Worum geht es in Ihrem neuen Buch »Kapitalfehler«?
Matthias Weik: Wir haben das Puzzle der Krisen und ihrer wahren Ursachen zusammengesetzt und in eine verständliche Sprache gegossen – so, dass jede*r Leser*in die wirklichen Zusammenhänge der Entwicklungen versteht und sich und sein Vermögen darauf vorbereiten kann. Bei der Recherche sind wir u.a. zum erschreckenden Ergebnis gekommen, dass die Krisen sogar gewollt sind. Der destruktive Finanzkapitalismus führt uns von Krise zur Krise und profitiert sogar davon. Niemals wurden einige Wenige reicher als seit 2008 und unter dem Deckmantel des Dauerkrisenmodus wurden Billionen an Steuergeldern in ein marodes Finanzsystem gepumpt und demokratisch fragwürdige Entschlüsse getroffen. Wir zeigen aktuelle Fehlentwicklungen auf und erklären, wie vernünftiger Kapitalismus funktionieren kann, wenn sich jetzt etwas ändert.
Marc Friedrich: Marktwirtschaft und Kapitalismus, welche nicht dasselbe sind, haben großen Teilen der Menschheit in den letzten 200 Jahren enormen Wohlstand gebracht. Wir erklären, warum der Kapitalismus aber periodisch seine Fähigkeit zu Innovation, zur Mehrung von Wohlstand und sozialer Sicherheit verliert und zu einem System mutiert, in dem nur noch die Interessen von ein paar Dutzend globalen Konzernen, einer immer kleineren Zahl von Superreichen und einer von der Realwirtschaft fast vollständig abgeschotteten Finanzelite zählen. Des Weiteren entwirren wir die zahllosen Fallstricke von Regulierungen, Lenkungen und Liberalisierungen verschiedener ›Märkte‹. Im letzten Teil des Buches machen wir konkrete und konstruktive Vorschläge - so formuliert, dass sie jede*r Politiker*in 1 zu 1 übernehmen kann – wie gegen die Missstände vorgegangen und ein gerechteres Wirtschaftssystem geschaffen werden kann, um eine lebenswerte Zukunft zu haben.
Sie schreiben, unser aktuelles Finanzsystem sei zum Scheitern verurteilt und sehe schon bald seinem Ende entgegen. Wie äußert sich das?
Friedrich: Die Krisen wurden nicht gelöst, sondern lediglich mit viel Geld überdeckt und in die Zukunft verschoben. Das ist ein brandgefährliches Spiel auf Zeit. Gegenwärtig versuchen wir die Krise durch Gelddrucken zu lösen. Dies hat in der Geschichte der Menschheit noch nie funktioniert. Unser Finanzsystem basiert auf exponentiellem Wachstum. Wir können jedoch nicht kontinuierlich wachsen, da die Ressourcen unserer Erde limitiert sind. Wie genau der Crash ablaufen wird und was der Auslöser des Crashes sein wird, kann niemand sagen, da unsere globalisierte Welt mittlerweile viel zu komplex ist. Fakt aber ist, dass unser Finanzsystem eine mathematisch begrenzte Lebensdauer hat und das Haltbarkeitsdatum hierfür seit 2008 abgelaufen ist. Seitdem versuchen die Notenbanken Hand in Hand mit der Politik den Patienten künstlich am Leben zu erhalten – mit immensen Geldspritzen auf Kosten der Bürger*innen und der Sparer*innen. Es ist und bleibt das größte Geld- und Notenbankexperiment in der Geschichte der Menschheit.
Weik: Nehmen wir mal Deutschland. Wir haben seit Jahren Rekordsteuereinnahmen, Exportüberschüsse, Rekordbeschäftigungsquote etc. Trotzdem schafft es nicht mal der Exportweltmeister in Rekordjahren auch nur einen Cent Schulden zurückzuzahlen. Wie können wir es dann von den krisengebeutelten Ländern wie Griechenland und Spanien erwarten? Das sollte jedem zeigen, dass sich unser Finanzsystem im Endspiel befindet.
Als eine der Ursachen nennen Sie die Deregulation der Finanzmärkte, also einen Zustand, der den Banken und Großunternehmen Narrenfreiheit ermöglicht. An welcher Stelle müssten dieser Deregulation Ihrer Meinung nach durch die Politik Grenzen gesetzt werden?
Weik: Wir sind große Verfechter der freien Marktwirtschaft. Eine Branche muss jedoch knallhart reguliert werden – die Finanzbranche. Das ist ein deutliches Ergebnis unserer Recherche. Wir verlangen, dass die Finanzbranche unter eine permanente Kontrolle und Regulierung gestellt wird, die tagtäglich und antizyklisch durchzugreifen hat. Wertpapiere müssen amtlich zugelassen und vorab auf ihre Risiken geprüft werden. Auch dürften sie nur an öffentlichen Börsen gehandelt werden. Wir verlangen ein Verbot von voluminösen intransparenten Geschäft sowie den superschnellen Hochfrequenzhandel per Computer. Spekulationsgeschäfte müssen durch eine Transaktionssteuer abgebremst werden. Ferner fordern wir ein Verbot, Aktien und Rentenpapiere leer zu handeln, also ohne sie tatsächlich zu besitzen. Wir sprechen uns für eine konsequente Trennung in Geschäfts- und Investmentbanken aus. Ferner sind wir Anhänger des Vollgeldsystems. Danach dürften die Notenbanken nicht länger den Kreditinstituten das Recht zur Geldschöpfung einräumen. Folglich würden nur so viele Kredite ausgereicht werden, wie es die Höhe der Einlagen eines Instituts erlaube.
Eines der fundamentalen Grundprinzipien der Ökonomie lautet: »Der Markt reguliert sich selbst durch die Wechselwirkung von Angebot und Nachfrage«, auch die Unsichtbare Hand des Marktes genannt. Warum greift dieses System aus Ihrer Sicht in der aktuellen marktwirtschaftlichen Realität nicht?
Friedrich: Normalerweise gehören Risiko und Haftung zusammen – dies gilt allerdings nicht für die Finanzindustrie. Ist es nicht absurd, dass genau die Branche, welche am lautesten nach Deregulierung geschrien hat, in der Not den Staat um Hilfe bittet bzw. eher erpresst mit der Drohkulisse der Systemrelevanz hat? Die Finanzbranche ist die einzige Branche weltweit, die sich außerhalb von Recht und Gesetz eingenistet hat und machen und tun kann, was sie will und wenn sie sich verzockt, haften wir Bürger*innen. Chapeau!
Dies war möglich durch den zügellosen Finanzkapitalismus, welcher im Zuge des Neoliberalismus in den 80er und 90er Jahren den Kapitalismus gekapert hat und ihn seitdem gnadenlos ausquetscht. Er steht über Recht und Gesetz und selbst wenn Banken und Versicherungen sich verzockt haben, werden diese auf Grund von »Systemrelevanz« von den Steuerzahler*innen gerettet. Dies darf nicht sein! Dieses System neigt zu Exzessen, Krisen und wenn wir jetzt nichts ändern, ist der nächste Crash vorprogrammiert.
Aus Krisen geht im besten Falle ein Lernprozess hervor, im Zuge dessen Änderungen und Anpassungen vorgenommen werden, um einem erneuten Auftreten des Problems entgegen zu wirken. Warum denken Sie, ist dies nicht nach der letzten Wirtschaftskrise 2008 nicht passiert? Warum klammern wir uns an einem neoliberalen Finanzsystem fest, welches offenbar so nicht funktioniert?
Friedrich: Dass die Krisen in bestimmten Kreisen willkommen und sogar gewollt sind, ist nicht von der Hand zu weisen. Diejenigen, die vom System profitieren, werden alles daran setzen, den Status Quo auf Kosten der Menschen aufrecht zu erhalten. Nie war es einfacher, Steuergelder zu entfremden und nach oben zu transferieren. Unter dem Deckmantel der Krisen wurden Gesetze und Maßnahmen verabschiedet, die unter normalen Umständen niemals durchgegangen wären und noch niemals in der Geschichte der Menschheit sind die Reichen in wenigen Jahren reicher geworden wie seit 2008 – im Schnitt um über 60 Prozent!
Die letzten dreißig Jahre waren geprägt von zyklischen Krisen. Börsencrash 1987, Asienkrise, Russlandkrise, Staatsbankrott Argentinien, Dotcom-Blase, Zusammenbruch des Neuen Marktes, Immobilienkrise… Wie schon erwähnt, folgte nach allen großen Krisen ein Paradigmenwechsel. Vom Liberalismus zu Keynes und von Keynes zum Neoliberalismus. Immer? Nein, 2008 war alles anders. Nach dem Finanzcrash wurde Grundlegendes nicht neu überdacht, nichts in Frage gestellt, geschweige denn geändert. Obwohl der Neoliberalismus total versagt hat, bleibt man dem gescheiterten Kamikazekurs treu. Warum ist das so? Wir konnten es nicht fassen, bis wir das Puzzle selbst zusammengesetzt hatten. Ein Wandel ist überhaupt nicht gewollt. Noch schlimmer: Krisen sind gewollt und erwünscht.
Niemals zuvor ist das Vermögen der Superreichen schneller und stärker gewachsen, nie konnten Staaten sich günstiger ver- und auf Kosten der Bürger entschulden.
Wie gehen Sie mit kritischen Stimmen um, die argumentieren, dass die Wirtschaftskrise schon längst vorbei und ein Aufschwung in Europa zu beobachten sei?
Friedrich: Da muss ich herzhaft lachen. Sorry, aber das ist naiv. Wer das glaubt, dem ist nicht zu helfen und der hat die Realität aus den Augen verloren oder ignoriert sie schlichtweg. Wie sind dann die immer neuen Krisen zu erklären? Krisen sind ein Symptom für Krankheit. Wenn die Krisen immer wieder ausbrechen, zeigt dies deutlich, dass unser System schwer krank ist. Aber es gibt keine Medikamente. Die Geldspritzen helfen nur temporär, lösen aber nicht die Wurzel der Krisenmotoren.
Wenn die Wirtschaftskrise tatsächlich schon längst vorbei und ein Aufschwung in Europa zu beobachten ist, dann verstehe ich nicht, warum der Zins nicht angehoben wird, sondern auf einem historischen Tief von 0 Prozent verharrt und der EZB-Chef Mario Draghi sein Aufkaufprogramm verlängert und von 60 auf 80 Milliarden Euro pro Monat erhöht hat.
Ihr drittes Buch hat es nun auf die SPIEGEL-Bestsellerliste geschafft – herzlichen Glückwunsch! Könnte dies Ihrer Meinung nach als Hinweis darauf gedeutet werden, dass Sie bei den Lesern einen Nerv getroffen haben, also ein Phänomen zum Ausdruck bringen, den die Menschen schon bereits lange selbst spüren oder erahnen?
Weik: Offensichtlich haben wir den Nerv der Zeit getroffen und die Leute lassen sich immer weniger von der Politik und der Finanzwelt an der Nase herumführen. Zum Erfolg unserer Bücher hat auch die Tatsache beigetragen, dass wir sie so schreiben, das sie jeder verstehen kann. Zudem mit Witz und Humor, denn das Lesen soll ja – neben dem Mehrwert – den Leser*innen auch Spaß machen.
Welche Reaktionen beobachten Sie angesichts dieser Botschaft bei Ihren Lesern besonders häufig?
Friedrich: Immer mehr Leser*innen beginnen, sich selbst aktiv um ihr Erspartes zu kümmern, anstatt ihr Geld Banken und Versicherungen zu überlassen und in Finanzprodukte zu investieren, welche sie nicht verstehen.
Als bis dahin noch unbekannte Autoren haben Sie Ihr erstes Buch "Der größte Raubzug der Geschichte" 2012 in einem kleinen Verlag veröffentlicht – hatten Sie damals mit diesem großen Erfolg gerechnet?
Weik: Nein, wir haben damit gerechnet, 500 interessierte Leser*innen in ein oder zwei Jahren zu finden. Mittlerweile sind es ein paar mehr. Wir sind sehr demütig und dankbar für diese Entwicklung.
Welche Handlungsoptionen sehen Sie, um dieser Krise konstruktiv zu begegnen? Gibt es etwas, was jeder Einzelne dafür tun kann?
Friedrich: Jede*r kann und sollte aktiv werden. Nie war es wichtiger, sich um sein Vermögen, aber auch um die Gesamtsituation zu kümmern. Nach wie vor sind wir große Verfechter von Sachwerten. Das Motto lautet weiterhin: Keine Schulden zu machen, raus aus Papier- und rein in Sachwerte. Investieren Sie lediglich in Dinge, die Sie anfassen können und verstehen. Die meisten Kund*innen, die zu uns in die Beratung kommen, haben Dinge in ihrem Portfolio, deren Namen sie weder aussprechen können noch erklären können, was das Produkt ist. Und das ist suboptimal. Nie war es essentieller, sich um sein Vermögen aktiv zu kümmern. Ansonsten wird man überproportional verlieren. Und nie vergessen: Wer Schulden hat, ist niemals frei. Diversifizieren Sie ihr Vermögen. Eine schuldenfreie Immobilie ist niemals verkehrt. Erwerben Sie im Tafelgeschäft (Gold, Silber und Diamanten). Aber auch Wald, Ackerland und Wiesen sind als langfristiges Investment eine gute Sache. Die wichtigsten Investments sind jedoch Bildung, sei es die eigene, die der Kinder oder Enkelkinder und Gesundheit. Was jeder sofort machen kann, ist die Macht seines Wahlscheins auszuspielen. Jede*r kann frei entscheiden, wen er mit seinem Geld unterstützt und wen er abwählt. Kaufe ich beim Discounter ein oder beim regionalen Einzelhändler oder sogar beim Erzeuger selbst? Kaufe ich meine Bücher bei Amazon, die mit Sitz in Luxemburg Steuern vermeiden, aber unsere Infrastruktur gerne ausnutzen oder beim familiengeführten Buchhändler in der Innenstadt? Kaufe ich Produkte von Nestle etc.? Wir haben die Macht. Wir dürfen nicht vergessen, dass wir schon einmal einen multinationalen Großkonzern in die Knie gezwungen haben – Shell! Es wird Zeit, das wir etwas tun, ansonsten wird sich nichts ändern. Denn die Eliten werden solange dogmatisch dem Kurs treu bleiben – bis zum bitteren und für uns sehr teuren Ende.
Wie sehen Ihre Prognosen für unsere wirtschaftliche Zukunft aus?
Weik: Leider nicht besonders rosig, wenn bei den Eliten kein Umdenken stattfindet. Dieses Umdenken können wir momentan nicht erkennen. Wenn wir das System nicht jetzt geordnet ändern, werden wir leider einen weitaus größeren Crash erleben als 2008. Noch ist Zeit, aber die Zeit läuft uns davon. Die Daten aus Südeuropa lassen deutlich erkennen, dass der Euro den Ländern mehr schadet als nutzt. Wir müssen den Euro endlich ad acta legen, ansonsten wird mit jedem Tag der Schaden größer – nicht nur finanziell, sondern auch gesellschaftlich. Dies ist auch im Vormarsch der politischen Extreme in ganz Europa zu erkennen. Auch dies gilt es zu verhindern. Allerdings sind wir Realisten und befürchten, dass wir erst lernen, wenn das Kind schon in den Brunnen gefallen ist. Dann aber mit unvorstellbaren Kollateralschäden.
In was für einer Gesellschaft würden Sie gerne leben? Welche ökonomischen und sozialen Rahmenbedingungen wären für diese Voraussetzung?
Friedrich: Das Grundübel und Krisenherd Nummer 1 ist unser ungerechtes Geldsystem. Hier müssen wir zuerst ansetzen. Das kann nur durch uns, die breite Bevölkerung geschehen. Von oben wird es hierzu keine Änderung geben, da man vom System enorm profitiert. Wir schlagen ein rohstoffgedecktes Vollgeldsystem vor mit einer demokratisch gewählten und unabhängigen Notenbank. Wir brauchen wieder ein Trennbankensystem und eine Finanztransaktionssteuer. Im Buch haben wir die großen drei Baustellen beim Namen genannt und auch etliche Lösungsvorschläge gemacht. Wir benötigen zuerst ein Finanzsystem, welches allen Menschen dient und nicht nur einigen wenigen.
Informationen zum Buch:
Kapitalfehler: Wie unser Wohlstand vernichtet wird und warum wir ein neues Wirtschaftsdenken brauchen, Matthias Weik & Marc Friedrich, Eichborn Verlag, 2016 – ISBN: 978-3847906056 – 19,99 €.
Zu den Autoren:
Die beiden Finanzexperten und Honorarberater Matthias Weik und Marc Friedrich haben mit "Der größte Raubzug der Geschichte" und "Der Crash ist die Lösung" die erfolgreichsten Wirtschaftsbücher 2013 & 2014 verfasst. Beide Bücher waren drei Jahre lang auf allen relevanten Bestsellerlisten vertreten. Viele ihrer Prognose sind in der Zwischenzeit eingetroffen. Ihr 3. Buch "Kapitalfehler" erschien im Mai und wurde auf Anhieb ebenfalls ein SPIEGEL-Bestseller.
Mehr Informationen unter: www.friedrich-weik.de