Was unterscheidet die kita nordvind von anderen Kitas? Welches pädagogische Konzept liegt ihr zugrunde und woher kommt es?
Kati Schwendtke: Leitend für unsere Arbeit ist nicht ein bestimmtes Konzept, sondern eher eine Haltung. Wir begegnen den Kindern immer auf Augenhöhe. Bei allem, was wir tun, fragen wir uns, ob es die Kinder stark macht, dann ist es gut, oder ob es sie schwächt – dann lassen wir es bleiben.
Mit dieser Haltung bedienen wir uns bei verschiedenen pädagogischen Konzepten. So haben wir Teile der Waldorfpädagogik übernommen und uns von den Ansätzen von Emmi Pikler und Elfriede Hengstenberg inspirieren lassen, die darauf abzielen, die Kinder in ihrer natürlichen Entwicklung zu fördern und ihre Initiative zu stärken.
Wir vergleichen uns dabei eigentlich nicht so gerne mit anderen Kitas. Wir lernen lieber voneinander und lassen uns von anderen zu unserem eigenen Weg inspirieren.
Möchtest du kurz etwas über deinen persönlichen Weg erzählen? Wie kam es zur Idee von kita nordvind und was war die Motivation dahinter?
Kati: Ich habe einige Zeit in Schweden verbracht. Dort konnte ich beobachten, dass in den Kitas ein selbstverständliches Miteinander von Erwachsenen und Kindern gelebt wird. Sie gehen gemeinsam ganz selbstverständlich durch den Tag. Dadurch wird die Kita zu einem zweiten Zuhause, wo jede*r sein darf, wie er*sie ist, ganz sorglos und von allen respektiert. Niemand wird belehrt, bewertet oder gar beschämt. Dieses Gefühl wollte ich auch den Kindern hier in Deutschland vermitteln und habe deshalb vor über zehn Jahren die kita nordvind gegründet.
Du suchst nach einem Job mit Sinn?
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Bis dahin hatte ich mit frühkindlicher Bildung nicht viel zu tun. Ich komme ursprünglich aus dem Wirtschaftsbereich, weshalb mir die ökonomische Seite der Gründung nicht schwer gefallen ist. Daher konnte ich mich von Anfang an auf die pädagogischen Inhalte konzentrieren. Das ist wahrscheinlich ein echter Vorteil gegenüber denen, die von der pädagogischen Seite kommen, und sich dann erstmal mit Bilanzen und Kostenplänen vertraut machen müssen. Das Ökonomische bildet ja nur die Basis für den Kita-Betrieb. Mit ihr steht und fällt zwar alles – aber dennoch ziehen die Kinder, um die es ja eigentlich geht, keinen direkten Nutzen daraus.
Pädagog*innen sollen den Kindern also auf Augenhöhe begegnen. Die Kinder sollen nicht belehrt werden, sondern es geht darum, voneinander zu lernen und sich auch von den Kindern selbst inspirieren zu lassen. Fallen dir konkrete Beispiele ein, wie das im Kita-Alltag genau aussehen kann?
Kati: Viele Probleme entstehen dadurch, dass die Kinder ein Machtgefälle wahrnehmen. Im Grunde wollen sie kooperieren und Teil der Gemeinschaft sein. Aber wenn sie spüren, dass da jemand am längeren Hebel sitzt, verweigern sie sich manchmal. Wir spielen diese Machtspiele gar nicht erst, deshalb erleben wir unsere Kinder auch nicht als »anstrengend«. Wenn uns ein Kind etwas erzählt, dann glauben wir ihm. Das wissen die Kinder und deshalb versuchen sie gar nicht erst, uns auszutricksen.
Außerdem machen wir in unserer Kita nicht etwas für die Kinder, sondern mit ihnen. Kinder wollen von Natur aus lernen, entdecken, sich entfalten. Da müssen die Erwachsenen nichts vorgeben. Ein Beispiel: Wenn ein Kind über einen Baumstamm balanciert, dann sind wir da und halten unsere Hand in greifbare Nähe. Das Kind kann sie nehmen, wenn es sie braucht. Aber wir halten das Kind nicht fest.

Welche Rolle spielen Nachhaltigkeit und Gesundheit in der kita nordvind (z. B. bezüglich Auswahl der Innenausstattung und Spielzeuge, Verpflegung, Zeit in der Natur…)?
Kati: Wir leben den Kindern einen nachhaltigen Umgang mit Ressourcen vor. Wir achten zum Beispiel darauf, dass wir Material vielfach verwenden und dass sich unsere Spielsachen auf vielfältige Weise nutzen lassen. Für unsere Kita haben wir nicht viele, aber hochwertige Dinge angeschafft, die sich nicht abnutzen, sondern mit der Zeit immer schöner werden und ihren Nutzen erhöhen. Wie ein eingeschliffenes Werkzeug. Alles hat seinen Platz und nur selten geht etwas kaputt. Außerdem verbringen wir viel Zeit draußen in der Natur. Dort erleben die Kinder, wie Dinge entstehen und auch wieder vergehen –so lernen sie ganz natürlich, was Nachhaltigkeit heißt.
Was die Ernährung angeht: Bei uns gibt es biologisches Essen. Aber ebenso wichtig wie die Qualität der Nahrungsmittel ist uns die Atmosphäre während der Mahlzeiten. Durch unser Vorbild lernen die Kinder, respektvoll miteinander, mit sich selbst und mit ihrer Nahrung umzugehen.
Was waren bisher deine größten Herausforderungen als Unternehmerin? Glaubst du, du hattest als Frau besondere Hürden zu überwinden?
Kati: Eine große Herausforderung war es, mit den Dynamiken in einer Kita umgehen zu lernen. Kinder sind nun einmal das Wichtigste für die Eltern. Auch in dieser Hinsicht kommt es darauf an, dem*der anderen Glauben zu schenken und seine*ihre Sichtweise zu respektieren. Ich habe die Erfahrung gemacht, dass im Haus eine einzige Person ausreicht, die die Werte nicht teilt, die andere beurteilt und bewertet, um gravierende Unsicherheiten entstehen zu lassen. Konsistenz und eine gemeinsame Haltung sind das Wichtigste in unserer Arbeit. Deshalb klopfe ich neue Teammitglieder auf vier Feldern sehr gründlich ab: 1. Wie gehen sie mit den Kindern um? 2. Wie gehen sie mit den Eltern um? 3. Wie ist ihr Umgang mit dem Team? Und 4. Wie stehen sie gegenüber Strukturen? Bei uns sind Strukturen lebendig, aber gleichzeitig verbindlich. Auch hier wirkt sich unsere Haltung aus.
Ob ich es als Frau besonders schwer hatte, vermag ich nicht zu beurteilen. Mir fällt aber auf, dass es immer noch diese Zuschreibungen gibt: Was bei einem Mann als zielstrebig gilt, gilt bei einer Frau als zickig. Männer werden dafür bewundert, dass sie an ihre Vision glauben. Von Frauen heißt es dann, sie seien naiv und gutgläubig.
Was würdest du angehenden Gründerinnen gerne mit auf den Weg geben? Auf welche Entscheidung(en) bist du besonders stolz?
Kati: Wichtig ist, euch darüber klar zu werden, warum ihr ein Unternehmen gründen möchtet. Dieses »Warum« gibt euch den Kompass vor und hilft, klare Entscheidungen zu treffen. Ich entscheide mich immer sehr schnell, das macht vieles leichter. Aber die Voraussetzung dafür ist, dass ich meine Hausaufgaben gemacht habe und sehr genau weiß, wo ich hinwill. Ihr könnt euch Support holen, euch beraten lassen, aber die Verantwortung für eure Unternehmung, die könnt ihr nicht abgeben.
Zweiter Tipp: Bleibt offen für Neues, lasst Veränderungen zu, denn ihr könnt ohnehin nichts festhalten. Entweder, ihr entwickelt euch mit eurem Unternehmen weiter – oder zurück.
Und zum Schluss: Lasst die Finger von Quersubventionierungen aller Art. Macht nur die Dinge, die sich aller Voraussicht nach wirtschaftlich rechnen.
Mitten in der Gründung, kurz vor der Eröffnung, habe ich mich von der Person getrennt, die ich für die Kita-Leitung eingestellt hatte. Ich habe alles stehen und liegen gelassen und diesen Job kurzerhand selbst übernommen. Einfach, weil ich kein gutes Gefühl dabei hatte. Diese Entscheidung war sehr unbequem, aber goldrichtig.
Was bedeutet Female Leadership für dich?
Kati: Ich würde sagen, Female Leadership erfolgt eher indirekt, weniger durch klare Ansagen als vielmehr durch klare Ziele. Sie orientiert sich daran, die Gruppe zu stärken. Es geht nicht darum, selbst als Führungsperson an der Spitze zu stehen, sondern die Gruppe im Ganzen nach vorne zu bringen. Auf indirekte Weise mittendrin, die Steuerung von der Mitte…
Was muss sich in der Wirtschaft und in der Startup-Welt verändern, damit es vor allem weiblichen Entrepreneurinnen leichter gemacht wird, ihr eigenes Projekt zu gründen?
Kati: Ich glaube, die Initialzündung für eine Gründung, die eigentliche Geschäftsidee, ist unabhängig vom Geschlecht. Aber es lassen sich immer noch zu viele Frauen davon abhalten, ihre Idee umzusetzen. Deshalb brauchen wir mehr weibliche Vorbilder. Es gibt zwar tolle Geschichten von erfolgreichen Unternehmerinnen, ganz besonders in den USA, aber sie bekommen noch nicht die Aufmerksamkeit, die sie verdienen.
Und dann noch ein Rat an alle Entrepreneurinnen da draußen: Wenn ihr euch Hilfe holt, formuliert glasklar, was ihr wollt. Stellt konkrete Fragen. So verhindert ihr, dass euch andere eure Geschäftsidee zerreden und madig machen. Die Meinung anderer sollte nicht mehr Gewicht bekommen als euer Glaube an die Idee. Denn er ist das, was euch durch die Gründungszeit trägt. Ihn müsst ihr verteidigen.
Das ist nicht leicht, aber ihr seid damit nicht allein. Vor diesem Problem stehen schließlich alle Gründerinnen – und Gründer auch. Deshalb: Sucht euch Vorbilder, die euch Mut machen, und tauscht euch untereinander aus.

In welche Richtung soll sich deine Kita in den kommenden Jahren weiterentwickeln? Wie sehen die nächsten Schritte dorthin aus?
Kati: Über zehn Jahre nach der Gründung bin ich heute so weit, dass ich das Thema »Kita« in der Tiefe so weit durchdrungen habe, dass ich es auch in die Breite tragen kann. Deshalb bereite ich gerade die Gründung einer zweiten Kita vor, damit wir noch mehr Kinder stärken können. Perspektivisch können durchaus noch weitere Häuser dazu kommen, aber diese Entwicklung wird sich organisch vollziehen. Es gibt da keinen Masterplan. Wenn sich die Bedürfnisse ändern, werden wir mitgehen.
Was ist deine Vision für die Zukunft unserer Umwelt und Gesellschaft? Inwiefern siehst du hier deine Verantwortung als Unternehmerin?
Kati: Ich schätze meine Verantwortung als Unternehmerin sehr hoch ein. Ich bin ein Vorbild für andere und lebe einen bestimmten Umgang mit anderen Menschen und mit unserer Umwelt vor.
Ich wünsche mir für unsere Gesellschaft, dass alle Kinder so sorglos und furchtlos aufwachsen können, wie in unserer Kita, und dass sie ihrer Umwelt mit einem freundlichen, respektvollen Blick begegnen. Dafür möchte ich in vielfältiger Weise den Raum schaffen.

Über Kati Schwendtke und die kita nordvind:
»Damit die Welt der Kinder eine Chance hat, braucht es Erwachsene, die bereit sind, die Kinder zu begleiten, ihnen eine ansprechende Umgebung schaffen und ihnen zur Seite stehen, wenn sie Hilfe brauchen… dazu gehört auch aushalten können, die Wege der Kinder mitzugehen und sich von ihnen inspirieren zu lassen. Das Team der kita nordvind besteht aus solchen Menschen. Jede*r Einzelne bringt neben seiner*ihrer qualifizierten Ausbildung die Bereitschaft mit, von Kindern zu lernen und ihnen auf Augenhöhe zu begegnen. Hauseigene Fortbildungen stärken die Mitarbeiter*innen darin, die Kinder in ihrer Entwicklung zu beobachten und zu begleiten sowie den Kindern Qualität im Miteinander vorzuleben anstatt zu belehren.« Kati Schwendtke
Dieses Interview ist Teil unserer Reihe »Female Founders«. Lerne weitere starke Gründerinnen kennen:
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*Kati Schwendtke