Die Herrin der Fliegen – Insektenforschung auf der Suche nach nachhaltigen Futtermitteln: »Für Wissenschaftler*innen ist es wichtig, sich als Veränderer*innen in ihren Gesellschaften zu sehen.«

Die Bioökonomie beschäftigt sich u.a. mit ressourcenschonenden, grünen Technologien und sucht Lösungen, um Stoffkreisläufe zu schließen. Dass diese Branche unglaublich spannende Berufsperspektiven eröffnet, zeigen die Forschungsprojekte von Dr. Marwa Shumo: Sie entwickelt Strategien, um aus Biomüll hochwertige, proteinreiche Futtermittel zu machen. Ihre Helfer sind dabei die stets hungrigen Larven der Schwarzen Soldatenfliege. Doch wie wird aus einer Larve Tierfutter und inwieweit schont dies unsere Ökosysteme? Finde es heraus!
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von Charlotte Clarke, 23. November 2021 um 07:46

Sie erforschen am Leibniz-Institut für Agrartechnik und Bioökonomie (ATB) die Anwendungsmöglichkeiten von Insekten als alternative Nahrung – allerdings nicht für Menschen, sondern für Nutztiere. Warum lohnt es sich, überhaupt darüber nachzudenken? Welche (ökologischen) Probleme verursachen die klassischen Futtermittel wie z.B. Soja oder Mais?

Dr. Marwa Shumo: Die begrenzte Verfügbarkeit und die hohen Kosten von Proteinzusätzen wie Sojabohnen, Fischöl, Fischmehl und Saatkuchen hindern die Unternehmen daran, ihr volles Potenzial auszuschöpfen. Es wird geschätzt, dass allein Futtermittel rund 60 Prozent der Kosten der Geflügel-, Fisch- und Schweineproduktion ausmachen. Auf Fischmehl, Sojabohnen und Getreide als Proteinquellen kann man sich aufgrund der mangelnden Nachhaltigkeit nicht mehr verlassen. Die Verwendung solcher Proteinquellen führt zu einer Überkonkurrenz, da sie auch für den direkten menschlichen Verzehr verwendet werden können. Zudem nimmt die Verfügbarkeit von Ackerland, das für den Anbau geeignet ist, rapide ab. Darüber hinaus gehen die Populationen von kleinen pelagischen Schmiedefischen, die zur Herstellung von Fischmehl und Fischöl verwendet werden, aufgrund von Überfischung zurück. Aus den oben genannten Gründen können Insekten eine wichtige Rolle bei der Versorgung von Viehfutter mit den benötigten Protein- und Aminosäurequellen spielen.


Ihr primäres Forschungsobjekt heißt Hermetia illucens – die Schwarze Soldatenfliege. Warum eignet sich ausgerechnet diese Insekten-Spezies besonders gut als Futtermittel? Auf welche Weise sollen die Insekten zum fertigen Produkt weiterverarbeitet werden?

Shumo: Die Schwarze Soldatenfliege ist eine tropische und subtropische Fliege mit einer kosmopolitischen Verbreitung, was bedeutet, dass sie vor allem in gemäßigten Regionen eine Vielzahl von Klimabedingungen toleriert. Es ist auch nicht bekannt, dass es sich um einen Schädling oder Krankheitsüberträger handelt. Mit ihrem relativ kurzen Lebenszyklus kann die Schwarze Soldatenfliege nahezu jede Art von organischem Abfall als Futter nutzen und effektiv abbauen. Die Fliege nimmt Protein, Mineralien, Vitamine und Fette aus dem Abfall auf und speichert sie während ihrer Larvenstadien in im Körper. Die Fliege hört im Vorpuppenstadium auf zu fressen, verpuppt sich, verwandelt sich in eine erwachsene Fliege und beginnt, die Nährstoffe zu verbrauchen, die sie während ihrer Larvenstadien aus dem Abfall gesammelt hat, um sich zu paaren, Eier zu legen und eine zweite Generation zu produzieren. Die Fliege kann als biologisches Werkzeug im nachhaltigen und umweltfreundlichen Biomüllrecycling eingesetzt werden. Darüber hinaus können die protein- und nährstoffreichen Vorpuppen als Viehfutter verwendet werden.

In einer kleinen Farm kann die Vorpuppe der Schwarzen Soldatenfliege direkt an Tiere verfüttert werden. Für eine größere Produktion können die Vorpuppen auch entfettet, getrocknet und gemahlen werden. Dies verleiht dem Endprodukt eine längere Haltbarkeit, wenn es über weite Strecken transportiert oder in großen landwirtschaftlichen Betrieben gelagert wird.


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Die Larven der Schwarzen Soldatenfliege haben einen großen Hunger nach organischem Material. Wie kann man hier gleich zwei Fliegen mit einer Klappe schlagen und sich diese Eigenschaft ökologisch sinnvoll zu Nutze machen?

Shumo: In den letzten Jahren entstand aufgrund des Klimawandels und des rapiden Verlusts der Biodiversität ein weltweites Interesse an einer Verlagerung hin zu umweltfreundlicheren Agrarsystemen. Im Vergleich zu anderen Nutztieren wandeln Insekten organisches Material effizienter in Protein um, was zu geringeren Treibhausgasemissionen führt. Darüber hinaus emittiert die Schwarze Soldatenfliege, die bei der biologischen Umwandlung von organischen Abfällen verwendet wird, nur einen geringen Anteil an Kohlendioxid und keine anderen Treibhausgase. Daher kann man mit Sicherheit sagen, dass die Insektenzucht eine umweltfreundliche Branche ist und als Instrument zur Eindämmung des Klimawandels eingesetzt werden kann.


Wie sieht die Gesamt-Umweltbilanz eines Insekten-basierten Futtermittels im Vergleich zu pflanzlichem Tierfutter aus? 

Shumo: Tierfutter auf Insektenbasis ist nachhaltiger als Tierfutter auf Pflanzen- oder Fischbasis. Die Produktion von pflanzlichen Futtermitteln wie Sojamehl erfordert große Mengen an fruchtbarem Land und eine intensive Bewässerung, was zum Verlust natürlicher Ressourcen und zur Entwaldung führt. Die Überfischung von Futtermitteln auf Fischbasis schadet den Ökosystemen in unseren Ozeanen und zerstört marine Lebensräume. Solche natürlichen Ressourcen und Umweltschäden können vermieden werden, wenn wir auf alternative Proteinquellen wie Insekten und insbesondere die Schwarze Soldatenfliege umsteigen.


Sehen Sie an irgendeiner Stelle Barrieren oder (technische) Herausforderungen, wenn es künftig darum gehen soll, die Insektenzucht in einem sehr großen, industriellen Maßstab zu etablieren? Schließlich brauchen wir angesichts unseres Fleischkonsums unvorstellbar große Mengen an Tierfutter. Wie könnte die »Insektenfarm« der Zukunft aussehen?

Shumo: Barrieren würde ich nicht sagen, aber da dieser Produktionsbereich noch neu ist, freuen wir uns darauf, machbare technische und produktionstechnische Systeme zu entwickeln. Eine möglicherweise zu bewältigende Herausforderung ist die Möglichkeit, universelle Produktionsprotokolle zu entwickeln, die beispielsweise in ganz Europa verwendet werden können. Ich halte es für eine Herausforderung, weil Insekten empfindlich auf Umweltbedingungen wie Temperatur und Feuchtigkeit reagieren.

© Marwa Shumo
 Was hat Sie persönlich dazu bewegt, Wissenschaftlerin zu werden und warum haben Sie sich ausgerechnet für das Forschungsfeld der Bioökonomie entschieden?

Shumo: Ich wurde als kleines Mädchen von Dokumentarfilmen beeinflusst, die ich gesehen habe und wollte dem Planeten helfen und seine natürliche Artenvielfalt bewahren. Das Leben führte mich auf den Weg der Bioökonomie, als ich anfing, mich mehr für Wissenschaft mit Bezug zur Entwicklungszusammenarbeit zu interessieren. Für Wissenschaftler*innen ist es wichtig, sich als Veränderer*innen in ihren Gesellschaften zu sehen und Forschung zu betreiben, die die Lebensgrundlagen der Menschen auf jede erdenkliche Weise verbessern kann, indem sie z.B. neue Arbeitsplätze schafft oder kostengünstige Lösungen für die Lebensmittelproduktion entwickelt.


Was bedeutet für Sie persönlich »Erfolg«? Das heißt, welche Art von positivem Feedback gibt Ihnen Ihre Arbeit, bei dem Sie das Gefühl bekommen »Ich konnte etwas Sinnvolles bewegen!«

Shumo: Erfolg ist für mich die Fähigkeit, eine positive Veränderung herbeizuführen und das Leben anderer zu beeinflussen. Jedes Mal, wenn ich mit Menschen über den Klimawandel spreche, die Gewohnheiten, die wir aufgeben sollten, um unsere Treibhausgasproduktion zu begrenzen, oder die alternativen Ernährungsoptionen, die wir zum Schutz unseres Planeten ergreifen sollten, und ich in ihren Augen das Interesse und den Wunsch sehe, eine Veränderung vorzunehmen, bin ich zuversichtlich, dass uns dies irgendwie gelingen wird und ich weitermachen sollte.


Wenn es um die Landwirtschaft und die langfristige Ernährungssicherheit der Menschheit in Zeiten des Klimawandels geht, ist in der Gesellschaft eine starke Polarisierung zu beobachten: Das eine Lager sieht technische Innovationen als DIE Lösung für die großen Herausforderungen, die andere Seite lehnt diese konsequent ab und plädiert für ökologische Anbaumethoden, die mit möglichst wenig technischen oder synthetischen Hilfsmitteln auskommen. Beide Seiten haben gute Argumente. Wo liegen Ihrer Meinung nach die Grenzen der Bioökonomie, aber auch der ökologischen Landwirtschaft? Sehen Sie Möglichkeiten, beide Seiten zusammenzubringen? 

Shumo: Man könnte meinen, es wäre eine einfache Lösung, auf alle technischen Lösungen zu verzichten und ein ökologisches Produktionssystem einzuführen. Das Problem ist, dass unsere Bevölkerung wächst und damit auch der Bedarf an Nahrungsmitteln steigt. Immer mehr Menschen ziehen in urbane Räume – vor allem im globalen Süden auf der Suche nach einem besseren Lebensstandard und Arbeitsplätzen. Als Konsequenz ziehen immer mehr Bauern  und Bäuerinnen in die Städte und suchen nach Bürojobs. Darüber hinaus sind wir bereits mit begrenzten natürlichen Ressourcen wie fruchtbarem Land und Süßwasser konfrontiert. Meiner persönlichen Meinung nach können technische Lösungen eingesetzt werden, um mit weniger Ressourcen mehr zu produzieren. Ich spreche von urbanen vertikalen Farmen, die zum Beispiel in leeren Lagerhallen ohne Erde und mit recyceltem Wasser errichtet werden können. Darüber hinaus sollten wir bessere Konsumentscheidungen treffen und uns für alternative Proteine ​​entscheiden, die mit weniger Ressourcenverbrauch hergestellt wurden und zur Reduktion der Treibhausgas-Emissionen beitragen.


© Marwa Shumo
Über Dr. Marwa Shumo

Marwa Shumo kommt aus dem Oman. Dort begann sie ihre akademische Laufbahn als Umweltbiotechnologin an der Universität Nizwa, bevor sie nach Deutschland wechselte. Sie absolvierte ihren Master in Umweltwissenschaften an der Universität Köln, hat an der Bonn International Graduate School for Development Research (BIGS-DR) ein internationales Promotionsprogramm absolviert und an der Universität Bonn 2020 in Agrarwissenschaften promoviert. Grundlagenwissen und Anwendungsbereiche wie Aufzucht, Verarbeitung und Nutzung zu verknüpfen, lernte sie am International Centre of Insect Physiology and Ecology (icipe) und im Insect Technology Center (ITC) der Hermetia Baruth GmbH/Katz Biotech AG. Im Februar wechselte sie ans Leibniz-Institut für Agrartechnik und Bioökonomie (ATB), wo sie sich intensiv mit Fragen der Insekten-Aufzucht und innovativen Verfahren zur Verwertung von Lebensmittelabfällen befasst.

In ihrer jungen wissenschaftlichen Laufbahn hat sie bereits mehrfach Auszeichnungen für ihre Forschung erhalten, u.a. den icipe Graduation Award 2020 und das EIT Food Innovator Fellowship 2021, aber auch für ihr populärwissenschaftliches Engagement bei Veranstaltungen wie Soap Box Science und in den sozialen Medien wurde sie ausgezeichnet. Sie ist Gewinnerin eines Falling Walls Wettbewerbs und hat vor kurzem an der Falling Walls Lab Factory on Bioeconomy teilgenommen.


Du möchtest mehr über Berufsperspektiven in der Bioökonomie erfahren? Gelegenheiten findest du bei den Veranstaltungsformaten des Projekts »Jobs ohne Kohle? Kommunikation nachhaltiger Berufe in der Bioökonomie«, welches aktuell vom Wissenschaftsladen Bonn (WILA) durchgeführt wird.


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