Möbel-Sharing: »Uns trieb die Frage um, warum es keine flexible und gemeinschaftliche Lösung für den Umgang mit Möbeln gibt.«

»Teilen statt besitzen« - Das Sharing-Konzept ist mittlerweile weit verbreitet, z.B. vom Carsharing bis hin zur Kleidertauschparty. Doch was ist mit der eigenen Wohnungseinrichtung? Wäre es gerade nicht schön, diese ab und zu mal ohne großen Aufwand wechseln zu können? Schließlich ändert sich der Geschmack ja oft mit der Zeit oder eine neue Lebensphase inkl. Umzug bricht an. Im Interview mit Melusine Reimers, einer der Gründer*innen von READYMADE, erfahrt Ihr, wie das Konzept des Start-ups nicht nur zu mehr Flexibilität, sondern auch zu einem nachhaltigeren Konsum beitragen kann.
Foto: © Lena Willems
von Charlotte Clarke, 30. Januar 2018 um 15:46

READYMADE wendet das Sharing-Prinzip (»Teilen statt besitzen«) auf Wohnmöbel an. Wie genau funktioniert Euer Konzept?

Melusine Reimers: Grundsätzlich funktionieren wir ähnlich wie Car2Go – nur eben für Möbel. Je nach Größe unseres Möbel-Sortiments vermieten wir unsere Möbel an eine bestimmte Anzahl an Kund*innen. Man registriert sich also erstmal als Mitglied im Club und kann sich dann in einem Online-Shop die Möbel aussuchen, die man gerade braucht. Für Testkund*innen - also diejenigen, die sich jetzt anmelden - ist die Mitgliedschaft 1 Jahr lang kostenlos. Danach kostet die Mitgliedschaft im Club 25 EUR/Jahr - vom Prinzip her also ähnlich wie bei einer Leihbücherei. Die Lieferung und Abholung der Möbel übernehmen wir, genauso wie die Pflege und Instandhaltung.

Wie ist die Idee zur Gründung von READYMADE entstanden?

Melusine: Aus einem dieser typischen »Da müsste man doch mal was machen...«- Diskussionen über Nachhaltigkeit und darüber, wie selbstverständlich wir eigentlich konsumieren. Julian hatte außerdem gerade zwei Jahren in Berlin gelebt und ist in der Zeit 13 Mal umgezogen. Ihn trieb deswegen die Frage um, warum es keine flexible und gemeinschaftliche Lösung für den Umgang mit Möbeln gibt. Die Lösung für beide Probleme lag irgendwie nah: Wie wäre es mit einer Art Leihbücherei für Möbel? Warum gibt es das eigentlich noch nicht? Als wir dann Anfang des Jahres auf der Internationalen Möbelmesse in Köln waren, um uns mal umzuhören, war schnell klar: Der Kunde will und braucht angesichts des sich verändernden Arbeitsmarktes tatsächlich mehr Flexibilität. Auch Nachhaltigkeit wird für viele Menschen immer wichtiger bei der Kaufentscheidung. Aber so richtig reagiert die Möbelbranche darauf nicht. Das war für uns der Anlass, uns ganz auf READYMADE zu fokussieren und auszuprobieren, ob wir mit unserer Idee in diese Lücke springen können.

Foto: © Tojo Möbel GmbH

Welche Möbel habt Ihr bisher im Sortiment? Muss ich die selbst zusammenbauen? Und was passiert, wenn ein Möbelstück während der Vermietung beschädigt wird?

Melusine: Ein weiterer Vorteil an modularen Möbeln: Wenn etwas wirklich nicht mehr funktionstüchtig ist, müssen wir nur das eine Modul ersetzen. Je nachdem, was damit passiert ist, tragen wir die Kosten oder die Haftpflicht des Kunden. Wir wollen allerdings möglichst nichts neu kaufen, deswegen überarbeiten wir die Möbel nach jeder Vermietung so, dass die Gebrauchsspuren in die Patina eingearbeitet werden. So entwickelt sich durch jeden neuen Kunden ein Möbelstück mit einer einzigartigen Geschichte. Wir wollen die Möbel durch diesen Prozess möglichst lange im Vermietungskreislauf halten – nichts wegwerfen und neu produzieren ist schließlich die simpelste Methode, um nachhaltiger zu wirtschaften.

Zurzeit werden Eure Möbel nur an Kunden in Köln und Umgebung geliefert. Plant Ihr in Zukunft eine Ausweitung eurer Zielgruppe? Wie sehen konkret Eure nächsten Schritte aus?

Melusine: Definitiv! Wir wollen gern in jede deutsche Großstadt liefern können, müssen dafür aber erstmal unseren Proof-of-Concept hier in der Region hinter uns bringen. Wir brauchen mehr Erfahrung mit echten Kund*innen und ihrem Umgang mit den Möbeln. Wie bei jedem Sharing-Modell hängt im Endeffekt alles davon ab, wie wertschätzend die Kund*innen mit unseren Möbeln umgehen. Deswegen sind wir gerade auch auf der Suche nach Testkund*innen! Wir haben einen kleinen Möbelstock, der erst einmal hier in Köln und Umgebung von Julian und mir ausgeliefert wird. Bestellen kann man die Möbel ab Mitte Feburar bei uns im Online-Shop. Im nächsten halben Jahr werden wir dann gezielt die Marke aufbauen und versuchen, Menschen vom Möbel-teilen zu überzeugen. Im Frühjahr wollen wir dafür eine Crowdfunding-Kampagne mit einer Pop-up-Wohnung starten und sind natürlich parallel auf der Suche nach Investment.

Wer ist Eure Zielgruppe? Können es sich z.B. auch Studierende leisten, sich bei READYMADE eine Einrichtung zu mieten?

Melusine: Wir haben zwei Zielgruppen im Visier: Die Flexiblen und die Gönner. Die Studierenden würden zur ersten gehören, genauso wie junge Berufstätige oder Pendler. Die Gönner setzen sich zusammen aus Menschen, die entweder ein Herz für Design oder für die Umwelt haben. Für beide Zielgruppen haben wir Angebote, die von relativ günstig bis sehr teuer und exklusiv gehen. Ein Bett kann man bspw. schon ab 18 € im Monat mieten, das Puzzle-Möbel aus Vollholz, das vollständig nachhaltig produziert wurde, kostet in der größten Variante allerdings dann schon 100 € im Monat. Wir haben aber darauf geachtet, dass man mit einer Grundausstattung für ein Studi-Zimmer knapp unter den Preisen für möbliertes Zimmer bleibt.

Foto: © Tojo Möbel GmbH

Nach welchen Kriterien wählt Ihr die Möbelhersteller aus, von denen Ihr Euer Sortiment bezieht?

Melusine: Wir suchen Möbelhersteller, die entweder besonders innovative Designs haben oder einfach Klassiker sind und dabei zu unserer Vision passen. So sind wir zu Tojo und TAVAR gekommen. Tojo ist besonders, was modulare, simple Möbel angeht, wirklich herausragend und das Magnetsystem von TAVAR ist nicht nur einzigartig, sondern die Manufaktur achtet auf nachhaltige Produktion und verfolgt eine ganzheitliche Unternehmensphilosophie. Bei den Klassikern durften vitra und muuto natürlich nicht fehlen. Zu hay kamen wir vor allem wegen der wunderschönen Kleiderstange und Elting-Möbel ist einfach ein großartiges Konzept. Die beiden Designer aus Essen-Elting bauen aus den Holzplatten, die beim Sperrmüll meistens niemand mehr mitnimmt, Steckhocker. Wir wollen so auch kleinen Designern und solchen tollen Ideen eine Plattform geben. Auch auf der Internationalen Einrichtungsmesse (IMM) im Januar konnten wir uns erfolgreich mit interessierten Designern vernetzen und sind gerade dabei, unser Sortiment um ein paar besondere Stücke aufzustocken.

Euer Möbelsortiment wird jedes Jahr mit neuen Designs erneuert. Was passiert mit den noch funktionstüchtigen Möbeln aus dem vergangenen Jahr?

Melusine: Die bleiben natürlich im Sortiment und verändern sich im Laufe der Zeit. Wenn nötig, hacken wir die Designs auch, um ihre Funktionalität zu erhalten. Da wir dem Kunden aber auch die Möglichkeit geben wollen, liebgewonnene Möbel nach einem Jahr zu behalten, müssen wir diese abverkauften Stücke ersetzen. Für uns die Möglichkeit, das Sortiment in kleinen Dosen zu erneuern.

Bei welchen Aspekten Eures Geschäftsbetriebs spielt Nachhaltigkeit noch eine Rolle?

Melusine: Primär in dem Kreislauf, den unsere Möbel durchlaufen. Wir haben uns nicht darauf fokussiert, rein nachhaltige Möbel zu vermieten, sondern eher Möbel auszuwählen, die robust und gut zu überarbeiten sind. Die UN hat ja 2015 die Sustainable Development Goals (SDGs) veröffentlicht und wir orientieren uns da am Ziel Nr. 12.: Nachhaltige Produktion und Konsummuster. Sharing ist ein nachhaltiges Konsummuster, weil mehrere Menschen ein Produkt nutzen. Dank unserer Überarbeitung können mindestens zehn Kunden fünf Jahre lang ein Möbelstück teilen. Bei gutem Umgang sogar noch länger!

Foto: © Tojo Möbel GmbH

Wie kann das Sharing-Konzept zu einer zukunftsfähigen Gesellschaft beitragen?

Melusine: Es gibt ja dieses viel genutzte Sharing-Hashtag, das es ziemlich auf den Punkt bringt: #sharingiscaring. Wenn ich etwas teile, bin ich mir dessen Wert für mich sehr viel bewusster, weil ich es gezielt ausgewählt habe und weiß, dass ich es nur für einen bestimmten Zeitraum besitzen werde. Sharing führt also zu einem sehr viel bewussteren Konsumverhalten und ist für viele Menschen deswegen auch ein Weg, sich von diesem »zu viel«-Gefühl zu befreien.

Auf der anderen Seite bekomme ich mehr von den Menschen um mich herum mit. Ich bin weniger isoliert, wenn ich Dinge teile. Wenn ich etwas kaufe und danach wegschmeiße, besteht nur eine Beziehung zwischen mir und dem Unternehmen – und vielleicht noch zu der Müllentsorgung meiner Kommune. Wenn ich Dinge teile, dann erlebe ich etwas von dem Leben, was jemand vor mir mit diesem Ding erlebt hat. Deswegen wollen wir die Gebrauchsspuren unserer Möbel auch nicht retuschieren, sondern sich mit jeder/m Kund*in entwickeln lassen. So wie wir uns ein bisschen wie Mama fühlen, wenn wir ihren Vintage-Ring tragen, den sie mal von einem Verehrer bekommen hat, entwickeln wir eine unaufdringliche Beziehung zu den mit fremden Vorbesitzer*innen geteilten Gegenständen. Und das macht jedenfalls für uns eine zukunftsfähige Gesellschaft aus: Sich gegenseitig wahrnehmen zu können, um diese Welt gemeinsam zu gestalten, nicht gegeneinander in Konkurrenz zu stehen.

Foto: © Daniel Opoku

Wer mehr über READYMADE erfahren oder Testkund*in werden möchte: hier geht's zur READYMADE Website.

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