Die Diakonie Deutschland engagiert sich als kirchlicher Verband in vielen unterschiedlichen Bereichen. Gibt es Bereiche, auf die sie sich besonders konzentriert oder wo sie besonderen Bedarf sieht?
Ute Burbach-Tasso: Die Diakonie engagiert sich dort, wo die Not am größten ist. Dauerbrenner sind Pflege, Armut und gleichwertige Lebensverhältnisse, Flucht und Migration. Darunter lassen sich viele Arbeitsbereiche der Diakonie fassen. Die Diakonie Deutschland nimmt Stellung zur Gesetzgebung der Bundesregierung oder zu gesellschaftliche relevanten Themen. Besondere Aufmerksamkeit bedarf aus Sicht der Diakonie das Thema Wohnen und Digitalisierung, weil sie immense soziale Folgen nach sich ziehen. Dabei verändert sich auch die Diakonie. Zum Beispiel sind durch den gesellschaftlichen Wandel eine kulturelle Öffnung der Diakonie sowie Kooperationen mit Partnern aus Wirtschaft, Politik und Zivilgesellschaft zwingend notwendig.
Wie kann man sich als Laie die Struktur einer Diakonie vorstellen? Wer entscheidet zum Beispiel, welche neuen Projekte in Angriff genommen werden?
Burbach-Tasso: Die Diakonie ist föderal aufgestellt. Einzelne diakonische Träger oder Einrichtungen sind Mitglied in den Diakonischen Werken der Landeskirchen. Diese wiederum sowie die Fachverbände unterschiedlicher Arbeitsbereiche sind Mitglied bei der Diakonie Deutschland. Im Prinzip sind alle, von der kleinen Beratungsstelle angefangen bis zum großen Sozialunternehmen rechtlich selbstständig, was im Wesentlichen heißt, dass es keine Direktiven »von oben« gibt. Es gibt keine »Konzernspitze«, die Entscheidungen für die gesamte diakonische Landschaft trifft. Was bei der Diakonie Deutschland entwickelt wird, vom Leitbild über Transparenzrichtlinien bis hin zum Corporate Design sind letztlich Empfehlungen. Mehr Verbindlichkeit erzielen Projekte, die in der Projektstruktur gemeinsam mit allen Ebenen erarbeitet werden.
Was zeichnet die Diakonie im Vergleich zu anderen Organisationen/Verbänden aus? Gibt es z.B. Projekte, auf die ihr besonders stolz seit?
Burbach-Tasso: Besonders stolz sind wir auf unsere aktuelle Kampagne »Unerhört!«, die genau den Nerv der Zeit getroffen hat und dafür »wirbt«, sich den Menschen zuzuwenden, die sich an den Rand der Gesellschaft gedrängt fühlen. Stolz sind wir auch auf unsere mehrfach preisgekrönte Kampagne »Soziale Berufe kann nicht jeder«, aus der das Diakonie Karriereportal hervorgegangen ist.
In letzter Zeit mehren sich ja die Proteste und der Aufschrei rund um den Klimaschutz oder z.B. die Plastik-Epidemie in den Weltmeeren und die damit einhergehenden Folgen. Ist dies ein Themenbereich, der euch ebenfalls beschäftigt?
Burbach-Tasso: Wir wollen ja nicht um uns selbst kreisen, sondern den komplexen Anforderungen unserer Zeit angemessen und teilhabeorientiert begegnen. Das gilt für Themen wie Inklusion und Integration genauso wie für die globalen Fragen wie Migration oder Klimawandel. Auch hier suchen wir nach kooperativen Lösungen. Diakonie heißt dienen und dazwischen gehen. Brücken bauen, Verbindungen schaffen, Menschen zusammenbringen. Die Diakonie will helfen, die Gesellschaft teilhabeorientierter und chancengerechter für alle mitzugestalten. Diese Überzeugung wurzelt in unserem Glauben.
Wie kann ich mir die Arbeit bei einem kirchlichen Verband vorstellen? Spielt meine eigene Religion/mein eigener Glaube ein Rolle?
Burbach-Tasso: Aus pragmatischen und professionellen Gründen öffnet sich die Diakonie für Mitarbeitende, die konfessionslos oder anders religiös sind. Grund ist der Fachkräftemangel auf der einen Seite, aber eben auch die Tatsache, dass unsere Gesellschaft und damit die Menschen, für die wir da sein wollen, kulturell und religiös vielfältiger werden. In den Arbeitsfeldern Seelsorge, Bildung und Leitung jedoch ist die Mitgliedschaft in der evangelischen Kirche notwendig. Im Arbeitsalltag werden die christlichen Grundwerte in vielfältiger Form gelebt: von Andachten für Mitarbeitende oder zu Beginn einer Tagung oder Sitzung bis hin zum Gebet mit Klient*innen oder Patient*innen.
In welchen Bereichen kann man bei euch Arbeit finden und was für Einstiegsmöglichkeiten gibt es?
Burbach-Tasso: Mitarbeitende werden in fast allen Bereichen gesucht, vom Hausmeister bis zur Chefärztin. Insgesamt bieten wir Stellen in über 30 Sozial- und Pflegeberufen, aber auch in Verwaltungsberufen, medizinischen, theologischen und handwerklichen Berufen. Für jeden Schulabschluss gibt es passende Einstiegsmöglichkeiten. Die Diakonie hat ein eigenes Karriereportal mit Stellenbörse und Ausbildungsplatzsuche. Hier finden sich Bewerbungs-Tipps für den Nachwuchs, für Quereinsteiger*innen sowie für Fach- und Führungskräfte.
Gibt es vielleicht einen Bereich, wo zur Zeit besonderer Bedarf nach neuen Mitarbeiter*innen vorhanden ist?
Burbach-Tasso: In der Alten- und Krankenpflege und im Kita-Bereich fehlen bundesweit überall viele qualifizierte Mitarbeitende, auch bei diakonischen Trägern. Hier versucht die Diakonie aktiv neue Mitarbeitende zu gewinnen. Die Diakonie gehört zu den Arbeitgeberinnen, die im Branchenvergleich überdurchschnittliche Löhne zahlen, in über 90 Prozent unserer Einrichtungen nach Tarif, und ihren Mitarbeitenden zusätzliche Leistungen bieten wie betriebliche Altersvorsorge, Kinderzulage etc. Einzelne Träger, besonders in der Altenpflege, gehen mit ihren Angeboten noch weiter. Das reicht von kostengünstigen Ferienhäusern über Mitarbeiterwohnungen und Kinderferienbetreuung, von Yogakursen bis zu „Mutti-Touren“ für Wiedereinsteigerinnen in der ambulanten Pflege und zu Altersteilzeit.
Gibt es etwas, auf das ihr bei Mitarbeiter*innen oder Freiwilligen besonders achtet?
Burbach-Tasso: Wie das Motto unserer o.g. Kampagne lautete, sind wir der Meinung »Soziale Berufe kann nicht jeder«. Wer sie ausüben und beruflich Nächstenliebe schenken möchte, braucht die richtige Motivation. Wir suchen Menschen, die sich ganz bewusst, oft auch nach einer ersten Karriere in der Wirtschaft, für eine sinnstiftende Tätigkeit entscheiden. Unsere Mitarbeitenden sollten unsere christlichen Grundwerte teilen und in ihre Arbeit einfließen lassen wollen, ganz gleich, ob sie christlich oder andersgläubig sind.
Die soziale Branche wächst seit den 60ern stetig, die Löhne aber leider nicht. Woran könnte es liegen, dass so wichtige Berufe wie Pfleger*in, Erzieher*in usw. verhältnismäßig schlecht bezahlt werden?
Burbach-Tasso: Mitarbeitende der Diakonie werden nach kirchlichen Tarifen bezahlt und diese sind im genannten Zeitraum selbstverständlich gestiegen. Die Diakonie setzt sich außerdem seit langem für einen allgemeinverbindlichen Flächentarif in der Pflege ein, damit der ruinöse Wettbewerb in der Branche auf Kosten der Mitarbeitenden endlich aufhört.
Die niedrigen Löhne sind sicherlich auch eine der Gründe, warum sich immer weniger junge Leute dazu entscheiden, diesen wichtigen Berufsbereich auszusuchen. Was müsste sich eurer Meinung nach grundlegend in der Politik, aber vielleicht auch in der Gesellschaft selbst ändern, damit Berufe im Sozialen Dienst wieder attraktiver werden?
Burbach-Tasso: Die Diakonie macht sich seit langem für bessere Rahmenbedingungen in sozialen Berufen stark. Dazu gehören gute Arbeitsbedingungen und gesellschaftliche Anerkennung wie die Vereinbarkeit von Familie und Beruf, eine attraktive Ausbildung und gute Aufstiegsmöglichkeiten sowie eine faire Bezahlung, zum Beispiel durch einen allgemeinverbindlichen Tariflohn in der Pflege.
Zur Person: Ute Burbach-Tasso ist seit 10 Jahren Pressesprecherin der Diakonie Deutschland.
Du möchtest mehr über die Arbeit der Diakonie erfahren? Hier geht es zur Website der Diakonie.