildung der Lehrkräfte einen Fokus auf eine positive und wertschätzende Aufklärung zu legen.
Britta Wiebe ist die Co-Gründerin und CEO von Vulvani, dem ersten digitalen Bildungsmarktplatz für Menstruation, Zyklusgesundheit und Sexualität. Ihre Vision mit Vulvani ist es, Menstruierende und Frauen* zu empowern, selbstbestimmte Entscheidungen über den eigenen Körper zu treffen.
Mit Vulvani entmystifiziert sie Wissen rund um den weiblichen Körper und macht dieses für alle Menschen zugänglich, damit kommende Generationen nicht mit denselben Stigmata und Gefühlen von Hilflosigkeit oder Überforderung aufwachsen müssen. Sie sorgt dafür, dass Tabus gebrochen und Wissenslücken geschlossen werden. Für eine gerechtere und aufgeklärtere Gesellschaft.
Nachdem sie als wissenschaftliche Mitarbeiterin, politische Bildungsreferentin und Deutschlehrerin sowohl in Deutschland als auch in Mexiko gearbeitet hat, entwirft sie nun die Bildungsinhalte für Vulvani und ist für Marketing, PR und den Aufbau der Community verantwortlich.
Sie liebt es, zu recherchieren, zu schreiben und neue innovative Bildungskonzepte über den weiblichen Körper zu entwerfen. Wenn sie nicht gerade um die Welt reist und aus der Ferne arbeitet, verbringt sie gerne Zeit in ihrer Heimat, der schönen Stadt Hamburg.
Neugierig geworden? Hier geht es zur Webseite von Vulvani.