BOOM-Feriencamps für eine nachhaltige Berufsorientierung: »Wir wollen zeigen, dass es nicht nur den einen richtigen Weg gibt, um an sein persönliches berufliches Ziel zu kommen.«

Berufsorientierung und Nachhaltigkeit mal anders: Dafür stehen die BOOM-Feriencamps. Sechs Tage lang können hier junge Menschen verschiedenste nachhaltige Berufe ganz praktisch ausprobieren und entdecken, wo ihre Stärken liegen: Eine Solardusche oder einen Lehmofen bauen, Möbel upcyceln, Naturkosmetik herstellen und am Abend schön am Lagerfeuer chillen - hier gibt es einiges zu erleben! Ganz nebenbei erlernen sie hier »grüne« Schlüsselkompetenzen zu klima- und ressourcenschonendem Handeln im Beruf.
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von Charlotte Clarke, 18. August 2020 um 07:10

Bei den BOOM-Feriencamps helft ihr jungen Menschen, Berufsperspektiven mit Nachhaltigkeitsbezug zu entdecken. Kannst du euer Konzept kurz erläutern?

Svenja Fritsch: Unser Konzept besteht darin, Jugendlichen und jungen Erwachsenen handwerkliche Berufe mithilfe von verschiedenen Praxisprojekten innerhalb der Feriencamps aktiv ausprobieren zu lassen, um herauszufinden, was ihnen eigentlich Spaß macht. Wir möchten ihnen gleichzeitig zeigen, dass entlang der gesamten Wertschöpfungskette eines Produkts oder einer Dienstleistung darauf geachtet werden kann, nachhaltig zu arbeiten und leben das an den Praxisstationen in den Camps vor. Konzipiert und durchgeführt wird das Projekt von der Provadis Partner für Bildung und Beratung GmbH, dem Collaborating Centre on Sustainable Consumption and Production gGmbH (cscp) und der Sportjugend Hessen.

An welcher Art von konkreten Projekten können sich die Teilnehmenden ausprobieren? Magst du uns ein paar Beispiele nennen?

Svenja: Gerne! Praxisstationen können z.B. die Renovierung eines Baumhauses oder der Bau eines Lehmofens, Plastikrecycling, Kleider- und Möbel-Upcycling und Schmuckdesign oder sogar die Herstellung eigener Naturkosmetik sein. Die verschiedenen Stationen variieren je nach Themenschwerpunkt des Camps. Wir bieten Feriencamps zu den Schwerpunkten Alltagskonsum, Bauen und Wohnen, Energie und Mobilität sowie Ernährung an. 

In den Feriencamps wird also stark praktisch und handwerklich gearbeitet. Richtet sich das Angebot also primär an Jugendliche, die mit einer Ausbildung liebäugeln oder kann ein Feriencamp auch dabei helfen, ein passendes Hochschulstudium zu finden? Schließlich arbeiten Akademiker*innen nach dem Studium oftmals eher am Schreibtisch. 

Svenja: Die Feriencamps richten sich an Jugendliche und junge Erwachsene zwischen 14 und 25 Jahren. Wir möchten alle dabei unterstützen, herauszufinden was ihnen Spaß machen könnte. Deswegen informieren wir – neben den praktischen Projekten im Camp – auch über die verschiedenen beruflichen Wege, die eingeschlagen werden können. Wir wollen zeigen, was unabhängig vom oder gerade mit dem eigenen oder angestrebten Bildungsabschluss möglich ist und tauschen uns mit den Teilnehmenden neben dem Thema Berufsausbildung auch über die Themen Studium, berufliche Weiterbildungen und weitere Alternativen aus. Wir möchten zeigen, dass es nicht den einen richtigen Weg gibt, sondern, dass man verschiedene Optionen hat, um an sein persönliches berufliches Ziel zu kommen.

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Von wem werden die Jugendlichen während des Camps betreut? Gibt es auch Freizeitangebote?

Svenja: Während der sechstägigen Camps werden die Teilnehmenden von erfahrenen Teamer*innen begleitet und betreut. Sie sind im Laufe der Woche dauerhafte Ansprechpartner*innen für die Jugendlichen und jungen Erwachsenen. An den handwerklichen Stationen werden die Teilnehmenden von Handwerker*innen oder Vertreter*innen lokaler Unternehmen betreut. Natürlich kommt auch bei uns das Freizeitprogramm nicht zu kurz – es bleibt ja schließlich ein Feriencamp! Je nach Camp-Standort bieten wir Lagerfeuer, Filmabende, Fahrradtouren, Klettern, Bogenschießen und vieles mehr an.

Die nächsten Camps finden dieses Jahr im September statt. Hat sich durch Corona an der Gestaltung der Camps etwas maßgeblich verändert? 

Svenja: Leider sind auch wir vor Corona nicht verschont geblieben. Aufgrund der neuen Situation haben wir ein komplett neues Hygiene- und Sicherheitskonzept erstellt. Unter anderem mussten wir aufgrund der Zimmerbelegung und Abstandsregeln die Teilnehmendenzahl reduzieren. Gleichzeitig haben wir die Umsetzung der Praxisstationen und Freizeitaktivitäten überarbeitet, so dass Abstände eingehalten werden können, aber das gemeinsame Arbeiten an den Werkstücken und Projekten trotzdem möglich ist und der Spaß erhalten bleibt. Vor Camp-Antritt werden das Team und die Teilnehmenden ausführlich über die Maßnahmen informiert. Das alles war eine große Herausforderung, aber wir sind davon überzeugt, dass wir nun ein Konzept haben, dass den Teilnehmenden viel Freude bereiten wird. 

Trotz des wachsenden Bewusstseins der jungen Generation stehen noch immer sehr klassische Berufe ganz hoch im Kurs - nur die wenigsten jungen Menschen entscheiden sich für eine Karriere mit eindeutigem Bezug zum Umwelt- oder Klimaschutz. Aktives Engagement scheint eher etwas zu sein, was in der Freizeit passiert. Was sind eurer Erfahrung nach die Ursachen für dieses Phänomen und inwieweit hat dies z.B. mit herkömmlichen Rollenbildern oder gesellschaftlichen Erwartungen zu tun?

Svenja: Ich denke, dass junge Menschen oft auf die Sicherheit von altbewährten Berufen setzen und sich vielleicht nicht trauen, das Risiko einzugehen eine berufliche Richtung einzuschlagen, von der man noch nicht viel weiß. Oftmals haben auch die Eltern einen starken Einfluss, wenn es um die Berufswahl geht und natürlich setzen auch sie auf den Punkt der Sicherheit. Darüber hinaus ist es ebenfalls möglich, dass die Berufe mit einem Bezug zu Umwelt- oder Klimaschutz nicht bekannt genug sind, sie junge Menschen also einfach nicht erreichen oder sich die Menschen unter den verschiedenen Berufsbildern nichts vorstellen können. Auf der anderen Seite zeigen unsere Erfahrungen auch, dass Nachhaltigkeit einen immer höheren Stellenwert bei der Berufswahl und bei der Entscheidung für ein Unternehmen einnimmt. Beispielsweise fragen immer mehr junge Menschen bei einem Einstellungsgespräch nach, wie das Unternehmen zu einer nachhaltigen Entwicklung beiträgt.

Noch vor einigen Jahrzehnten waren die Optionen bei der Berufswahl sehr viel begrenzter und die Karrierewege überwiegend linear: Entschied man sich für einen Beruf, blieb man in der Regel das ganze Erwerbsleben lang dabei - oft sogar im gleichen Betrieb. Heute ist die Vielfalt an Möglichkeiten nahezu erschlagend und die Biografien weitaus dynamischer. Vor welchen Herausforderungen stehen junge Menschen heute in Bezug auf Lebens- und Karriereplanung?

Svenja: Es wird sehr häufig kommuniziert, dass es genau diese dynamischen Biografien sind, die von den jungen Generationen heutzutage erwartet werden. Es scheint so, als reiche es nicht aus, eine solide Ausbildung oder ein solides Studium zu absolvieren und sich in dem Beruf niederzulassen. Es werde viel mehr verlangt, seien es Auslandsaufenthalte, außerschulische Aktivitäten, zahlreiche Praktika, berufliche Weiterbildung, etc. Durch diese weit verbreitete Erwartungshaltung werden junge Menschen, meist auch von sich selbst, stark unter Druck gesetzt.
Ich muss allerdings sagen, dass ich hier zwei verschiedene Gruppen von Jugendlichen sehe, die angesprochen werden müssten. Auf der einen Seite höre ich öfter, dass viele junge Menschen heutzutage eine Art Rastlosigkeit verspüren und gar keine Vorstellung haben, wie sich ihr Leben, beruflich wie auch privat, gestalten soll. Dadurch lässt sich das Leben natürlich deutlich schwerer planen, als es vor einigen Jahren noch der Fall war. Ihnen spielt der Wunsch nach einer dynamischen Biografie, wo sich in verschiedenen Bereichen ausprobiert werden darf, gut in die Karten. Auf der anderen Seite gibt es auch noch die jungen Menschen, die gerne in ein und demselben Unternehmen bleiben möchten und für die ein linearer Weg genau der richtige ist. Es ist wichtig zu betonen, dass auch diese jungen Fachkräfte, z. B. aufgrund des Fachkräftemangels, eine gute Chance auf dem Arbeitsmarkt haben, denn in bestimmten Bereichen wünschen sich Unternehmen konstante Arbeitskräfte. Ich glaube, hier zu entscheiden, welcher Weg oder welcher Beruf der passende ist, ist die große Herausforderung.

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Welche fachlichen und vor allem persönlichen Kompetenzen werden aus eurer Sicht für die zukünftige Arbeitswelt ganz besonders wertvoll sein? Welche Maßnahmen sollten im Bildungssystem umgesetzt werden, um junge Menschen für die Zukunft fit zu machen?

Svenja: Fachlich würden wir uns als Projektteam wünschen, dass der Aspekt der Nachhaltigkeit mehr berücksichtigt wird. Gerne schon in der Grund- oder weiterführenden Schule. Bei der Ausbildung oder im Studium kann dann ganz gezielt darauf eingegangen werden, an welchen Stellen man nachhaltig agieren kann. Ein Ansatz wurde bereits durch die neue Standardberufsbildposition »Umweltschutz und Nachhaltigkeit«, die in der dualen Berufsausbildung integriert werden soll, geschaffen.

Kritisches Denken, Problemlösungskompetenz und Entwicklungsbereitschaft sind nur einige persönliche Kompetenzen, die wohl in Zukunft an Bedeutsamkeit gewinnen werden. Nur wer sich im Unternehmen einbringt, Dinge hinterfragt, frühzeitig Probleme erkennt und sich mit diesen auch beschäftigt, bringt ein Unternehmen letztendlich weiter. In unserer schnelllebigen Welt wird es ebenfalls essentiell sein, dass Fachkräfte offen für Neues sind und sich problemlos auf neue Entwicklungen einstellen können.

Einer eurer Slogans lautet »Jeder Job kann grün sein«. Gibt es nicht auch Branchen oder Geschäftsmodelle, die auch bei allem Wohlwollen per se keinen positiven Beitrag für eine nachhaltige Gesellschaft leisten können und daher nicht zukunftsfähig sind? Ich denke da z.B. an die konventionelle Stromerzeugung mit Kohle, die Tabak- oder Rüstungsindustrie. 

Svenja: Zu einer Branche gehören ja immer viele verschiedene Unternehmen, Produkte oder Arbeitsbereiche. Meiner Meinung nach kann und sollte jede Branche ihren Beitrag zu einer nachhaltigen Entwicklung leisten, indem die verschiedenen Stellschrauben betrachtet und im besten Fall angepasst werden. Dies bedeutet natürlich für einige eine größere Transformation als für andere. In unserem Projekt wollen wir zunächst junge Menschen dazu bringen, einen Beruf zu wählen, für den sie sich wirklich interessieren und in welchem sie weiterführend ihren Beitrag zu einer nachhaltigeren Gesellschaft leisten können. Mit ihrem erworbenen Wissen rund um das Thema Nachhaltigkeit suchen sie sich letztendlich auch den Arbeitgeber aus, der das Ziel einer nachhaltigen Gesellschaft am ehesten unterstützt. Vielleicht gelingt es gerade in Unternehmen oder Branchen, die noch nicht so weit sind, durch diese Fachkräfte neue Lösungswege für Produkte oder Dienstleistungen zu finden.

Dank der Förderung durch den Europäischen Sozialfonds (ESF) und dem Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz und nukleare Sicherheit ist eine Teilnahme an den Camps kostenlos - auch die Anreisekosten werden bei Bedarf übernommen.

 

Neugierig geworden? Alle Informationen zun den Camp-Terminen und der Anmeldung gibt es auf der Website der BOOM-Feriencamps.

 

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