Gratulation zu einem sehr interessanten und zum Nachdenken anregenden Buch! Die Theorien und Vorschläge, die Sie den Leser*innen nahelegen möchten, wirken auf den ersten Blick fast schon utopisch, gleichzeitig aber außerordentlich relevant und zumindest in der Theorie eigentlich ganz simpel. Wie sind auf die Idee für dieses Buch gekommen?
Michael Wenzel: Unser allgemein zunehmendes Problembewusstsein in Umweltfragen halte ich für stark verzerrt. Es hat mich immer mehr verwundert und am Ende auch geärgert, wie man das Nachdenken über ökologische Probleme und mögliche Lösungen hiervon derart eindimensional auf die Entwicklung der Technik, z.B. die Elektromobilität, und abstrakte politische Entscheidungen wie den Kohleausstieg reduzieren kann. Eine Änderung unseres Lebensstils, wie ich ihn in meinem Buch vorschlage, würde hier hingegen wirkliche und sofortige Erfolge erzielen. Dass dies in der gesellschaftlichen Diskussion entweder viel zu kurz kommt oder, wenn doch, als Zumutung für uns Menschen abgetan wird, hat mich dazu bewogen, meine Vorschläge aufzuschreiben, um sie so in der Debatte präsenter zu machen und zu zeigen, dass wir alle persönlich ungemein davon profitieren würden.
Der berühmte Satz »Weniger ist mehr« ist auch eine passende Beschreibung für die Message in Ihrem Buch. So schreiben Sie zum Beispiel: »Die Begrenzung der ökologischen Schäden kann nur über die Begrenzung der Geldmenge gelingen«. Ein fast schon radikal wirkender Ansatz, der im starken Kontrast zu unserer konsumorientierten Gesellschaft steht. Wie kommen Sie zu dieser Feststellung?
Wenzel: Über Geld vermittelte Arbeit oder Dienstleistungen haben praktisch immer ihren Gegenwert in der Ausdehnung der eigenen Möglichkeiten: Ich muss für etwas bezahlen, wenn ich es nicht selbst kann. Damit verbunden sind in aller Regel der Einsatz von Energie und Material, was rigoros betrachtet ökologische Schäden nach sich zieht, und zwar in dem Maße, wie Energie und Material dabei umgesetzt werden. Genau hierfür ist der Preis ein Gradmesser. Wenn wir also weniger Geld zur Verfügung haben, reduzieren wir automatisch unsere ökologischen Probleme.
»Teilzeitarbeit«, »Zeitwohlstand«, »Suffizienz« und »Resonanz« sind zentrale Begriffe, die immer wieder in Ihrem Buch vorkommen. Vielleicht können Sie kurz grob erklären, was es mit den Begriffen auf sich hat und warum diese Konzepte Ihrer Meinung nach so wichtig für eine nachhaltige Welt sind.
Wenzel: Wer weniger konsumiert, kommt mit weniger Geld, also im Wesentlichen weniger Einkommen, aus. Eine Teilzeitbeschäftigung reicht dann aus, um das Geld zu verdienen, auf das man nicht verzichten kann. In Teilzeit zu arbeiten führt dann in den Zeitwohlstand: Wir können uns Dingen widmen, für die wir vorher nicht genügend frei einteilbare Zeit hatten. Auf diese Weise begeben wir uns in einen Modus der Resonanzfähigkeit. Im Stress können wir keine tragfähige Beziehung zu unseren Mitmenschen, Dingen, der Natur, etc. aufbauen. Das Gegenteil davon meint Resonanz, und eine Voraussetzung für ihr Erleben ist Zeit. Ökologische Entlastung durch Suffizienz, also Genügsamkeit und persönliches Wohlbefinden durch Zeitwohlstand bedingen sich also in zentraler Weise gegenseitig.
Du suchst nach einem Job mit Sinn?
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Das Leben ist für die meisten Menschen in den westlichen Industrienationen zumindest in materieller Hinsicht sehr angenehm geworden. Dieser »Komfort« ist über mehrere Jahrzehnte entstanden, viele kennen ein anderes Leben bereits gar nicht mehr. Glauben Sie, dass Änderungen, wie sie in Ihrem Buch skizziert werden, heutzutage wirklich (so einfach) umgesetzt werden können? Wenn ja, wie würde das am besten - und am schnellsten - gelingen?
Wenzel: Unser Grundproblem ist in erster Linie ein kulturelles. Wir haben gewisse Verhaltensweisen erlernt, dabei keine wirklichen Alternativen kennen gelernt und uns so an das Leben gewöhnt, wie wir es heutzutage fahren. Hiervon wegzukommen ist nicht einfach, zum einen persönlich wegen der prägenden sozialen Normen, die sich aus dem Einüben unseres Lebensstils ergeben und unser Verhalten entscheidend prägen. Hierzu gehört ganz wesentlich die als »normal« akzeptierte Vollzeittätigkeit, aber auch der konsumistische Lebensansatz, alles zunächst mit Geld zu kaufen statt sich zu überlegen, ob es auch anders ginge. Wir brauchen also Menschen, die eine andere Art zu leben anderen Menschen vorleben und attraktiv machen. Zum anderen brauchen wir institutionelle Veränderungen, die alternativen Lebensstilen, die zentral auf einer Teilzeitbeschäftigung beruhen, nicht im Weg stehen, sie idealerweise sogar fördern. So müssten z.B. Tarifverträge grundsätzlich auf eine Teilzeitbeschäftigung zugeschnitten sein, die Vollzeittätige als Mehrarbeit leistende Workaholics dastehen lassen. Auch müssten in gewissen Branchen Stundenlöhne angehoben werden, die eine Teilzeitbeschäftigung den dort Beschäftigten erst wirklich ermöglichen würden.
Sie schreiben, dass der Mensch die Dimensionen, in denen wir momentan Leben, anscheinend gar nicht mehr begreifen kann. Es ist natürlich viel einfacher und angenehmer, beim Thema »Umweltschutz« den Kopf in den Sand zu stecken und zu hoffen, dass uns irgendeine Technologie vor dem Schlimmsten bewahren kann. Warum ist dennoch wichtig und sinnvoll, sich bewusst mit globalen Herausforderungen auseinander zu setzen?
Wenzel: Wir sind es uns selbst, den Menschen überall sonst auf der Welt - vor allem im sogenannten globalen Süden - sowie den kommenden Generationen schuldig, dass wir uns über deren Lebensgrundlage ernsthaft Gedanken machen und was unser eigenes Verhalten darauf für Auswirkungen hat. Solche Gedanken kosten Kraft, weil sie thematisch sehr umfassend und nicht einfach zu analysieren sind, vor allem aber, weil wir uns mit der Möglichkeit konfrontiert sehen, unsere eigenen liebgewonnenen Gewohnheiten vielleicht in Frage stellen zu müssen. Das wäre eine bittere Erkenntnis, und es ist nur verständlich, wenn man ihr versucht auszuweichen oder ihr mit Scheinlösungen versucht gerecht zu werden.
Sie selbst arbeiten als Lehrer in Teilzeit. Welche Vorteile haben Sie durch diese berufliche Umstellung festgestellt? Gibt es eventuell auch Nachteile?
Wenzel: Durch die Herabsetzung meiner Arbeitszeit habe ich viel Freiraum für andere Tätigkeiten erlangt, die ich ebenso gerne tue: Ich verbringe Zeit mit meiner Familie, die ich nicht automatisch mit Aktivitäten überfrachten muss und so als stressig empfinde. Ich kann mich in zufriedenstellendem Maße um die Wohnung, den Haushalt und den Garten kümmern ohne immer zu denken, nicht alles zu schaffen, was geschafft werden müsste. Ich komme dazu, täglich frisch zu kochen. Und darüber hinaus kann ich regelmäßig tagsüber Zeitfenster für sportliche Betätigung und anderweitige Hobbys nutzen. Auch den Berufsalltag erlebe ich gelassener. Dadurch arbeite ich sogar konzentrierter und - wie ich meine - erfolgreicher, da ich nicht das Gefühl habe, allen meinen Aufgaben nicht hinterher zu kommen oder nur ausreichend gerecht zu werden. Hier lauert aber in der Tat auch ein Nachteil: Die gewonnene Zeit kann, wenn man nicht aufpasst, wiederum in die Arbeit fließen. Hierfür muss man sich als Teilzeitkraft sensibilisieren. In meinem Buch beschreibe ich zudem den möglichen Karrierenachteil durch weniger Präsenz am Arbeitsplatz. Hiervon bin ich in meinem Beruf aber nicht so sehr betroffen.
Könnten Sie sich vorstellen, dass solche Ansätze, wie alternative Wirtschafts- und Arbeitsmodelle etc., künftig auch in Schulen thematisiert und nachhaltige Entwicklung eventuell sogar als Fach unterrichtet werden oder ist dies vielleicht bereits der Fall?
Wenzel: Angesichts der thematischen Fülle der Lehrpläne ist dies nur bedingt realistisch. Als außerunterrichtliche Arbeitsgemeinschaft oder Projektwoche ist es aber sicherlich denkbar. Generell ist es aber so, dass wirtschaftliche Themen in der Schule nur eine untergeordnete Rolle spielen, es also generellen Nachholbedarf auf diesem Themengebiet gäbe. Hierfür müsste neben einem gewissen Sinneswandel für die Bedeutung des Themengebiets aber auch die Lehreraus- und -weiterbildung intensiviert werden.
Welche Tipps haben Sie für Menschen, die nicht warten wollen, bis die Politik in die Gänge kommt, sondern selber etwas unternehmen wollen?
Wenzel: Überlegen Sie, wie viel Geld Sie wirklich für Ihr Leben benötigen. Es ist zwar einfacher, bei kleinen Kostenpunkten anzufangen, machen Sie sich aber ehrliche Gedanken um die »großen Brocken«: Wie viel Wohnfläche brauche ich zum Leben? Benötige ich ein Auto? Wie oft und wohin möchte ich in den Urlaub fahren? Wie möchte ich mich ernähren? Auf welche elektronischen Geräte möchte ich nicht verzichten? Wer hier substantiell die eigenen Ansprüche herunterfährt, braucht auf einmal viel weniger Geld zum Leben und lebt dann automatisch nachhaltiger. Überlegen Sie dann konkret, welche Möglichkeiten es für Sie gibt, in Teilzeit zu gehen. Hier kann man auch zunächst vorsichtig mit einer mäßigen Herabsetzung beginnen und diese später erhöhen. So kann man für sich im besten Fall ausprobieren, welches Maß optimal für einen ist.
Zum Schluss: Dieses Buch war ihr Debüt als Autor. Können Sie sich vorstellen, weitere Bücher zu verfassen? Gibt es vielleicht weitere Themen, die Ihnen unter den Fingernägeln brennen und mit denen Sie sich intensiv beschäftigen wollen?
Wenzel: Es reizt mich, meine eher theoretischen Überlegungen mehr auf die Praxis zu beziehen: Wie kann die »Teilzeitwelt« konkret aussehen und erreicht werden? Hierzu habe ich in der Tat Ideen für ein mögliches Nachfolgebuch. Auch die Frage, wie das Schulsystem in einer »Teilzeitwelt« aussehen könnte, treibt mich natürlich um.
Über Michael Wenzel:
Michael Wenzel ist promovierter Mathematiker und Gymnasiallehrer. Seit vielen Jahren beschäftigt er sich mit Themen der nachhaltigen Lebensführung. Er lebt mit seiner Familie in Braunschweig und geht seiner hauptberuflichen Tätigkeit als Lehrer zufrieden in Teilzeit nach.
Interesse am Buch? Dann schau am besten auf der Seite des oekom-Verlags vorbei.
Foto © Roman Brodel
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