Das Netzwerk Grüne Arbeitswelt setzt sich für die Berufsorientierung in den »grünen« Branchen ein. Welche Akteure sind Teil Ihres Netzwerks und mit welchen Angeboten sprechen Sie die Fachkräfte von morgen an?
Krischan Ostenrath: Unser Hintergrund ist, dass sich viele verschiedene Akteure mit dem Thema beschäftigen, wie junge (und auch ältere) Menschen dazu bewegt werden können, einen Job im Bereich Umwelt- und Klimaschutz anzunehmen. Das sind natürlich einmal die Unternehmen selbst, die ein Interesse daran haben, Fachkräfte für ihre eigene Positionen zu rekrutieren, und zum anderen die darüber liegenden Branchenverbände, die zum Teil mit gezielten Kampagnen Schwerpunkt im Bereich Umwelt setzen. Darüber hinaus gibt es Fachinstitutionen, die Arbeitsmarktforschung und -projekte durchführen, aber häufig nicht den Transfer in die Praxis haben oder - falls es sich um anwendungsorientierte Forschungsprojekte handelt - auf Grund der Drittmittelfinanzierung temporär beschränkt sind. Die dritte wichtige Gruppe ist das Bildungssystem, das sich mit dem Thema Berufsorientierung als Teil des staatlichen Bildungsauftrags beschäftigt. Hier spielt das Thema »grüne« Jobs leider noch eine relativ kleine Rolle, weil sich die Lehrkräfte oftmals damit nicht so wirklich gut auskennen. Als flankierende Partner gibt es noch Medien wie z.B. Themenportale, die sich mit der »grünen« Arbeitswelt im weitesten Sinne beschäftigen. Alle diese Akteure haben ihren eigenen Schwerpunkt und sind in unseren Augen bislang unzureichend miteinander vernetzt.
Da man gemeinsam wesentlich mehr erreichen kann, war es unsere Idee, in unserem Netzwerk diese Vielfalt an Akteuren abzubilden und zu verknüpfen, damit es z.B. eine Schule etwas leichter hat, etwa mit einem Unternehmen der Umweltwirtschaft Kontakt aufzunehmen, oder ein Pilotprojekt einfacher an Forschungsergebnisse heranzukommen, oder es für Unternehmen vereinfacht wird, Schüler*innen für Praktika zu gewinnen. Das versuchen wir zum einen mit Vernetzungsaktivitäten zu erreichen, etwa mit realen und virtuellen Treffen sowie Social Media-Aktivitäten. Auf der anderen Seite stellen wir auf unserer Plattform einen umfangreichen Medien- und Material-Pool (z.B. für Lehrkräfte) zur Verfügung und schaffen Zugang zu den Angeboten, die es in dem Bereich bereits gibt und von denen alle Akteure profitieren können.
Bei einigen Branchen, etwa den Erneuerbaren Energien als klassisches Beispiel, liegt der Bezug zu einem »grünen« Beruf sehr nahe. Können Sie uns weitere Tätigkeitsfelder nennen, die man in aller Regel nicht sofort mit »Green Economy« assoziiert werden, aber dennoch einen wichtigen Beitrag zu einem nachhaltigen Wandel leisten?
Ostenrath: Diese Einordnung hängt ein wenig davon ab, wie radikal man denkt. Es gibt auf der einen Seite die sehr enge Position, dass es eigentlich nur wenige echte »grüne« Berufe gibt. Diese These würde ich persönlich nicht unterschreiben, weil die »Green Economy« aus meiner Sicht viel mehr ist als die Land- und Forstwirtschaft oder das Fischereiwesen. Die andere Extremposition sagt, dass ja eigentlich jeder Job »grün« sein könnte. Das ist nicht ganz falsch, aber da klingt für mich mehr Wunsch als Wirklichkeit mit, dass nämlich jeder Job »grün« sein möge. Wir haben versucht, hier einen Kompromiss zu finden. Wir haben schon ein bestimmtes Verständnis von einer »grünen« Arbeitswelt, was - wie immer bei Definitionsfragen - nicht unangreifbar ist, aber auf eine Grundlage muss man sich ja erst einmal gedanklich verständigen. Wir haben versucht, das Thema »Arbeiten für den Umwelt- und Klimaschutz« in 16 Berufsfelder zu gießen, die natürlich auch die »Klassiker« wie z.B. die Erneuerbaren Energien oder das Campaigning im gemeinnützigen Sektor umfassen, aber auch Tätigkeiten, auf die man nicht so ohne weiteres kommt. Es gibt ja auch z.B. Arbeitsbereiche wie Umweltpolitik, Umweltrecht oder Umweltverwaltung oder relativ neue Berufszweige wie »grünes« Finanz- und Versicherungswesen. Wer also als Bankkaufmensch etwas Sinnvolleres tun will, als bei einer konventionellen Großbank Aktienbündel von links nach rechts zu schieben, der kann sich auch beruflich bei einem Arbeitgeber engagieren, der sich auf nachhaltige Finanzanlagen spezialisiert hat.
Auch die »Klassiker« wie Recycling- und Abfallwirtschaft kommen immer ein wenig zu kurz, obwohl sie einen riesigen Arbeitsmarkt darstellen. Es gibt außerdem ganz neue Themenfelder wie die »Green IT«, nachhaltiger Handel, Produktion & Logistik usw.
Diese und weitere Berufsfelder findet man natürlich auch bei uns online mit entsprechenden Beschreibungen sowie typischen Einstiegswegen. Hier findet man Antworten auf Fragen wie »Was muss ich eigentlich gelernt haben, um bei einer grünen Bank oder im nachhaltigen Tourismus zu arbeiten?« Wenn man sich damit beschäftigt, merkt man eigentlich ziemlich schnell, dass es fast alle Qualifikationsgruppen sind, die ihren Weg in den »grünen« Arbeitsmarkt finden können. Man muss also eben nicht genau dieses oder jenes mal gelernt oder studiert haben, um im Umwelt- und Klimaschutz beruflich tätig zu werden, sondern umgekehrt wird ein Schuh draus: Man kann das lernen oder studieren, wofür man wirklich brennt, und muss sich dann im zweiten Schritt überlegen, wo die eigene Nische ist, in der man sich mit den persönlichen Qualifikationen für den Umweltschutz einsetzen kann. Das setzt jedoch voraus, dass man sich selbst darüber Gedanken macht, denn diese Informationen werden einem nicht auf dem Silbertablett serviert. Aber eigentlich gibt es für jeden Topf einen Deckel - man muss sich nur überlegen, was für ein Deckelchen man ist.
Du suchst nach einem Job mit Sinn?
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Viele Arbeitgeber*innen im nachhaltigen Sektor haben mit einem Fachkräftemangel zu kämpfen, gleichzeitig wünschen sich zahlreiche junge Menschen - spätestens seit Erstarken der FridaysForFuture-Bewegung - einen »Job mit Sinn«. Woher kommt dieses scheinbar widersprüchliche Phänomen?
Ostenrath: Prinzipiell bin ich mit dem Begriff »Fachkräftemangel« vorsichtig. Ich würde da eher von einem »Fachkräftebedarf« sprechen - das ist ein kleiner aber wichtiger Unterschied. Nur weil Arbeitgeber einen »Fachkräftemangel« behaupten, gibt es den noch lange nicht. Im Rahmen der Fachkräfteengpassanalyse, die seit vielen Jahren regelmäßig von der Bundesagentur für Arbeit durchgeführt wird, wird sehr klar dokumentiert, dass wir in Deutschland sicherlich einige Mangelberufe haben, aber mit Sicherheit keinen flächendeckenden Fachkräftemangel. Realen Fachkräftemangel haben wir z.B. im Pflegebereich (was naturgemäß für den Bereich Umwelt- und Klimaschutz so gut wie keine Rolle spielt) sowie in einigen IT-Segmenten und in einigen technischen Bereichen - dies wiederum schlägt sich auch auf die »grünen« Sektoren durch. Da die Umweltwirtschaft und der davon abhängige Arbeitsmarkt quantitativ wächst, gibt es sehr wohl einen steigenden Bedarf nach Fachkräften, aber keinen flächendeckenden Mangel.
Die These, dass sich viele junge Menschen einen sinnerfüllten Job im Klimaschutz wünschen, kann ich nicht widerlegen, allerdings schlägt sich dies in der Praxis bei dem eigentlichen Berufswahlverhalten nicht nieder. Schaut man sich die zehn beliebtesten Ausbildungsberufe an, sind diese seit vielen Jahren relativ konstant. Das heißt, dass die Berufswahl junger Menschen - obwohl sie für FridaysForFuture auf die Straße gehen - nach wie vor ziemlich konservativ ist: Da führen Ausbildungsberufe wie z.B. zur*zum Kfz-Mechatroniker*in, Friseur*in oder Industriekaufmann/-frau die Tabelle ganz weit oben an. Etwas anders sieht es bei den Studiengängen in diesem Bereich aus, hier sind ja in den letzten Jahren viele neue Studiengangsangebote auch im grünen Bereich entstanden, die auch sehr gut nachgefragt werden. Aber - und das ist das eigentlich Paradoxe - so sehr die jungen Menschen ihr Engagement für den Klimaschutz zu Tage treten lassen, so wenig scheinen sie daran zu denken, dass sie das später auch beruflich machen können. Und an genau diese Lücke müssen wir ran: Wir müssen den jungen Menschen klar machen, dass Klimaschutz nicht nur ein Thema ist, was sich im Rahmen von freitäglichen Demonstrationen, privaten Konsumentscheidungen oder ehrenamtlichen Engagement ausdrückt, sondern auf das sich auch ganze Berufsbiographien aufbauen lassen. Damit möchte ich Engagement in der Freizeit überhaupt nicht abwerten, aber wir können unsere Klimaschutzziele nur erreichen, wenn sich viel mehr Menschen auch beruflich in diesen Bereich einklinken. Genau dieser Transfer gelingt bislang noch nicht.
Das ist jedoch auch nicht verwunderlich, denn in der Lebenswelt der meisten jungen Menschen dominieren sowohl im Elternhaus als auch den Medien noch eher konservative und klassische Berufsbilder. Dies zu verändern, ist ein richtig dickes Brett, das wir bohren müssen. Ich vergleiche das gerne mit der MINT-Nachwuchsförderung: Hier war eine milliardenschwere Kampagne nötig, die nun endlich - nach fast 20 Jahren - endlich dazu geführt hat, dass mehr junge Mensche naturwissenschaftliche, technische und IT-Berufe ergreifen. Ich glaube, dass wir ähnliche Anstrengungen im Bereich Umwelt- und Klimaschutz ergreifen müssen und dass dies ein sehr langwieriger Prozess wird.
Das Netzwerk Grüne Arbeitswelt stellt u.a. Unterrichtsmaterialien für Lehrkräfte und Akteur*innen der außerschulischen Bildung zur Verfügung. Welche Rolle sollten Schulen und Bildungseinrichtungen bei der Berufsorientierung - insbesondere auch im Hinblick auf zukunftsfähige Berufe - übernehmen?
Ostenrath: Die haben im Rahmen ihres Bildungsauftrags eine ganz große Rolle. Die Schulen haben allerdings das Problem, dass sie oftmals mit der Frage alleine gelassen werden, wo die Ressourcen für Berufsorientierungsaktivitäten herkommen sollen. An der Schule gibt es meistens eine*n Studien- und Berufswahlkoordinator*in, d.h. ein*e Lehrer*in, die*der ein paar Stunden dafür freigestellt wird, die gesamte Schülerschaft der Schule mit dem Thema zu versorgen. Das läuft natürlich auf eine Art Massenbetrieb hinaus, der dazu führt, dass starre Schemata abgearbeitet werden: Da lässt man mit der Bundesagentur für Arbeit standardisierte Berufswahltests durchführen oder bietet Unterstützung bei der Praktikumsplatzsuche an, aber da bleibt nicht viel Platz für eine individuelle oder thematische Vertiefung. Das kann eine Schule auch gar nicht leisten, weil sie noch so viele andere Aufgaben zu erfüllen hat. Umso wichtiger ist es, dass man den Lehrer*innen Materialien an die Hand gibt, die sie ganz zügig nutzen können, ohne sich damit im Vorfeld zwei Wochenenden reinarbeiten zu müssen, sondern »draufgucken, anwenden« - und schon hat man eine Unterrichtseinheit zum Thema »Arbeiten im Umwelt- und Klimaschutz«.
Ähnliches gilt natürlich auch für die außerschulischen Bildungspartner*innen. Die spielen zwar eine wichtige Rolle, aber man darf deren Rolle auch nicht überschätzen, da es im Berufswahlprozess noch zahlreiche weitere externe Faktoren gibt - insofern darf man nicht die Hoffnung haben, dass es ausreicht, nur das Bildungssystem mit ins Boot holen. Es müssen noch viele weitere Akteur*innen beteiligt werden, um die jungen Menschen von allen Seiten mit dem Thema in Verbindung zu bringen. Aber dennoch - je mehr Lehrer*innen auf dem Radar haben, dass man noch mehr machen kann als Jura studieren oder sich zur IT-Fachkraft ausbilden zu lassen, desto besser ist es für die Fachkräftenachfrage im »grünen« Bereich.
Wie schätzen Sie die zukünftige Entwicklung der Arbeitswelt in Zeiten des Klimawandels und der flächendeckenden Digitalisierung ein? Welche »grünen« Branchen werden einen besonders hohen Bedarf an Fachkräften haben und welche Unternehmen werden voraussichtlich den Wandel nicht überstehen?
Ostenrath: Dass wir uns in Zukunft zunehmend mit Umwelt- und Klimafragen beschäftigen müssen, ist mittlerweile wohl selbst den Konservativsten und Neoliberalsten aufgegangen. Daher denke ich, dass die Umweltwirtschaft auch künftig noch weiter wachsen wird, so wie sie es auch in den letzten Jahren kontinuierlich getan hat. Das sagt jedoch noch nichts darüber aus, welche konkreten Branchen besonders stark wachsen werden und noch weniger, wie man sich denn dazu verhalten soll - denn ich bin äußerst vorsichtig, jungen Menschen einen bestimmten Berufsweg zu empfehlen, nur weil der Bedarf in der entsprechenden Branche steigen wird. Das wäre aus meiner Sicht eine sehr unverantwortliche Position, weil man mit dem Wissen von heute junge Menschen in eine Entscheidung drängt, die sich ein ganzes Berufsleben tragen muss - aber niemand von uns kann 40 Jahre in die Zukunft sehen. Das beste Beispiel dafür sind die Erneuerbaren Energien: Man hätte vor 10 Jahren sagen können, das ist eine richtige Zukunftsbranche, also ist es ratsam, sich jetzt im Bereich Photovoltaik ausbilden zu lassen. Jetzt, 10 Jahre später, sind wir an einem Punkt, wo einerseits durch gesetzliche Änderungen und andererseits durch den internationalen Wettbewerbsdruck die Photovoltaikbranche, insbesondere die Produktionsbereiche, massiv in die Knie gegangen sind. Das war zu dem Zeitpunkt jedoch nicht absehbar und man hätte mit dieser Berufswahl wahrscheinlich keine gute Entscheidung getroffen bzw. einen schlechten Ratschlag gegeben. Deswegen bin ich sehr dagegen, jungen Menschen zu empfehlen, ihren Berufsweg nur anhand einer aktuellen Konjunktur auszuwählen.
Ich glaube, dass man am besten damit fährt, sich zu überlegen, was man gut kann und wofür man brennt, dann eine vernünftige Ausbildung oder Studium zu machen und sich letztlich so seinen Weg zu suchen. Natürlich sollte man auch nach links und rechts schauen, ob sich die eigene Branche in ungünstige Richtung entwickelt.
Außerdem ist aus meiner Sicht noch gar nicht ausgemacht, in welche Richtung sich die (Umwelt-)Wirtschaft tatsächlich entwickeln wird, so dass es einem Blick in die Glaskugel gleicht. Nur weil die Umweltwirtschaft insgesamt wächst, sagt es noch nichts darüber aus, was genau da eigentlich wächst. Erst vor kurzem ist eine Pressemitteilung des Umweltbundesamts erschienen, die besagt, dass unsere Umweltexporte im internationalen Vergleich etwas an Boden verlieren. Das zeigt, dass andere Länder natürlich auch nicht untätig bleiben oder darauf warten, dass Deutschland in diesem Bereich den Ton angibt, sondern den Trend auch längst erkannt haben. Hier sind wir also beim Thema globalisierter Wettbewerb, wo ganz andere Probleme auf uns zukommen - was auch die deutsche Photovoltaik-Branche erwischt hat. Da müssen wir uns grundsätzlich fragen, ob Deutschland mit seinen relativ hohen Produktionskosten der richtige Standort ist, um z.B. Photovoltaik-Anlagen zu produzieren. Solche Entwicklungen sind aber nicht ohne weiteres vorhersehbar - im Moment zumindest sind wir in vielen Technologien noch Weltmarktführer, etwa im Bereich Recycling oder der Wasserwirtschaft, aber das muss in 20 Jahren nicht mehr so sein. Das heißt, dass man sich im Laufe des Berufslebens eventuell umorientieren muss - denn auch in der Umweltwirtschaft gibt es nunmal Pleiten, Pech und Pannen.
Ihr Netzwerk schließt auch ausdrücklich Akteure der »Greening Economy« mit ein. Was bedeutet dieser Begriff und wie können solche Unternehmen oder Fachkräfte bei ihrem Transformationsprozess unterstützt werden?
Ostenrath: Das Thema »Greening Economy« wird meiner Meinung nach viel zu häufig in Extrempolen gedacht. Da wird z.B. die Biobäckerei gerne ausgespielt gegen den Kohlegiganten: Der eine ist der grüne Pionier, der andere das schwarze Schaf. Das mag ja sein, aber das wirkliche Potential - im Positiven wie im Negativen - liegt ja nicht in den Extremen, sondern in den Graustufen dazwischen. Es gibt viele Unternehmen, darunter große Industrieunternehmen, aber auch kleine und mittelständische, die von sich selbst niemals behaupten würden, dass sie Teil der »Green Economy« sind, weil sie z.B. völlig normale, konventionelle Produktionsbetriebe oder Dienstleister sind, aber trotzdem beschließen, dass sie sich nachhaltiger aufstellen möchten als sie momentan sind - z.B. auf Ebene der Beschaffung, Energieeffizienz oder Logistik oder was auch immer man nachhaltiger gestalten müsste, könnte und sollte. Genau hier haben sich ganz viele Unternehmen auf den Weg gemacht, die eigentlich aus einer sehr konventionellen Ecke kommen, die man aber nicht so einfach vom Tisch wischen kann, mit dem Einwand, dass die Biobäckerei oder der Unverpackt-Laden ihnen ja Lichtjahre voraus sei. Das mag ja zutreffen, aber dennoch ist es gut, dass sich diese Unternehmen auf den Weg gemacht haben. Das ist das, was den Begriff »Greening Economy« wohl am ehesten beschreibt: Nämlich einen Prozess, in dem die gesamte Wirtschaft zunehmend grüner werden muss und langsam auch tatsächlich grüner wird. Hier kann man sich natürlich ein höheres Tempo wünschen, aber man muss zumindest anerkennen, dass es diese Bewegung gibt.
Uns als Netzwerk war es daher wichtig, nicht denjenigen von Vorneherein die Türe zu verschließen, die noch nicht die höchsten Nachhaltigkeitsstandards erfüllen, sondern sie in diesem Prozess mitzunehmen und zu unterstützen, wenn sie sich ernsthaft auf den Weg gemacht haben. Denn ich glaube, dass das Erreichen unserer Klimaschutzziele und der Umbau zu einer dekarbonisierten Wirtschaft nicht dadurch gelingen kann, dass nur einige wenige Pioniere die Revolution ausrufen, sondern auch alle anderen Akteur*innen in diesem Prozess mitnehmen.
Glauben Sie, dass eine »Green Economy«, also eine auf Ressourceneffizienz ausgerichtete Wirtschaft, die Lösung für die globalen Herausforderungen sein kann? Oder müssen wir einen Schritt weiter gehen und uns die sog. »Systemfrage« stellen, d.h. ob die auf endloses Wachstum ausgelegten Rahmenbedingungen des Wirtschaftssystems überhaupt noch tragbar sind und welche Alternativen es geben könnte?
Ostenrath: Auf diese Frage hat vermutlich niemand eine wirklich zufriedenstellende Antwort. Meine persönliche Meinung ist, dass es nicht gut ist, die Systemfrage mit der Frage nach einer umweltfreundlichen Wirtschaft zusammen zu werfen. Das würde nämlich bedeuten, dass wir gleich zwei große Probleme sozusagen »in einem« behandeln müssten. Wir müssten uns einerseits von unserem aktuellen kapitalistischen System verabschieden und alternative Modell entwickeln, stünden dann aber immer noch vor dem Problem, unsere Wirtschaftskreisläufe dekarbonisieren zu müssen und eine wirklich umweltfreundliche Wirtschaft hinzubekommen. Ich warne davor, diese beiden Herausforderungen zu vermengen, da es bereits schwer genug ist, sich mit einem davon herumzuschlagen. Zudem tut man sich damit keinen Gefallen, weil man durch die Systemfrage einen großen Teil der deutschen Wirtschaft schlicht abhängt, indem man sie in die Schublade »nicht transformationsfähig« steckt. Ich habe durchaus Sympathie für Positionen, die sagen, dass wir im Kern so nicht weitermachen können, weil unser System grundsätzlich auf der Ausbeutung von Ressourcen beruht. Aber ich glaube, dass es auch innerhalb unseres bestehenden Wirtschaftssystems genügend ungenutzte Hebel gibt, die wir nutzen könnten, um weiterzukommen auf dem Weg zu einer klimafreundlichen Wirtschaft.
Weitere Informationen und Materialien zur Berufsorientierung in den »grünen« Branchen findest du auf der Homepage des Netzwerks Grüne Arbeitswelt. Das Netzwerk Grüne Arbeitswelt wird derzeit vom Bundesumweltministerium im Rahmen der Nationalen Klimaschutzinitiative gefördert.
Über Krischan Ostenrath
Krischan Ostenrath ist Chefredakteur des WILA Arbeitsmarkt und Koordinator des Netzwerks Grüne Arbeitswelt. Er ist seit zwanzig Jahren mit arbeitsmarktlichen und qualifizierungsbezogenen Fragen beschäftigt und Autor zahlreicher Artikel und einschlägiger Publikationen. Darüber hinaus ist er verantwortlich für
wissenschaftliche Transferprojekte im Bereich »grüner« Beschäftigung.
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